Wie geht es weiter bei der Milch? Die EU-Kommission sieht keine Krise. Bei einer Anhörung zur Zukunft des Milchsektors am Dienstag voriger Woche im Europaparlament waren die Meinungen dagegen gespalten.
Milch in der Diskussion: Während die einen die
Chancen einer Exportorientierung hervorheben, halten sie andere für überholt.
Der europäische Milchsektor befindet sich nach Einschätzung der Europäischen Kommission nicht in der Krise. Das hat EU-Agrarkommissar Phil Hogan vergangene Woche beim Agrarrat in Brüssel unterstrichen (siehe auch BBZ 5/15, Seite 13). Der Erzeugerpreis habe Ende November – der vorerst jüngste Monat mit Zahlen für alle Mitgliedstaaten – im EU-Mittel bei 34 Cent/l gelegen, während die bisherigen Rückmeldungen für Januar auf gut 32 Cent hindeuteten. Das sei noch immer ein vernünftiges Niveau, wenn man die Preisspitzen der vergangenen zwei Jahre und den jüngsten Rückgang der Futterkosten mitberücksichtige. Mit Blick auf das Auslaufen der Garantiemengenregelung Ende März kündigte Hogan jedoch an, die Kommission werde die Beihilfen zur privaten Lagerhaltung von Butter und Magermilchpulver über Februar hinaus bis Ende September 2015 verlängern.
Chancen und Risiken
Bei einer Anhörung zur Zukunft des Milchsektors am
Dienstag voriger Woche im Europaparlament waren die Meinungen gespalten.
Während Wissenschaftler, Vertreter des Deutschen Bauernverbandes (DBV)
sowie der EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen
Genossenschaften (COGECA) eher auf die Chancen der Milchproduktion an
den internationalen Märkten abzielten, warnten unter anderem das
European Milk Board (EMB) sowie Politiker der Fraktion Die Grünen/EFA
vor dem „blinden Glauben an den sogenannten freien Markt”.
Professor
Ludwig Theuvsen von der Universität Göttingen betonte im
Europaparlament, die langfristigen Aussichten für den Milchmarkt blieben
trotz der jüngsten Preisrückgänge gut; dafür sorgten das globale
Bevölkerungswachstum und der damit verbundene Nachfrageanstieg nach
qualitativ hochwertigen Produkten. Während der Ökonom ein begrenztes
Sicherheitsnetz für sinnvoll erachtet, hält er eine zentrale
Mengensteuerung für nicht zielführend, extrem bürokratisch und schwierig
in der Umsetzung.
Als Beispiel führte er Kanada an. Die dort seit
langem praktizierte Angebotssteuerung habe den Strukturwandel nicht
verhindert, aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit des kanadischen
Milchsektors verschlechtert.
Quotenende vorweggenommen
Von einem
Freihandelsabkommen mit den USA verspricht sich Theuvsen mehr Chancen
als Risiken, denn die EU habe ein differenziertes Angebot. Allerdings
müsse man regionale Produkte und europäische Qualitätsstandards
schützen.
Als DBV-Vertreter betonte Alfred Enderle, Milcherzeuger
und Bezirkspräsident für den Bereich Schwaben im Bayerischen
Bauernverband (BBV), im Ende der staatlichen Mengenregulierung liege
eine Chance. Das ablaufende Milchwirtschaftsjahr habe das Quotenende
praktisch vorweggenommen. Die Preise dürften kurzfristig weiter sinken;
dies sei jedoch eher der allgemeinen Marktlage geschuldet.
Enderle
plädierte für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Molkereien, um das
Marketing auf regionalen, nationalen und internationalen Märkten zu
stärken. Als Beispiel führte der Milchbauer aus dem Oberallgäu den
Milchwirtschaftlichen Verein Allgäu-Schwaben an, wo er selbst im
Vorstand sitzt. In dem Verein arbeiteten alle Milcherzeuger der Region
und 40 milchverarbeitende Unternehmen zusammen, um beispielsweise die
geschützten Ursprungsbezeichnungen (g.U.) „Allgäuer Emmentaler” und
„Allgäuer Bergkäse” zu produzieren.
Mit Blick auf den Erhalt der
Milcherzeugung in benachteiligten Gebieten betonte Enderle, die
allgemeine Milchmarktpolitik könne nur einen Teil zur Verbesserung der
Lage beitragen. Notwendig seien weitere wirtschaftliche Standbeine für
den Betrieb als auch bessere Beratungsangebote vor Ort. Ferner mahnte er
einen weiteren Bürokratieabbau an. Unter anderem kann er die Erhöhung
naturschutzfachlicher Dokumentationspflichten in Gebieten mit ohnehin
sinkenden Tierzahlen nicht nachvollziehen.
Die EMB-Vizepräsidentin
Sieta van Keimpema plädierte einmal mehr für die Einführung einer
Mengensteuerung nach einem Bonus-Malus-Konzept. Dieses Instrument sollte
jedoch nur im Krisenfall eingesetzt werden.
Krisen definieren
Dazu müsse
man jedoch definieren, was eine Krise ausmache. Für van Keimpema sind
Milcherzeuger, die ihre Produktion übermäßig ausdehnen, potenzielle
Verursacher von Preisrückgängen. Deshalb sollten sie im Falle eines
tatsächlichen Preisverfalls mit einer Strafabgabe dafür zur
Verantwortung gezogen werden. In diesem Zusammenhang bedauerte die
EMB-Vizepräsidentin den künftigen Wegfall der Superabgabe. Der
agrarpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Albert Deß, zog als Fazit
der Veranstaltung, dass es für eine auskömmliche Milchproduktion keine
Patentlösung gebe. Eine staatliche Mengenbeschränkung lehnte er ab.
Bayern produziere das Doppelte des eigenen Milchbedarfs. Wenn man sich
auf die Deckung des Eigenbedarfs beschränken wollte, müsste die Hälfte
der Erzeuger im Freistaat ausscheiden.
„Der Quote nicht nachweinen”
Für die Freien Wähler betonte Ulrike Müller, man müsse der
Milchquote nicht nachweinen. Sie habe die Landwirte viel Geld gekostet,
aber den Strukturwandel nicht gebremst.
Der agrarpolitische Sprecher
der Grünen/EFA, Martin Häusling, hält die Exportorientierung und die
Marktliberalisierung hingegen für überholt. Die Exportausrichtung bringe
große Nachteile mit sich, denn weder der russische noch der chinesische
Markt seien als Handelsplatz sicher, so Häusling im Anschluss. Er warf
der EU-Kommission vor, zwanghaften Optimismus zu verbreiten und Krisen
wegzudiskutieren. Seine Parteikollegin Maria Heubuch bezeichnete die
Idee von Marktchancen auf den Weltmärkten als „Ammenmärchen der
Milchindustrie”. Diese Weltmarktorientierung führe zu immer volatileren
Preisen, deren Risiko auf die Bauern ausgelagert werde. Im Schnitt der
letzten Jahre seien die Milchpreise durchgehend unterhalb der
Produktionskosten geblieben, so Heubuch. Das Ende der Milchquote setze
besonders kleine und mittlere Höfe unter Druck. AgE