Politik | 31. März 2022

Özdemir will für deutsche Bauern die Brüsseler Möglichkeiten einschränken

Von AgE
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir steht mit seiner Entscheidung, nur die Futternutzung auf Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) genehmigen zu wollen, in der Europäischen Union relativ allein da.
Cem Özdemir zeigt sich in Sachen ausnahmsweiser Nutzung Ökologischer Vorrangflächen (ÖVF) restriktiv und steht damit europaweit ziemlich im Abseits.
Anders als Deutschland, das die von der Europäischen Kommission eingeräumte Möglichkeit, zur Ernte 2022 auf Brachflächen „beliebige Kulturen” auch unter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldünger anbauen zu lassen, ablehnt, planen unter anderem Polen und Spanien, den Anbau von gängigen Marktfrüchten zu gestatten. Wie eine Sprecherin des Berliner Agrarressorts am 24. März mitteilte, ist nach den Vorstellungen im Ministerium geplant, auf den ÖVF der Kategorie Brache lediglich die Nutzung des Aufwuchses für Futterzwecke ausnahmsweise zuzulassen. Für die Areale der Kategorie „Flächen mit stickstoffbindenden Pflanzen” soll es beim Anbau solcher Kulturen zur Nutzung als Lebens- oder Futtermittel bleiben.
Die Sprecherin begründete die restriktive Haltung des Ministeriums damit, dass man zwar einerseits „einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungssituation” leisten wolle, zugleich aber auch die Biodiversität im Blick habe.
Der Kommissionsvorschlag, die Produktion auf den Vorrangflächen insgesamt sowie die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zuzulassen, sei im Hinblick auf die Biodiversitätsziele „eher kritisch zu sehen und erscheint als sehr weitgehender Ansatz”.
„In einer Lage multipler Krisen”
Auch wenn der Ukraine-Krieg zu Recht im Fokus stehe, dürfe nicht vergessen werden, dass „wir uns in einer Lage multipler Krisen befinden und die Bekämpfung von Klimakrise und Artensterben keinen Aufschub mehr erlaubt”, so die Ministeriumssprecherin.
Derweil erläuterte der spanische Landwirtschaftsminister Luis Planas gegenüber nationalen Medien, dass vorgesehen sei, die Brachen für den Anbau vor allem von Sonnenblumen sowie je nach Bedarf auch für Mais freizugeben. Zwar äußerte sich der Minister nicht zum Einsatz von Pflanzenschutz und Düngemitteln. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die Madrider Regierung dem Einsatz dieser Betriebsmittel auf den ÖVF wohl keinen Riegel vorschieben wird.
Auch Polen will die Nutzung der Vorrangflächen vollständig freigeben. Den Plänen aus Warschau zufolge schließt dies ausdrücklich den Pflanzenschutzmitteleinsatz ein. Finnland hat ebenfalls entschieden, dass auf den Ökologischen Vorrangflächen „alle förderfähigen Pflanzen” angebaut, geerntet und beweidet werden dürfen. Auch dürften Pflanzenschutzmittel auf diesen Feldern zum Einsatz kommen. Das ungarische Agrarressort gab bekannt, dass man beschlossen habe, die möglichen Erleichterungen „voll auszuschöpfen”, um den Landwirten die „größtmögliche Unterstützung” zukommen zu lassen. Die Flächen dürften gemäht, beweidet oder mit Feldfrüchten wie Sojabohnen, Mais und Sonnenblumen bestellt werden. Auch die Nutzung von Pflanzenschutz- und mineralischen Düngemitteln seien zulässig.
Noch keine Informationen darüber, wie die ÖVF von den Landwirten genutzt werden dürfen, lagen am späten Freitagnachmittag voriger Woche in Frankreich und Italien vor. In Paris rechnen verschiedene Beobachter allerdings damit, dass Landwirtschaftsminister Julien Denormandie die eingeräumten Ausnahmemöglichkeiten vollumfänglich ausschöpfen wird.
Politischer Druck auch aus den eigenen Reihen
Der  Druck auf Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wächst, Brachflächen generell für den Anbau von Feldfrüchten freizugeben. Derartige Forderungen wurden vergangene Woche auch in den eigenen Reihen laut. „In Krisenzeiten darf es Ausnahmeregelungen geben”, erklärte die Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung der Grünen im bayerischen Landtag, Gisela Sengl. Sie hält es deshalb für vertretbar, Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) in diesem Jahr für den Anbau zu nutzen. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Axel Vogel (Grüne) zeigte sich  offen für den Anbau von Eiweißpflanzen auf Vorrangflächen.
„Ich erwarte, dass der europäische Rahmen zur vollständigen Freigabe von Brachflächen auch in Deutschland eins zu eins umgesetzt wird”, so der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,  Gero Hocker. Angesichts der Produktionsausfälle im Rahmen des Ukraine-Krieges und der dramatischen Folgen für weite Teile der Welt müsse man alles dafür tun, die Produktion hierzulande  zu steigern.
Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, warf Özdemir vor, mit seiner restriktiven Haltung der „ethisch-moralischen Verantwortung” nicht gerecht zu werden, die Deutschland als  begünstigter Agrarstandort habe. Özdemir müsse sich  von alten Ideologien lösen und pragmatisch handeln.
Für den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, ist die Möglichkeit zur Nutzung des Aufwuchses zu Futterzwecken lediglich „ein erster richtiger Schritt”, dem  weitere folgen müssten. Rukwied bezeichnete am vergangenen Freitag gegenüber Journalisten eine Öffnung der Vorrangflächen für den Anbau von Eiweißpflanzen als dringend notwendig.
Die Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Bender, stellte indes eine weitergehende Freigabe der Ökologischen Vorrangflächen in Aussicht. „Wir sind an schnellen, pragmatischen Lösungen interessiert”, betonte Bender mit Blick auf das Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission. Dabei dürfe man aber nicht das Ziel einer natur- und klimagerechten Landwirtschaft aus den Augen verlieren. Stattdessen müsse es gelingen, globale Ernährungssicherung, Klimaschutz und Biodiversität in Einklang zu bringen. „Die von der Kommission geplante Freigabe zum Anbau von Futtermitteln inklusive des Einsatzes von Pestiziden steht unseren Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitszielen entgegen”, gab die Staatssekretärin zu bedenken.