Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will seine Politik an den vorliegenden Konzepten für eine Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssektors ausrichten. Das bekundete er bei der Bundestagsdebatte am 14. Januar.
Man habe in der Agrarpolitik kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, betonte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im Bundestag.
Die Papiere der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und der Borchert-Kommission enthielten „tolle Ideen”, sagte der Grünen-Politiker am 14. Januar in der Bundestagsdebatte zu den Grundzügen seiner Politik in dieser Legislaturperiode. Man habe in der Agrarpolitik kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem, betonte Özdemir. Das werde man ändern. Der Minister bekräftigte die Ankündigung im Koalitionsvertrag, die Landwirte beim Umbau der Tierhaltung zu unterstützen. Dazu beitragen werde auch eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung. Zudem werde man daran arbeiten, Asymmetrien zulasten der Erzeuger in der Wertschöpfungskette zu beenden.
Özdemir wies darauf hin, dass derzeit von jedem Euro, den Verbraucher für Schweinefleisch bezahlten, lediglich 22 Cent bei den Landwirten ankämen. Das sei „eine Sauerei”, und das werde man ändern.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Mathias Miersch, äußerte die Erwartung, dass nach Jahren des Stillstands endlich Bewegung in die deutsche Agrarpolitik komme. Kritische Stimmen kamen von der Opposition. CDU/CSU-Agrarsprecher Albert Stegemann forderte den Minister dazu auf, die Realitäten des Marktes in den Blick zu nehmen.
Leitbild Ökolandbau
Özdemir nannte drei Kernziele seiner Politik. Zum
einen gehe es darum, „dass alle hochwertige und bezahlbare Lebensmittel
bekommen”. Daneben will er erreichen, dass die Landwirte von ihrer
Arbeit leben können „und dafür die Wertschätzung erfahren, die sie
verdienen”. Dabei will er schließlich Klima, Umwelt und Artenvielfalt
schonen und den Tierschutz in der Landwirtschaft voranbringen. Als sein
agrarisches Leitbild bezeichnete der Minister den ökologischen Landbau.
Dessen Merkmale seien „weniger Pestizide, weniger Dünger und mehr
Natur”. Özdemir bekräftigte das Ziel der Ampelkoalition, den Anteil der
ökologisch bewirtschafteten Flächen sowie der Ökoprodukte in den Regalen
bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. In der Ernährungspolitik setzt der
Grünen-Politiker auf die Entwicklung einer Ernährungsstrategie. Ziele
seien weniger Zucker, Fette und Salz in den Produkten, eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung sowie eine
Förderung von regionalem und ökologischem Essen in der
Gemeinschaftsverpflegung.
Offenkundiger Reformstau
Die SPD distanzierte sich in der Debatte von der Agrarpolitik
der Großen Koalition. Das Bundeslandwirtschaftsministerium habe in der
vergangenen Legislaturperiode „außer Hochglanz nichts geliefert”, so
Fraktionsvize Miersch. Auch Agrarsprecherin Susanne Mittag machte CDU
und CSU für einen „offenkundigen Reformstau” in der Agrarpolitik
verantwortlich. Miersch warf der Union „altes Denken” im Hinblick auf
die Landwirtschaft vor und kündigte für die kommenden Jahre grundlegende
Veränderungen an. Dabei werde man den Landwirten im Hinblick auf neue
Produktionsstandards „einiges zumuten”, räumte der SPD-Politiker ein und
stellte zugleich eine staatliche Unterstützung bei den notwendigen
Anpassungen in Aussicht.
Gegen weitere nationale Alleingänge
„In kaum einem anderen Land in Europa und der Welt
gelten derart hohe Tierschutz- und Umweltschutzstandards wie in
Deutschland”, betonte indes FDP-Agrarsprecher Gero Hocker. Die
Landwirtschaft vertrage deshalb keine weiteren nationalen Alleingänge
wie bei Düngeverordnung, Insektenschutz und anderem während der
vergangenen vier Jahre. „Almosen wie die Bauernmilliarde, die unfaire
Wettbewerbsbedingungen kaschieren sollten, wollen Landwirte nicht”, so
Hocker. Der FDP-Politiker stellte die Verantwortung der Verbraucher für
die Neuausrichtung der Landwirtschaft heraus: „Kein Verbraucher soll
sich mit dem Hinweis auf mangelnde Transparenz aus seiner Verantwortung
stehlen können.” Dazu diene die verbindliche Herkunfts- und Haltungskennzeichnung. Wer gleichzeitig hohe Tierwohlstandards
honorieren, Lebensmittel mit geringen CO2-Emissionen konsumieren und
etwas für Biodiversität und Nachhaltigkeit tun wolle, könne dies am
besten mit in Deutschland erzeugten und weiterverarbeiteten
Nahrungsmitteln tun, betonte der Liberale. Die Grünen-Abgeordnete Zoe
Mayer forderte eine Reduzierung der Tierbestände und eine wirksame
Unterstützung für eine pflanzliche Ernährung. Es müsse echte
Wahlfreiheit geben für eine „tierleidfreie und nachhaltige Ernährung”.
