Die Diskussion um eine Haltungskennzeichnung für tierische Erzeugnisse ist erneut hochgekocht. Den Anlass dafür bot die Ankündigung des Lebensmitteldiscounters Lidl, ab Anfang April Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken mit einem mehrstufigen „Haltungskompass” auszuzeichnen.
Droht bald ein Label-Dschungel im Supermarkt?
Die neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner warnte in der vergangenen Woche davor, die Verbraucher zu überfordern. „Ich will ein staatliches Tierwohllabel einführen, das Verbrauchern eine klare Orientierung gibt”, erklärte die Ministerin. Die Verbraucher entschieden an der Kasse mit, was ihnen Tierwohl wert sei. „Das staatliche Label muss klar, wahr und verlässlich sein”, betonte Klöckner. Während die CDU-Politikerin offenbar weiter auf ein freiwilliges Label setzt, geht der Koalitionspartner weiter. „Wir brauchen jetzt dringend eine einheitliche und verpflichtende Kennzeichnung für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung”, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch. Man dürfe die Kennzeichnung nicht dem Markt und somit „dem freien Spiel der Kräfte” überlassen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf der Koalition vor, sich lediglich auf ein „Wischi-Waschi-Label” zu verständigen. Hofreiter befürchtet einen Label-Dschungel, „wenn jetzt jede Supermarktkette ihre eigene Kennzeichnung aus dem Boden stampft”. Fraktionskollege Friedrich Ostendorff bezeichnete ein freiwilliges Label erneut als mangelhaft. Zwingend notwendig seien „umfassende Änderungen jenseits von Spartenlösungen”. Umwelt- und Tierschutzverbände bekräftigten ihre Forderungen nach einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung. Der Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH, Hermann-Josef Nienhoff, sieht die gesamte Lebensmittelkette gefordert, sich auf eine abgestimmte Vorgehensweise zu verständigen. Der Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Felix Prinz zu Löwenstein, kritisierte, Lidl stifte beim Verbraucher Verwirrung, indem das Unternehmen in seinem Konzept die bewährte Reihenfolge bei der Eierkennzeichnung umkehre. „Wenn jetzt auch noch andere Handelsunternehmen ihre Marketingideen in jeweils eigenen Modellen der Fleischkennzeichnung verwirklichen, dann ist das Chaos perfekt”, so Prinz Löwenstein. Er appellierte an Ministerin Klöckner, die politische Führung zu übernehmen und ein verpflichtendes staatliches Kennzeichnungssystem einzuführen.
Verwirrend oder
gut durchdacht?
Auch QS-Geschäftsführer Nienhoff räumte ein, dass die von Lidl vorgesehene Zuordnung der einzelnen Stufen hinterfragt werden könne. Gleichwohl bestehe die Chance, „die Wertschöpfung für Fleisch zu erhöhen und die Wertschätzung für die Landwirtschaft und Tierhaltung in die gewünschte Richtung zu bringen”. Nienhoff bezeichnete die Lidl-Initiative als mutig und in den Umsetzungsschritten gut durchdacht. Möglich sei der Ansatz aber nur durch die Initiative Tierwohl (ITW), betonte er. Die Initiative Tierwohl biete die Voraussetzung für eine gesicherte Umsetzung der Stufe 2, einschließlich Finanzierung, vertraglicher Regelung und Kontrolle. Für die Stufe 3 stehe der Deutsche Tierschutzbund mit seinem Label Pate. Damit diese Art der Haltungs- und Tierwohlkennzeichnung langfristig funktionieren kann, hält es Nienhoff für dringend erforderlich, in der gesamten Kette eine abgestimmte einheitliche Vorgehensweise zu vereinbaren. Andernfalls drohe ein Flickenteppich von Kennzeichnungen, „der die Verbraucher irritiert und für die Land- und Fleischwirtschaft nicht umsetzbar ist”. Zudem müssten sich die Wirtschaftsbeteiligten auf einen geeigneten Weg verständigen, die Initiative Tierwohl nach 2020 weiter fortzuführen. Falls die Wertschöpfungskette sich einig werde, müsse der Verbraucher für seine Tierwohlvorstellungen „das Portemonnaie öffnen”. An die Bundesregierung appellierte der QS-Geschäftsführer, sich in Sachen staatliches Tierwohllabel „dem machbaren Weg” anzuschließen, der von der Wirtschaft eingeschlagen werde. Für die Landwirtschaft sei entscheidend, dass die notwendige Planungssicherheit gewährleistet werde und angemessene Preise die erhöhten Aufwendungen abdeckten. Offen bleibe bis auf Weiteres die Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
Initiative Tierwohl mit Kennzeichen am Start
Die Initiative Tierwohl unternimmt unterdessen den ersten Schritt zur Kennzeichnung ihrer Produkte. Seit dem 3. April wird unverarbeitetes Hähnchen- und Putenfleisch in den beteiligten Einzelhandelsunternehmen mit dem neuen Produktsiegel ausgezeichnet. Für Verbraucher werde damit eindeutig erkennbar, dass das Fleisch von Betrieben stamme, die an der Initiative Tierwohl teilnehmen und so über die gesetzlichen Standards hinaus Maßnahmen für eine tiergerechtere Haltung umsetzen, teilte die Initiative mit. Ihren Angaben zufolge kann ab Oktober 2018 auch frisches, bearbeitetes – also zum Beispiel gewürztes, mariniertes oder paniertes – Geflügelfleisch durch das Siegel gekennzeichnet werden.
Das Lidl-Konzept mit vier Stufen
Nach dem vierstufigen Lidl-Konzept entspricht dieStufe 1 – „Stallhaltung” – den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Fleisch der Stufe 2 – „Stallhaltung Plus” – korrespondiert mit den Vorgaben der Brancheninitiative Tierwohl. Den Tieren soll mehr Platz als vorgeschrieben gewährt werden und Beschäftigungsmaterial zur Verfügung stehen müssen. Mit Stufe 3 – „Auslauf” – verbindet Lidl weitergehende Anforderungen. So soll den Tieren noch mehr Platz zur Verfügung stehen als in Stufe 2 und sie sollen Zugang zu Außenklimabereichen haben müssen. Zusätzlich sollen die Futtermittel ohne Gentechnik erzeugt worden sein. Schließlich will Lidl Biofleisch mit der Stufe 4 „Bio” kennzeichnen.
Gekennzeichnet werden soll ausschließlich deutsche Rohware. An der Preisgestaltung soll sich zunächst nichts ändern. Eigenen Angaben zufolge will Lidl erreichen, dass bis Anfang 2019 rund die Hälfte seiner Frischfleischprodukte mindestens der Stufe 2 entspricht. Langfristig wolle man dazu beitragen, „dass sich die Standards in ganz Deutschland sukzessive erhöhen”, teilte das Unternehmen mit.