Land und Leute | 24. Januar 2018

Vielfalt: Voraussetzung für erfolgreiche Zukunft

Von Sylvia Pabst
Insbesondere einer Bauernfamilie auf den Fildern hat Landtagspräsidentin Muhterem Aras ihre gelungene Integration in Deutschland zu verdanken. Davon berichtete die Politikerin beim Landfrauentag des Bezirks Freiburg in Bötzingen. Sie warb für Vielfalt als Basis einer funktionierenden Gesellschaft.
Muhterem Aras, 1966 in der Türkei geboren, kam mit ihrer Familie als Zwölfjährige nach Deutschland, genauer nach Sielmingen auf den Fildern nahe Stuttgart. Sie sprach damals kein Wort Deutsch.  Rückblickend sagt sie: „Wir hatten viel Glück.” Denn ihre Mutter half bei einer schwäbischen Bauernfamilie auf dem Feld, und Muhterem und ihre Geschwister durften mit auf den Hof kommen und freundeten sich mit der Tochter der Bauernfamilie an.
Sie haben gespielt, aber auch bei Arbeiten geholfen. Sie lernten dabei das Leben vor Ort kennen, und die deutsche Sprache wurde ihnen vertraut. „Die Familie ist uns auf Augenhöhe und mit Respekt begegnet”, erinnert sich die heutige Landtagspräsidentin.
Gleichzeitig seien auch ihre eigenen Eltern sehr offen gewesen. Dass beide Seiten sich ohne Vorurteile begegneten, war Voraussetzung für das, was heutzutage als Integration bezeichnet wird. Hinzu kam, dass sie auch schnell Teil der Schulgemeinde wurde.
Und so sei Deutschland für Muhterem Aras fast unbemerkt zur Heimat geworden. Aus ihrer eigenen Biografie heraus unterstreicht sie: „Solche Erfahrungen müssen wir befördern. Dafür brauchen wir Begegnungen.” Und sie führt aus: „Ein gutes Zusammenleben in einer Wertegemeinschaft braucht den Austausch in allen Lebenslagen.” Entsprechend rät sie: „Begegnen wir uns mit Respekt vor unserer Vielfalt – daraus entsteht Zusammenhalt.”
Landtagspräsidentin Muhterem Aras sprach in Bötzingen über das Thema „Vielfalt – ein Grundwert stiftet Heimat”.
Vielfalt ist Basis der Gesellschaft
Um anschaulich zu machen, welchen Wert Vielfalt im Alltag hat, erinnerte sie an eine Aktion einer Supermarktkette vor ein paar Monaten: Diese nahm alle Produkte aus ihren Regalen, die aus dem Ausland beziehungsweise einer anderen Kultur stammten. Die Auslage war fast leer. Stattdessen standen dort Schilder mit Sprüchen wie: „Dieses Regal ist ohne Vielfalt ziemlich langweilig.”
Durch diese Aktion fiel auf, aus wie vielen Ländern sich die Lebensqualität hierzulande speist. Entsprechende Beispiele internationaler Vielfalt lassen sich in Mode und Musik finden, wie Aras aufzählt. Gleichzeitig erinnert sie daran, welch hohen Stellenwert der Begriff „made in Germany” hat – er steht für Spitzenprodukte.
Zu bedenken sei gleichzeitig:  „Die weltbesten Autos, die weltbesten Maschinen waren und sind sehr oft auch ‚made by‘ Jugoslawen, Italienern, Griechen, Türken und so weiter. Sie alle haben den Aufstieg Deutschlands zur führenden Industrienation Europas, das Wirtschaftswunder, mit ermöglicht.”
Parallel dazu brachten sie ihre Kultur mit – Pizza, Tango, Weltmusik gehören mittlerweile selbstverständlich zu unserem Alltag, wie Aras unterstreicht. Für die Landtagspräsidentin ist Vielfalt folglich zentral für die weitere positive Entwicklung der Gesellschaft, und sie unterstreicht: „Sie ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft und einen starken Zusammenhalt.”
Denn Zusammenhalt entstehe nicht, wenn man ihn in abgekapselten, homogenen Gruppen sucht. „Eine solche Gesellschaft zerfällt in auseinanderdriftende Milieus, die sich wechselseitig als Bedrohung empfinden.” Umso mehr ist Vielfalt für Aras Basis der Gesellschaft.
Grundgesetz lässt sich nicht verhandeln
Vielfalt bedeutet für sie aber nicht, dass jeder Mensch machen kann, was er oder sie will. Stattdessen brauche es einen festen Sockel gemeinsamer Werte. Den biete das Grundgesetz als unverhandelbare Grundlage für Einheimische wie Neuankömmlinge.  Gegenseitiger Respekt sei der Geist der Verfassung, dazu gehöre auch, den Mut aufzubringen, Unterschiede zu akzeptieren. Denn: „Eine versöhnte Verschiedenheit funktioniert nur, wenn sie auf Wechselseitigkeit beruht”, sagt Aras. Anerkennung zollt die Landtagspräsidentin allen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, darunter viele Landfrauen. Eine von ihnen ist Elisabeth Lay, Vorsitzende der Landfrauen Bötzingen. Sie berichtete in einer von Anne Körkel moderierten Gesprächsrunde über ihre Erfahrungen. Sie schilderte, was es für eine Familie bedeutet, wenn trotz Integration vor Ort keine Wohnung gefunden wird und ein Umzug in eine andere Gemeinde zu einem erschwerten Neuanfang führt. Landrätin Dorothea Störr-Ritter, die ebenso wie Bötzingens Bürgermeister Dieter Schneckenburger und Muhterem Aras an der Runde teilnahm, berichtete von 51 Helferkreisen mit mehr als 2000 Ehrenamtlichen, die sich für geflüchtete Menschen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald engagieren.  Sie sieht als wichtigste Aufgabe, den sozialen Frieden vor Ort aufrechtzuerhalten. Auch habe der Landkreis viel Geld in die Hand genommen, um menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Schade sei  allerdings, dass der Kreis sich nun mit dem Land auseinandersetzen müsse, diese Vorleistung zügig erstattet zu bekommen.
Flüchtlingsfrauen werden Landfrauen
Auf die Frage, welche Wunschvorstellung er mit dem Blick in die Zukunft, konkret dem Jahr 2030 verbinde, sagte Schneckenburger: „Wenn viele Flüchtlingsfrauen hier sitzen als Mitglied der Landfrauen.” Anne Körkel schloss die Runde mit einem Bogen zum Anfang der Veranstaltung, die der Frauenchor Cantiamo mit dem Nena-Song „Irgendwie, irgendwo, irgendwann” eingestimmt hatte. Darin heißt es „Gib mir die Hand”. Diese Zeile sei ein wichtiger Grundsatz, so Körkel, „dann haben wir vor 2030 keine Angst”.  
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