Politik | 05. Februar 2015

Meinungsunterschiede zur Zukunft bei Milch

Wie geht es weiter bei der Milch? Die EU-Kommission sieht keine Krise. Bei einer Anhörung zur Zukunft des Milchsektors am Dienstag voriger Woche im Europaparlament waren die Meinungen dagegen gespalten.
Milch in der Diskussion: Während die einen die Chancen einer Exportorientierung hervorheben, halten sie andere für überholt.
Der europäische Milchsektor befindet sich nach Einschätzung der Europäischen Kommission nicht in der Krise. Das hat EU-Agrarkommissar Phil  Hogan  vergangene Woche beim Agrarrat in Brüssel unterstrichen (siehe auch BBZ 5/15, Seite 13). Der Erzeugerpreis habe Ende November – der vorerst jüngste Monat mit Zahlen für alle Mitgliedstaaten – im EU-Mittel bei 34 Cent/l gelegen, während die bisherigen Rückmeldungen für Januar auf gut 32 Cent hindeuteten. Das sei noch immer ein vernünftiges Niveau, wenn man die Preisspitzen der vergangenen zwei Jahre und den jüngsten Rückgang der Futterkosten mitberücksichtige. Mit Blick auf das Auslaufen der Garantiemengenregelung Ende März kündigte Hogan jedoch an, die Kommission werde die Beihilfen zur privaten Lagerhaltung von Butter und Magermilchpulver über Februar hinaus bis Ende September 2015 verlängern.
Chancen und Risiken
Bei einer Anhörung zur Zukunft des Milchsektors am Dienstag voriger Woche im Europaparlament waren die Meinungen gespalten. Während Wissenschaftler, Vertreter des Deutschen Bauernverbandes (DBV) sowie der EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) eher auf die Chancen der Milchproduktion an den internationalen Märkten abzielten, warnten unter anderem das European Milk Board (EMB) sowie Politiker der Fraktion Die Grünen/EFA vor dem „blinden Glauben an den sogenannten freien Markt”.
Professor Ludwig  Theuvsen  von der Universität Göttingen betonte im Europaparlament, die langfristigen Aussichten für den Milchmarkt blieben trotz der jüngsten Preisrückgänge gut; dafür sorgten das globale Bevölkerungswachstum und der damit verbundene Nachfrageanstieg nach qualitativ hochwertigen Produkten. Während der Ökonom ein begrenztes Sicherheitsnetz für sinnvoll erachtet, hält er eine zentrale Mengensteuerung für nicht zielführend, extrem bürokratisch und schwierig in der Umsetzung.
Als Beispiel führte er Kanada an. Die dort seit langem praktizierte Angebotssteuerung habe den Strukturwandel nicht verhindert, aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit des kanadischen Milchsektors verschlechtert.
Quotenende vorweggenommen
Von einem Freihandelsabkommen mit den USA verspricht sich Theuvsen mehr Chancen als Risiken, denn die EU habe ein differenziertes Angebot. Allerdings müsse man regionale Produkte und europäische Qualitätsstandards schützen.
Als DBV-Vertreter betonte Alfred  Enderle, Milcherzeuger und Bezirkspräsident für den Bereich Schwaben im Bayerischen Bauernverband (BBV), im Ende der staatlichen Mengenregulierung liege eine Chance. Das ablaufende Milchwirtschaftsjahr habe das Quotenende praktisch vorweggenommen. Die Preise dürften kurzfristig weiter sinken; dies sei jedoch eher der allgemeinen Marktlage geschuldet.
Enderle plädierte für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Molkereien, um das Marketing auf regionalen, nationalen und internationalen Märkten zu stärken. Als Beispiel führte der Milchbauer aus dem Oberallgäu den Milchwirtschaftlichen Verein Allgäu-Schwaben an, wo er selbst im Vorstand sitzt. In dem Verein arbeiteten alle Milcherzeuger der Region und 40 milchverarbeitende Unternehmen zusammen, um beispielsweise die geschützten Ursprungsbezeichnungen (g.U.) „Allgäuer Emmentaler” und „Allgäuer Bergkäse” zu produzieren.
Mit Blick auf den Erhalt der Milcherzeugung in benachteiligten Gebieten betonte Enderle, die allgemeine Milchmarktpolitik könne nur einen Teil zur Verbesserung der Lage beitragen. Notwendig seien weitere wirtschaftliche Standbeine für den Betrieb als auch bessere Beratungsangebote vor Ort. Ferner mahnte er einen weiteren Bürokratieabbau an. Unter anderem kann er die Erhöhung naturschutzfachlicher Dokumentationspflichten in Gebieten mit ohnehin sinkenden Tierzahlen nicht nachvollziehen.
Die EMB-Vizepräsidentin Sieta  van  Keimpema  plädierte einmal mehr für die Einführung einer Mengensteuerung nach einem Bonus-Malus-Konzept. Dieses Instrument sollte jedoch nur im Krisenfall eingesetzt werden.
Krisen definieren
Dazu müsse man jedoch definieren, was eine Krise ausmache. Für van Keimpema sind Milcherzeuger, die ihre Produktion übermäßig ausdehnen, potenzielle Verursacher von Preisrückgängen. Deshalb sollten sie im Falle eines tatsächlichen Preisverfalls mit einer Strafabgabe dafür zur Verantwortung gezogen werden. In diesem Zusammenhang bedauerte die EMB-Vizepräsidentin den künftigen Wegfall der Superabgabe. Der agrarpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Albert  Deß, zog als Fazit der Veranstaltung,  dass es für eine auskömmliche Milchproduktion keine Patentlösung gebe. Eine staatliche Mengenbeschränkung lehnte er ab. Bayern produziere das Doppelte des eigenen Milchbedarfs. Wenn man sich auf die Deckung des Eigenbedarfs beschränken wollte, müsste die Hälfte der Erzeuger im Freistaat ausscheiden.
„Der Quote nicht nachweinen”
Für die Freien Wähler betonte Ulrike  Müller, man müsse der Milchquote nicht nachweinen. Sie habe die Landwirte viel Geld gekostet, aber den Strukturwandel nicht gebremst.
Der agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA, Martin  Häusling, hält die Exportorientierung und die Marktliberalisierung hingegen für überholt. Die Exportausrichtung bringe große Nachteile mit sich, denn weder der russische noch der chinesische Markt seien als Handelsplatz sicher, so Häusling im Anschluss. Er warf der EU-Kommission vor, zwanghaften Optimismus zu verbreiten und Krisen wegzudiskutieren. Seine Parteikollegin Maria  Heubuch  bezeichnete die Idee von Marktchancen auf den Weltmärkten als „Ammenmärchen der Milchindustrie”. Diese Weltmarktorientierung führe zu immer volatileren Preisen, deren Risiko auf die Bauern ausgelagert werde. Im Schnitt der letzten Jahre seien die Milchpreise durchgehend unterhalb der Produktionskosten geblieben, so Heubuch. Das Ende der Milchquote setze besonders kleine und mittlere Höfe unter Druck. AgE