Land und Leute | 14. Juli 2017

Männer zu Hause Fähigkeiten entwickeln lassen

Von Michaela Bross
Mit viel Mut setzen sich Frauen für ihre Belange, die Zukunft und den ländlichen Raum ein und verwirklichen ihre Ideen. Dies wurde deutlich beim Internationalen Fachkongress „Land.Frauen.Zukunft” in Bad Herrenalb (Kreis Calw).
Eingeladen hatten die Landfrauenverbände Baden-Württemberg und das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Seit 2001 gibt es diesen Kongress, und er habe sich zu einem großen Erfolg entwickelt, betonte Isabel Kling vom Ministerium, die als Moderatorin durch den Tag führte. 2003 öffnete der Kongress seine Grenzen und ist seither international. Auch dieses Mal waren Gäste aus Finnland, Katalonien und Ungarn dabei. Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch lobte die bedeutungsvolle Arbeit der Frauen im ländlichen Raum in ganz Europa. Vor allem die Landfrauen seien wichtige Schlüsselakteurinnen. Sie verwies zudem auf die vielen maßgeschneiderten Förderprogramme für Frauen.
„Mit kleinen Schritten beginnen auch große Veränderungen”, sagte die Präsidentin des Landfrauenverbands Württemberg-Hohenzollern, Juliane Vees. Ein tragfähiges und verlässliches Netzwerk aufzubauen, Erfahrungen einzubringen und anderen zu helfen, um den ländlichen Raum mit Mut zu neuen Ideen voranzubringen, sei unerlässlich.
„Alle wollen meine Zeit”
Christine Binder, Jessica Knall, Sybille Schanz-Matern, Charlotte und Claudia Bohnet (v.l.) stellten ihre verschiedenen Projekte aus Baden-Württemberg vor. Isabel Kling (rechts) moderierte.
Interessiert lauschten die Frauen der Professorin Johanna Possinger, die über „Kind, Partner, Chef, Verein: alle wollen meine Zeit!” sprach. Sie beschrieb zeitliche Wünsche von Eltern, den Abgleich mit der Realität, Konsequenzen für den Familienalltag, Gründe für Zeitnot und Handlungsbedarf.
Der Rat der Expertin lautete, Männer mit den Aufgaben zu Hause allein zu lassen, damit sie entsprechende Fähigkeiten entwickeln könnten. Absolut partnerschaftlich geteilt wird laut Possinger nur der Bereich des Spielens mit den Kindern. Frauen fühlten sich verpflichtet, sich zu Hause intensiv einzusetzen, selbst wenn sie beruflich genauso eingespannt seien wie die Partner. „Mit Heidi Klum als Leitbild erwarten sie dann noch von sich, immer gute Laune zu haben und Sport zu machen, um adrett auszusehen."
Nach dem amüsanten musikalischen Kabarettvortrag von „Frauengold” – Dr. Renate Geigenhals, Spätfeministin mit hohem Anspruch, und Margot Finkbeiner, Spätzünderin mit hohem Einsatz –  stellten die ausländischen Gäste ihre Projekte vor.
Aus Katalonien kommt die junge Landwirtin Rosé. Zusammen mit ihren Geschwistern hat sie den Familienbetrieb übernommen. Damals noch mit Milchkühen. Jetzt bieten sie Ökofleisch an. Die Tiere schlachten sie selbst, verpacken das Fleisch und verkaufen direkt an Restaurants, an den Einzelhandel und auf dem Markt in Barcelona. Sie haben in ihrer Region zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, und der Preis des Fleisches hat sich zwischenzeitlich verdoppelt.
Begeistert zeigten sich die Frauen von den Projekten in Finnland. Maija-Liisa Tauta-Ojala stellte die „Land- und Hauswirtschaftsfrauen in Finnland” vor, die über 40 000 Mitglieder in fast 1300 Ortsvereinen haben. Die Frauen bieten genau wie die Landfrauen in Deutschland Aus- und Weiterbildungen, Kurse, Ausflüge und Beratungen in verschiedenen Bereichen wie Ernährung, Landschaftspflege, Unternehmensdienstleistungen und Verbandsarbeit.
Das „ProUnternehmen-in-der-Region-Kainuu–Projekt” bringt Frauen dort vor Ort  ein Zusatzeinkommen. Es umfasst Bereiche wie Tourismus, Lebensmittel, Pflege, Therapien sowie Direktvermarktung und soll junge Unternehmerinnen unterstützen.
Das „Nordisch Essen und Reisen – Arctic Food and Travel Projekt” in Oulu wird zu 80 Prozent EU-gefördert und ist für kleine Unternehmen gedacht. Für Touristen sollen hier regionale hochwertige Lebensmittel, die Werte der Landschaft, der Kultur und der Tradition erlebbar gemacht werden. Kontinuierlich sollen die Unternehmerinnen hier geschult und beraten werden. Auch der Austausch untereinander werde gefördert.
Die Ungarin Margit Batthyàny-Schmidt stellte die 2013 gegründete „Vereinigung der Union der Ungarischen Frauen vor” (UUF), die es sich zum Ziel gemacht hat, Frauen auf dem Land zu stärken, Netzwerke aufzubauen, die Infrastruktur zu verbessern, gute Aus- und Weiterbildungen zu bieten sowie Start-ups für Unternehmerinnen zu unterstützen.
Projekte aus Baden-Württemberg
Aber auch Projekte aus Baden-Württemberg, die einer kleinen Gesprächsrunde vorgestellt wurden, fanden großen Anklang bei den Kongressteilnehmerinnen. So stellten die 28-jährigen Charlotte und Claudia Bohnet aus Freudenstadt-Musbach ihren Lieferservice „Mein Brotkörbchen” vor, den sie neben der Übernahme des elterlichen Biolandbetriebs gegründet haben. Geliefert werden ofenfrisches Bauernbrot, Brötchen, Hefezopf und mehr. In den vergangenen beiden Jahren haben sie den Kundenstamm verdoppelt.
Das „Netzwerk Einkommen schaffende Dienstleistungen” (NEsD) unterstützt Frauen im ländlichen Raum bei der Suche nach Einkommensmöglichkeiten und berät diese, wie Projektmitarbeiterin Christine Binder erklärte. Außerdem gibt es Vernetzungen unter anderem mit dem Bildungs- und Sozialwerk des Landfrauenverbands Württemberg-Baden.
„Hallo Treff” ist ein Erfolgsmodell von Sybille Schanz-Matern. Das Café-Lädle in Stimpfach erfreut sich großer Beliebtheit und ist mittlerweile ein Treff für Jung und Alt.
Organisierte Nachbarschaftshilfe mit Modellcharakter bieten die Nachbarschaftshilfevereine, für die es  ein Netzwerk gibt. Dieses stellte Jessica Knall vor. Seit Mai 2016 unterstützt das Netzwerk  unter anderem mit Schulungen von Gemeinden und Frauen im ländlichen Raum Baden-Württembergs, die sich bei der Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen auf dem Land engagieren oder neue Vereine aufbauen und weiterentwickeln wollen. Ziel ist, die Lebensqualität vor Ort zu verbessern und Frauen wohnortnahe Arbeitsmöglichkeiten zu bieten.
Edelgard Fieß-Heizmann vom Ministerium resümierte, dass Frauen in ganz Europa sich sehr ähnlich seien in ihren Anliegen, Wünschen und Projekten. Sie betonte, dass auch das EU-Parlament diese Frauenpower gebrauchen könnte.