Politik | 04. November 2022

Nicht nur Wandel, sondern Bruch

Von AgE
Als „Strukturbruch” hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, die vielen aktuellen und geplanten Betriebsaufgaben in der heimischen Tierhaltung und insbesondere in der Schweinebranche bezeichnet.
„Wir werden weniger Schweine haben; wir brauchen Veränderungen in der Tierhaltung”, betonte ein Vertreter des Bundeslandwirtschaftsministeriums beim Veredlungstag des DBV.
Angesichts dieser dramatischen Lage sei die Politik aufgefordert, alles dafür zu tun, um die Schweinehalter zu unterstützen: „Nahezu täglich steigen Betriebe aus der Schweinehaltung aus. Kaum einer investiert noch in neue Ställe. Deshalb brauchen unsere Schweinehalter jetzt dringend Zukunftsperspektiven”, betonte Rukwied am 25. Oktober auf dem DBV-Veredlungstag im bayerischen Essenbach.
Rukwied: Özdemir muss liefern
Der Umbau der Tierhaltung müsse zwingend durch langfristige Verträge gesichert werden, und auf die Haltungskennzeichnung müsse zwingend auch eine Herkunftskennzeichnung folgen. „Sonst kommen wir beim Tierwohl nicht voran, und die Schweinehaltung wird noch weiter ins Ausland verlagert”, warnte der DBV-Präsident. Er hob hervor, dass die Landwirte ein klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung der Tierhaltung abgegeben hätten: „Wir haben unseren Teil gemacht; jetzt muss Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir liefern.” Dies tue er aber nur in Teilen. Es gelte nun, insbesondere bei der Haltungskennzeichnung qualitativ nachzubessern und frisches Geld zu Verfügung zu stellen. Zudem müsse sich die Politik auf allen Ebenen für den Kauf von heimischen Produkten und Fleisch einsetzen, forderte Rukwied. Aber auch der Handel und die Verbraucher seien aufgerufen, mit dem Griff zur Inlandsware die Landwirte zu unterstützen.
DBV-Veredlungspräsident Hubertus Beringmeier kritisierte den aktuellen Gesetzentwurf zur Haltungskennzeichnung scharf. Dieser weise handwerklich erhebliche Schwächen auf, mit denen die angestrebte Wirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen sogar konterkariert werde. Beispielsweise sei die Sauenhaltung gar nicht berücksichtigt. So könnten Schweine und Schweinefleisch mit anderen Standards aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden das Tierwohllabel erhalten. „Das ist eine Einladung zur Verbrauchertäuschung”, brachte es Beringmeier auf den Punkt. Daher müsse der Entwurf jetzt im parlamentarischen Verfahren deutlich nachgebessert werden.
Darüber hinaus entstehe mit der Neuregelung eine erhebliche bürokratische Mehrbelastung, weil weder ein Anschluss an vorhandene amtliche Meldesysteme noch an private Qualitätssicherungssysteme hergestellt werden solle.  Dringend müssten auch der Bereich der Verarbeitungsware und neben dem Lebensmitteleinzelhandel auch Verarbeiter, Großverbraucher sowie die Gastronomie mit einbezogen werden.
Gesamtkonzept erarbeiten
Der neue Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Günther Felßner, stellte fest, dass der Strukturbruch in der Schweinehaltung keine Sorge, sondern schon heute bittere Realität sei: „In den letzten zwölf Jahren haben wir 53 Prozent unserer Schweinehalter verloren, und die Zahl bayerischer Schweine reduzierte sich um knapp 30 Prozent.” Für Felßner ist es in der Schweinehaltung daher bereits „fünf nach zwölf”. Er wolle nicht, so der BBV-Präsident, „dass wir auf dem Papier die höchsten Vorgaben dieses Planeten für die Schweinehaltung haben, aber keine Betriebe mehr, die unter diesen Vorgaben wirtschaften können, und somit das Fleisch aus Drittländern importiert werden muss”. Felßner appellierte an die Politik, endlich zu handeln und Perspektiven für die bäuerlichen Familienbetriebe zu schaffen. Es brauche ein politisches Gesamtkonzept mit einer Erhöhung des Tierwohls bei gleichzeitiger Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, so wie es die Borchert-Kommission vorgelegt habe.
Viel Gegenwind blies auf dem Podium des Veredlungstages dem einzigen Vertreter aus der Politik entgegen. Der Leiter der Abteilung „Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit” im Bundeslandwirtschaftsministerium, Professor Markus Schick, versuchte, die Wogen zu glätten. Er bekräftigte das klare Bekenntnis von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir für die Tierhaltung in Deutschland und verteidigte die jüngsten politischen Entscheidungen zur Tierhaltung, insbesondere den Entwurf zur Haltungskennzeichnung. Zugleich ließ er keinen Zweifel daran, dass der Umbau in der Veredlung politisch gewollt ist: „Wir werden weniger Schweine haben; wir brauchen Veränderungen in der Tierhaltung.”