Als ein „Programm mit Maß und Mitte” hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sein „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz” am 4. September in Berlin präsentiert. Özdemir will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland bis 2030 halbieren.
Das Ziel der anvisierten Pflanzenschutzmittelreduktion soll bezogen auf den durchschnittlichen Gesamteinsatz in Deutschland und auf den Bezugszeitraum von 2011 bis 2013 gelten.
Der Bundeslandwirtschaftsminister setzt dabei auf einen „Dreiklang” aus Innovation, Kooperation und Alternativen. Explizit verzichtet werden soll dem Minister zufolge auf harte, ordnungsrechtliche Vorgaben.
Bei der Erstellung seines Zukunftsprogramms seien zahlreiche Agrar-, Wirtschafts- und Umweltverbände eingebunden gewesen, berichtete Özdemir der Hauptstadtpresse. Damit setze sich das Programm von dem aus seiner Sicht „handwerklich schlecht gemachten” Brüsseler Verordnungsvorschlag zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) ab. Konzeptionelles Vorbild seien stattdessen die Landesprogramme aus Baden-Württemberg und der „Niedersächsische Weg”, bei denen ein kooperativer Ansatz gewählt wurde.
„Ganz ohne” Pflanzenschutzmittel wird es Özdemir zufolge dennoch auch in der Zukunft nicht gehen: Dafür seien die „aktuellen Herausforderungen”, wie der witterungsbedingt starke Pilzbefall bei der diesjährigen Ernte, einfach zu groß.
Özdemirs Zukunftsprogramm sieht vor, den Pflanzenschutzmitteleinsatz bis 2030 um die Hälfte zu verringern. Damit orientiert sich das BMEL an der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission. Dabei gehe es jedoch nicht um „pauschale” Reduktionsvorgaben auf jeder Anbaufläche. Das Ziel gelte stattdessen bezogen auf den durchschnittlichen Gesamteinsatz in Deutschland und auf den Bezugszeitraum von 2011 bis 2013.
Mix aus Beratung, Förderung und Forschung
Erreicht werden soll das Ziel mit einem Mix aus
Beratung, Förderung und Forschung. So sollen Innovationen bei
pflanzenschutzmittelarmen Anbaumethoden und moderner Technologie zu
einer Reduzierung des Einsatzes führen. Laut BMEL könnte allein ein
flächendeckender Einsatz des heutigen Stands der Technik bis zu ein
Viertel an Pflanzenschutzmitteln einsparen. Weiteres
Reduktionsspotenzial sieht das Ministerium in der Kooperation zwischen
Landwirtschaft und Naturschutz. Durch eine „gezielte Nutzung von
Maßnahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)” wolle man die
Biodiversität schützen und Rückzugsflächen schaffen.
Gestärkt werden sollen Alternativen zu chemisch-synthetischen
Pflanzenschutzmitteln. Um risikoarme Wirkstoffe schneller auf den Markt
zu bringen, soll die Pflanzenschutzmittelzulassung überarbeitet werden.
Ebenfalls geprüft werden soll, ob Risikominderungsmaßnahmen aus der
Zulassung ausgegliedert werden können, um Zulassungsbescheide zu
verschlanken.
Geplant ist zudem, noch in der laufenden Legislaturperiode eine
„Nützlingsverordnung” auf den Weg zu bringen. Damit soll Rechtsklarheit
beim Einsatz von Nützlingen zur Bekämpfung von Schadorganismen
geschaffen werden. Auch beim Integrierten Pflanzenschutz (IPS) sieht das
BMEL Potenzial, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren.
Nicht zuletzt sei durch eine Ausweitung des ökologischen Landbaus in
Deutschland mit einer Reduzierung des Einsatzes von
Pflanzenschutzmitteln zu rechnen. Festgehalten wird dabei an dem
30-Prozent-Bioanbau-Ziel bis 2030. Stärker gefördert sollen außerdem
agrarökologische Ansätze. Das BMEL will damit gemeinsam mit den Ländern
„prüfen”, inwiefern Ausgleichszahlungen für umweltschonende
Bewirtschaftungsmaßnahmen gestaltet sein müssen, die zu weniger Einsatz
chemisch-synthetischer Mittel führen.
Die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen soll laut BMEL regelmäßig
überprüft und 2031 abschließend evaluiert werden – ein Zwischenbericht
ist für 2026 geplant.
DBV sieht Zukunftsfragen im Zukunftsprogramm unbeantwortet
Der Deutsche Bauernverband (DBV) bleibt bei seiner äußerst kritischen Haltung gegenüber dem „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz” von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Das Programm sei im Kern ein „Reduktionsprogramm”, das die „wesentlichen Zukunftsfragen” unbeantwortet lässt, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied am 4. September in Berlin. Etwas konzilianter äußerte sich der Deutsche Raiffeisenverband (DRV). In dem Programm seien „wichtige Punkte der Wirtschaft” platziert worden, erklärte DRV-Geschäftsführer Dr. Philipp Spinne. Auch der Industrieverband Agrar (IVA) sieht in dem Programm einen Fingerzeig in die richtige Richtung. Kritik kam vonseiten der Umwelt- und Bioverbände.
Für DBV-Präsident Rukwied braucht es neben einer Förderung von Alternativen vor allem eine Stärkung des chemischen Pflanzenschutzes für die Ernährungssicherheit. Das vorliegende Programm verfolge dagegen vor allem „ökologische Ziele”. Durch mangelnde Wirkstoffvielfalt sei bereits heute der Schädlingsbefall bei Kulturpflanzen kaum in den Griff zu bekommen.
DRV-Geschäftsführer Spinne bezeichnete die Ankündigung des BMEL, kooperativ, innovativ und nicht mit Verboten die Ziele umsetzen zu wollen, als den „richtigen Weg”. Diese Ankündigung müsse nun „mit Leben gefüllt werden”. Der DRV unterstütze dabei gerne mit praktischen Lösungsansätzen, so Spinne.
Zurückhaltend reagierte der IVA auf das Zukunftsprogramm. Der Fokus auf Anreize und freiwillige Maßnahmen sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Zu kritisieren sei jedoch nach wie vor, dass sich das BMEL nicht „vom Reduktionsgedanken lösen kann”, so der Industrieverband. „Es muss generell um die Verbesserung der Verfügbarkeit von biologischen und modernen chemisch-synthetischen Mitteln gehen, nicht um weitere Einschränkungen der Anwendung”, sagte der Leiter des Kompetenzfelds Wissenschaft und Innovation im IVA, Dr. Mark Winter.
Enttäuscht zeigt man sich beim Anbauverband Bioland. Im Vergleich zum bereits „schwachen Entwurf aus dem März” sei das finale Programm nun gänzlich frustrierend, kommentierte Bioland-Agrarpolitikexperte Gerald Wehde.