Politik | 04. Januar 2017

Schmidt sieht „Renaissance der kleinen und mittleren Betriebe”

Der Schutz einer bäuerlichen Landwirtschaft soll künftig einen höheren politischen Stellenwert bekommen. Das ist ein zentrales Anliegen vom „Grünbuch Ernährung, Landwirtschaft und Ländliche Räume”, das Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt am 30. Dezember vorgestellt hat.
In dem Grünbuch wird das Ziel bekräftigt, Deutschland zum Vorreiter beim Tierwohl zu machen.
Laut Grünbuch sollen die EU-Direktzahlungen in Zukunft stärker auf „bäuerliche, viehhaltende Betriebe” konzentriert werden, weil diese wegen der Preisvolatilitäten und der gesellschaftlichen Ansprüche besonders gefordert seien. Betont wird die Notwendigkeit, die bodenrechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz landwirtschaftlicher Betriebe weiterzuentwickeln. Es gehe darum, die „Umwandlung selbständiger Landwirtschaftsbetriebe in Filialbetriebe und deren Übernahme durch überregionale Investoren” zu verhindern.
Wachsen oder weichen zuende?
Schmidt sprach vor Journalisten von einer „Renaissance der kleinen und mittleren Betriebe”. Dies sei eine Reaktion auf veränderte Anforderungen der Gesellschaft. Die Strukturen dürften sich nicht länger allein am Markt ausrichten. „Nach meiner Einschätzung geht die Phase des Wachsens oder Weichens ihrem Ende entgegen”, so der Minister.Bekräftigt wird in dem  Grünbuch das Ziel, Deutschland zum Vorreiter beim Tierwohl zu machen. Dazu beitragen soll eine nationale Nutztierstrategie, die „im konsensorientierten Dialog” erarbeitet werden soll. Auch in der Agrarumweltpolitik favorisiert Schmidt einen kooperativen Ansatz. Bestehende Probleme will man in einer „Partnerschaft für Klima-, Umwelt- und Naturschutz” lösen. Keinen Zweifel lässt das Grünbuch daran, dass die Anstrengungen zum Schutz der Gewässer und der Naturräume erhöht werden müssen.
Ein besonderer Handlungsbedarf wird auch in der ländlichen Entwicklung geltend gemacht. Es gehe darum, ein weiteres Auseinanderdriften von prosperierenden und zurückfallenden Regionen zu verhindern.
„Raus aus den Schützengräben”
Der Minister bezeichnete das Grünbuch als „Fahrplan für die künftige deutsche Agrar- und Ernährungspolitik”. Kernthemen sind neben der Landwirtschaft und den ländlichen Räumen auch die Forstwirtschaft, die Fischerei, die Ernährung und die Lebensmittelsicherheit sowie die internationale Ernährungssicherung.
Das Grünbuch enthalte im Wesentlichen seine Schlussfolgerungen aus einem Dialogprozess, den sein Haus mit Vertretern von Landwirtschaft, Zivilgesellschaft, Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geführt habe, erläuterte Schmidt. Für ihn sei es wichtig, dass die Auseinandersetzung offen geführt werde und alle Seiten aufeinander zugingen.
„Wir müssen raus aus den Schützengräben”, so der CSU-Politiker. Die Land- und Ernährungswirtschaft befinde sich in einem Umbruch; Änderungen seien unvermeidlich. Gleichzeitig fehle es der Landwirtschaft derzeit an der unverzichtbaren breiten gesellschaftlichen Akzeptanz. Dies sei jedoch eine entscheidende Voraussetzung für „zukunftsfeste Agrarstrukturen” und lebendige ländliche Räume.
Ein wesentliches Anliegen sieht der Minister darin, bäuerlichen, regional verankerten Familien den Zugang zu Ressourcen wie insbesondere Grund und Boden zu sichern. Hier bedürfe es eines besseren Schutzes vor außerlandwirtschaftlichen Investoren. Die Agrarstrukturpolitik müsse sich deutlicher als bisher an den Belangen der „aktiven Landwirte” ausrichten.
An der „Zwei-Säulen-Struktur” der europäischen Agrarpolitik soll auch nach 2020 festgehalten werden. Gleichzeitig soll jedoch die Erste Säule weiter differenziert werden. Sie müsse „primär den Familienbetrieben zugute kommen, nicht außerlandwirtschaftlichen Investoren”. Schmidt zufolge muss man „ein Stück wegkommen von der reinen Gießkannenförderung”.
Ein „Zurück zu den Zeiten der Preisstützung und der Mengensteuerung” dürfe es nicht geben. Großen Stellenwert räumt das Grünbuch einer Entbürokratisierung ein, und zwar sowohl auf Brüsseler als auch auf nationaler Ebene. Dort soll nicht zuletzt ein „Praktikerbeirat” dafür sorgen, dass praxistaugliche Gesetze und Verordnungen mit weniger Bürokratie erlassen werden.
