Land und Leute | 14. Januar 2016

Wechselvolle Geschichte der Illenau

Von Michaela Bross
„Giegs nit mit ’em Schtuhl”, wurden Generationen von Kindern in Oberachern ermahnt, sonst könnten sie ja vom Stuhl fallen und sterben. Die älteren und auch die etwas jüngeren Landfrauen aus Oberachern (Ortenaukreis) erinnern sich noch ganz genau an ein bestimmtes Mädchen vom Illenauer Friedhof.
Dass tatsächlich das Mädchen Eugenie Gaetschenberger unglücklich vom Stuhl in der Schule gefallen und daran gestorben ist, erzählte den Frauen Stadtarchivarin Andrea Rumpf bei einer Führung durch das Illenau Museum in Achern. Sie hatte nachgeforscht und herausgefunden, dass die neunjährige Eugenie 1877 tatsächlich unglücklich vom Stuhl fiel und starb. Sie entstammte einer äußerst wohlhabenden Familie und besuchte die Höhere Töchterschule in Baden-Baden. Eugenies Vater und ihr 20-jähriger Bruder waren Patienten der Illenau, einst eine Heil- und Pflegeanstalt.
Düstere Zeiten
Auf dem Illenauer Friedhof wurde einst zum Gedenken eine Marmorskulptur aufgestellt, die ein mit gefalteten Händen auf einem Stuhl kniendes Mädchen zeigt. Heute steht die Skulptur im Illenau Museum und bildet den Eingang zur Geschichte der Illenau. Aber das war nicht die einzige Geschichte, die Andrea Rumpf lebendig erzählte. Bietet doch die ehemalige psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt einige Anekdoten, vom Gründer Christian Roller bis hin zur französischen Besatzung.
Bei einer Führung durch das Illenau Museum erfuhren die Landfrauen vor dem Denkmal Eugenie Gaetschenbergers vom Schicksal dieses früh verstorbenen Mädchens.
Heitere, aber auch düstere Zeiten entstehen vor den Augen beim Hören und Betrachten der Bilder und Exponate. So machen die soliden Metallbeschläge einer Anstaltstür aus dem Bereich der unruhigen Patienten deutlich, welche baulichen Anstrengungen gemacht wurden, um möglichen Tobsuchtsanfällen standzuhalten. Dabei eröffnet ein kleines, in der Tür eingelassenes Fenster den Blick auf eine Badewanne und verweist damit auf das in der Illenau häufig angewandte „wassertherapeutische” Anwendungsszenario. Manche der Frauen erinnerten sich noch an die Schreie der Menschen, die in Teilen von Oberachern zu hören gewesen waren.
Aber auch musikalische Therapien gehörten zum Alltag der Illenau, genauso wie die Kunst. Bilder von Carl Sandhaas, Franz Karl Bühler und Helena Philomena Maisch weisen darauf hin. Düster wird es mit der Zeit des Nationalsozialismus. Kleine Holztäfelchen erinnern an die ermordeten Patientinnen und Patienten. Missbraucht wurde das so geräumte Gebäude als Reichsschule für Volksdeutsche. Erst für Mädchen aus Südtirol, dann für etwa 50 verschleppte polnische Mädchen, die hinter Gittern leben mussten. Eindrucksvoll sind die Aussagen von Augenzeugen. Auch die Oberacherner Landfrauen wussten dazu einiges.
Wie viel Zeit und immense Geduld Andrea Rumpf in die umfangreiche Recherche investiert hatte, beeindruckte die Frauen. Nach der Führung sprachen sie nochmals über die großartigen Anfänge der Illenau, die einst Maßstäbe setzen sollte für eine bessere, humanere Zukunft auf dem Gebiet der Psychiatrie. Aber auch der entsetzliche Euthanasieerlass, demzufolge unter den Nazis die Kranken von der Illenau zur Tötungsanstalt Schloss Grafeneck im Kreis Reutlingen gebracht wurden, die Zeit als Nationalpolitische Erziehungsanstalt und später als Kaserne sowie die Entwicklung und Sanierung der Gebäude, die heute unter anderem das Illenau Arkaden Museum beherbergen, waren Thema.