Tierhaltung | 18. Februar 2016

Mindeststandard kann zum Fallstrick werden

Von Rudolf Wiedmann
In vielen Regionen können Schweine kostengünstiger produziert werden als in Baden-Württemberg. Daher muss hier das Ziel sein, etwas Besonderes anzubieten – zum Beispiel Schweine, die nach hohen Tierschutzstandards produziert werden. Das setzt jedoch entsprechende Ställe voraus.
Schweinebürsten dienen dem Komfortverhalten bei der Hautpflege der Tiere.
Die Besinnung des Lebensmitteleinzelhandels auf Regionalität mit hohen Tierschutzvorgaben bietet die Chance, höhere Preise zu erlösen.  Diese  kann  jedoch nicht mit Haltungsverfahren genutzt werden, die sich am Minimum orientieren. Zu lange haben sich Betriebe bei  ihren  Investitionen auf die Einhaltung des Mindeststandards nach der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verlassen. Solche gesetzlichen Vorgaben haben jedoch immer Ermessensspielräume, die dem Gesinnungswandel der Zeit und der Auslegung von einzelnen Personen oder Gerichten unterworfen sind. Ein aktuelles Beispiel ist die diskutierte Kastenstandbreite für Sauen. Sie ist in der Verordnung nur vage formuliert, sodass sie nun Auslegungssache ist. Schweinehalter sind also gut beraten, wenn sie sich bei ihren investiven Entscheidungen nicht an den Mindestvorgaben ausrichten. Das Risiko für Fehlinvestitionen beziehungsweise teure Nachbesserungen wäre  zu groß. Vielmehr müssen Ställe für einen halbwegs überschaubaren Zeitraum ohne bauliche Veränderungen genutzt werden können. 
Zehn Eckpunkte für künftige Ställe
In eingestreuten Ausläufen kann problemlos Grundfutter angeboten werden.
Bei betriebswirtschaftlichen bzw. baulichen Entscheidungen spielt die Ausrichtung des Betriebs auf den globalen oder aber regionalen Markt eine entscheidende Rolle. Regionale Programme mit hohem Tierschutzstandard spielten bisher in Deutschland – im Gegensatz zu Österreich, der Schweiz und Frankreich – nur eine untergeordnete Rolle. Die Situation hat sich aber nun geändert. So bietet Edeka Südwest als umsatzstärkster Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland den Schweinehaltern über die Dauer von zehn Jahren einen Schlachtgewichtserlös von 2,15 €/kg im Premiumbereich oder 3,75 €/kg im Biobereich an. Daraus leiten sich entsprechende Festpreise für 30-kg-Ferkel ab – und zwar in Höhe von 84 € beziehungsweise 155 € inklusive Mehrwertsteuer. Damit setzt Edeka Südwest ein deutliches Zeichen für die Platzierung von regionalen Produkten, die nach hohen Tierschutzvorgaben erzeugt sind. Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg solcher Programme sind aber nicht nur kostenträchtige Schulungen des Thekenpersonals verbunden mit entsprechenden Werbemaßnahmen, sondern vor allem ein deutlich sichtbarer Unterschied zu konventionell erzeugtem Fleisch.
Auslaufbegrenzungen sollten nur aus Rohren bestehen und nicht aus Betonwänden. In solchen Ausläufen lernen die Tiere eher mit neuen Situationen umzugehen, wie sie zum Beispiel auf dem Transport oder im Schlachthof auftreten. Dies kommt der Fleischqualität zugute.
Auf zwei Eckpunkte wird dabei besonders deutlich geachtet: einerseits Ausläufe und andererseits  mit Stroh eingestreute Liegeflächen. Um an derartigen Programmen teilnehmen zu können, sollten  Betriebe bei baulichen Veränderungen die folgenden Eckpunkte beachten, da davon auszugehen ist, dass die Aktivitäten von Edeka Südwest kein Einzelfall bleiben:
  •  Beim Platzangebot muss vom doppelten Mindeststandard ausgegangen werden. Das sind also 1,5 m² je Mastschwein ab 50 kg Lebendgewicht, circa 4 m² je leere oder tragende Sau, etwa 9 m² je säugende Sau und 0,5 m² je Aufzuchtferkel.
  • Ausläufe dürfen nicht fehlen: Sie sind nicht nur ein unverzichtbares „Schaufenster” der Haltung, sondern verbessern auch die Funktionssicherheit der Ställe, insbesondere die Sauberkeit von planbefestigten Böden. Sie sind für leere und tragende Sauen sowie die Mastschweine zwingend.
    In diesem Stall für tragende Sauen ist deutlich zwischen Liege-, Kot- und Fressbereich unterschieden.
  • Bei nicht kupierten Tieren muss ausreichend organisches Beschäftigungsmaterial angeboten werden, was im Rahmen der Entmistung berücksichtigt werden muss.
  • Perforierte Böden treten in der Schweinehaltung zunehmend zurück bzw. sind nur noch im Kotbereich eine Alternative.
  • Die Funktionsbereiche für Ruhen, Fressen, Trinken, Aktivität und Koten/Harnen müssen sich deutlich unterscheiden. Das betrifft nicht nur die Boden-, sondern auch die Temperaturgestaltung.
  • Eine Fixierung von Sauen in Kastenständen wird  nur noch für kurze Zeitspannen erlaubt sein, weshalb der Kastenstand seine Bedeutung verloren hat.
  • Die freie Abferkelung wird in absehbarer Zeit zum Standard werden. Mit der nötigen  Anpassung der Genetik und Konditionierung der Sauen bietet sie Fortschritte aus Sicht des Tierwohls, der Tiergesundheit und derAkzeptanz breiter Gesellschaftsschichten.
    In absehbarer Zeit wird die freie Abferkelung zum Standard werden.

  • Für Mastschweine, leere und tragende Sauen sollten bei hohen Außentemperaturen geeignete Einrichtungen zur Verringerung der Körpertemperatur angeboten werden. Suhlen verdienen dabei gegenüber Berieselungsanlagen den Vorzug.
  • Das Notfallrisiko ist deutlich zu reduzieren. Die freie Lüftung ist hier die Methode der Wahl. Darüber hinaus ist auch das Risiko für die Tiere im Brandfall so gering wie möglich zu halten.
  • Insgesamt betrachtet sollten Neubauten so geplant werden, dass sie die baulichen Voraussetzungen nicht nur für konventionelle Erzeugung bieten, sondern auch für die Premium- und die Bioproduktion.
Fazit
Bei hohen Temperaturen sind Suhlen ein effektives Abkühlungsmittel.
Mit der Aufnahme von regionalen Produkten, die auf hohem Tierschutzniveau erzeugt sind, bietet der Lebensmitteleinzelhandel auch kleineren und mittleren Beständen die Chance, auskömmliche Erlöse aus der Schweinehaltung zu ermöglichen. In Verbindung mit den langen Preisgarantien ist damit ein guter Anfang gemacht, sich von den Tiefpreisen, dem Exportzwang und den Unwägbarkeiten der globalen Märkte abzusetzen.