Ausdrücklich verweist das Grünbuch auf die primäre Zuständigkeit der Länder für das Bodenrecht. Gemeinsam mit ihnen werde der Bund darauf hinwirken, praktizierende Landwirte beim Flächentransfer bevorzugt zu berücksichtigen und dem Verlust „regional verankerter, familiengeführter Betriebe” entgegenzuwirken. Eine wichtige Funktion für eine Flankierung des Agrarstrukturwandels misst das Grünbuch der agrarsozialen Sicherung bei; deren Eigenständigkeit will man langfristig sichern.
Das Grünbuch hebt den Bedarf hervor, der Nutztierhaltung in Deutschland eine langfristige Orientierung zu geben. Schmidt kündigte dazu an, er werde kurzfristig eine nationale Nutztierstrategie vorlegen.
Außer Frage steht laut Grünbuch, dass ein staatliches Tierwohllabel zu mehr Tierwohl führen wird. In Aussicht gestellt wird ein mehrstufiges Label, das die Haltungsart positiv kennzeichnen werde. Schrittweise minimieren will man die nichtkurativen Eingriffe; hierzu sollen die bestehenden freiwilligen Vereinbarungen ausgeweitet und „notwendige gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen” werden. Weiter gesenkt werden soll der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Zuchtziele sollen stärker auf Merkmale wie die allgemeine Tiergesundheit, die Nutzungsdauer und die Robustheit ausgerichtet werden; auch eine Intensivierung der Tierwohlforschung wird genannt.
Hohe Erwartung an Digitalisierung
In der Agrarumweltpolitik soll Anreizen Vorrang vor ordnungspolitischen Maßnahmen eingeräumt werden. Der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln in die Umwelt soll minimiert werden. Die Regelungen für ein nationales Nährstoffmanagement will man insbesondere im Hinblick auf Gülle verbessern.
Hohe Erwartungen werden in die Digitalisierung gesetzt, die die Landwirtschaft effizienter und ressourcenschonender machen könne. Dazu soll eine Kommunikationsplattform zu den Themen Datensicherheit, Datenhoheit und „Big Data” ausgebaut werden. Das 20-Prozent-Ziel für den Ökolandbau soll vor allem mithilfe der angekündigten Zukunftsstrategie Ökolandbau „mittelfristig” erreicht werden. Neue Züchtungstechnologien in der Landwirtschaft wie CRISPR/Cas-Technologien sollen umfassend geprüft werden.
Das Grünbuch  bekennt sich  zu einem „offenen, regelbasierten” Agrarhandel. Internationaler Handel fördere die Ernährungssicherheit, wenn er die Bedürfnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer berücksichtige. Die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie die nachhaltige Nutzung knapper Ressourcen seien der Schlüssel zur Verbesserung der globalen Ernährungssituation.
Wald: „Schützen durch Nützen”
Ein stärkeres Engagement des Bundes für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland regt das Grünbuch im Bereich der ländlichen Entwicklung an. Benötigt werde eine maßgeschneiderte Unterstützung ländlicher Räume. Erreicht werden soll dies unter anderem über eine Flexibilisierung, Aufgabenerweiterung und finanzielle Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK). Das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung soll bis 2025 verstetigt werden.
Im seinem Forstteil unterstreicht das Grünbuch das Prinzip „Schützen durch Nützen”. Angekündigt wird eine Neuauflage der Charta für Holz. Als eine Maßnahme wird ein Umbau zu Wäldern genannt, die mit überwiegend heimischen Baumarten an den Klimawandel angepasst sind.
Bauernverband sieht Gutes und Lücken
Der Deutsche Bauernverband (DBV) bewertete das Grünbuch in einer ersten Reaktion positiv. Er hob insbesondere die darin enthaltene Feststellung hervor, dass eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft die Voraussetzung für eine gute Ernährung und der Garant für lebendige ländliche Räume und vielfältige Kulturlandschaften sei.  Der Bauernverband teilt eigenen Angaben zufolge das klare Bekenntnis des Bundesministers zu Direktzahlungen und zur Zwei-Säulen-Struktur in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Gerade die zurückliegende Preiskrise habe nochmals verdeutlicht, „dass die Direktzahlungen einen elementaren Anteil landwirtschaftlicher Einkommen absichern”. Der DBV wies  zugleich darauf hin, dass wichtige Aspekte wie eine  Stärkung der Landwirte und ihrer Zusammenschlüsse in der Lebensmittellieferkette sowie die Verantwortung der Handelsketten im Grünbuch nicht hinreichend thematisiert würden. Letztendlich komme es darauf an, dass Veränderungen den bäuerlichen Familien wirtschaftliche Perspektiven und Investitionschancen böten.