Wettbewerbsfähigkeit und neue Absatzwege
Wenn Özdemir die Einkommen der
Landwirte verbessern wolle, dann müsse er für Wettbewerbsfähigkeit und
neue Absatzwege sorgen und dürfe nicht einseitig auf kostensteigernde
Auflagen etwa beim Pflanzenschutz setzen, warnte Unionsagrarsprecher
Stegemann. Für mehr Wertschöpfung und Wertschätzung in der Tierhaltung
bedürfe es einer Umsetzung der Borchert-Empfehlungen in Gänze. „Die neue
Bundesregierung muss runter von der Bremse im Bau- und
Immissionsschutzrecht”, forderte Stegemann. Der SPD warf er vor, dies in
der vergangenen Legislaturperiode blockiert zu haben.
Der Obmann der Union im Ernährungsausschuss, Artur Auernhammer,
bescheinigte dem neuen Minister „gute Worte”. Messen werde man ihn
jedoch an den Taten. Der CSU-Politiker mahnte ein entschiedenes Vorgehen
gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP) an und rief dazu auf, die
Agrarpolitik stärker an den kleinen und mittleren Betrieben
auszurichten. Im Zusammenhang mit dem möglichen Verbot der
Anbindehaltung appellierte Auernhammer an den Minister, gemeinsam mit
den Bauern nach Lösungen zu suchen.
Der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan
Protschka, warf den Grünen eine „Schmutzkampagne gegen die moderne
Landwirtschaft” vor. Der von der Böll-Stiftung vorgelegte
„Pestizidatlas” bediene ideologische Vorurteile. Seiner Auffassung nach
werden immer mehr Auflagen für die Landwirte dazu führen, dass sich das
„Höfesterben” noch weiter beschleunigt. Notwendig seien
wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen.
Für die Obfrau der Linken im Ernährungsausschuss, Ina Latendorf, kommen
soziale Aspekte in den Ankündigungen zur künftigen Agrarpolitik zu kurz.
Aussagen der neuen Koalition zur sozialen Absicherung in der
Landwirtschaft, der Einkommenshöhe und der Saisonarbeit suche man
bislang vergeblich, Dies gelte auch für die Bodenpolitik.
Der DBV mahnt zur Eile
Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßte die Ankündigung von Minister Cem Özdemir, die wirtschaftlichen Perspektiven für die landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern und die Transformation gemeinsam mit den Landwirten zu gestalten. DBV-Präsident Joachim Rukwied appellierte dabei an Özdemir, seinen Ankündigungen für eine Unterstützung der Landwirtschaft in der Transformation nun schnell konkrete Schritte zur Umsetzung folgen zu lassen. „In dieser Legislaturperiode werden für viele Betriebe die Weichen zwischen Ausstieg und Weiterentwicklung gestellt”, ist Rukwied überzeugt. Es gehe darum, die Vielfalt in der Agrarstruktur in Deutschland abzusichern und Strukturbrüche zu verhindern. „Daran wird sich die Bundesregierung messen lassen müssen”, so der DBV-Präsident. Die wirtschaftliche Lage auf vielen Betrieben sei nach wie vor angespannt, bei den Schweinehaltern desaströs. Hier dränge die Zeit.
Joachim Rukwied bekräftigte die Bereitschaft der Landwirte, den Umbau der Tierhaltung mitzutragen. Wichtig für die kommenden Monate sei, dass ein praktikabler und verlässlicher Weg für die Finanzierung sichergestellt werde. Hierfür müsse ein gesonderter Finanztopf gebildet werden. „Unsere Bauern brauchen jetzt dringend politische Entscheidungen, um ihre Betriebe weiterentwickeln zu können”, mahnte der DBV-Präsident.