Tierhaltung | 13. Juli 2017

Lebendhefe: Lohnt der Einsatz?

Von Dr. Thomas Ettle, Dr. Hubert Schuster, LfL Bayern
Lebendhefen wird eine ganze Reihe von positiven Eigenschaften in der Milchviehfütterung nachgesagt, angefangen von der Pansenstabilisierung bis hin zur Milchleistungssteigerung. Selbst bei Hitzestress soll der Einsatz von Lebendhefen positive Auswirkungen zeigen.
In der Milchviehfütterung werden bei steigenden Milchleistungen zunehmend Rationen mit vergleichsweise niedrigen Fasergehalten und andererseits hohen Gehalten an leicht löslichen Kohlenhydraten gefüttert. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Art der Fütterung häufig in den Grenzbereichen einer wiederkäuergerechten Ernährung abspielt und den Pansen der Tiere belastet. Um hier die Verhältnisse zu stabilisieren, werden in der Praxis relativ häufig Lebendhefen als Futterzusatzstoff eingesetzt.
Ziel: Stabilisierung des Pansen-pH-Wertes
Positive Auswirkungen auf die Futteraufnahme in der Frühlaktation können beim Einsatz von Lebendhefe als weitgehend gesichert angesehen werden.
Man verspricht sich davon die Förderung von milchsäureverwertenden oder zelluloseabbauenden Mikroorganismen, zum Beispiel durch Bereitstellung von Wachstumsfaktoren oder durch Schaffung anaerober Bedingungen durch Förderung von Gärungsprozessen. Der von den Hefen verbrauchte Zucker steht darüber hinaus nicht mehr zur Milchsäurebildung durch andere Mikroorganismen zur Verfügung. Da Milchsäure den pH-Wert im Pansen relativ stark absenkt, könnte dies trotz insgesamt erhöhter Bildung von flüchtigen Fettsäuren infolge eines erhöhten Faserabbaus zu einer Stabilisierung des Pansen-pH-Wertes führen.  Weiterhin wird angenommen, dass es zu einer Steigerung der Gesamtzahl an Bakterien im Pansen und dadurch zu einer erhöhten Anflutung an Mikrobenprotein am Darm kommen könnte.
 All diese Mechanismen könnten zu einer Steigerung der Futteraufnahme, Verringerung einer negativen Energiebilanz und letztendlich zu einer Steigerung der  Milchleistung führen. Verschiedentlich wird auch angeführt, dass Hefen pathogene Keime  binden und mit Hilfe von Glycoproteinen unschädlich machen können.
Bei allen genannten Mechanismen greifen die Lebendhefen regulativ in den Pansenstoffwechsel ein. Dies ist nur möglich, wenn die Hefen nicht inaktiviert wurden. Inaktiviert wird dagegen Bierhefe eingesetzt, die beim Brauprozess anfällt. Diese inaktivierte Bierhefe ist proteinreich und enthält darüber hinaus B-Vitamine und Enzyme, weswegen sie in der Wiederkäuerfütterung – frisch oder getrocknet – als Einzelfuttermittel (Proteinquelle) eingesetzt wird, wohingegen bei den Lebendhefen der Nährstoffcharakter ohne Bedeutung ist. Für den Einsatz der Lebendhefen gilt,  dass eine unbeabsichtigte Schädigung bzw. Inaktivierung zum Beispiel durch Hitze oder Kälte während der Verarbeitung oder Lagerung vermieden werden muss.
Widersprüchliche Versuchsergebnisse
Lebendhefen sind Futtermittelzusatzstoffe und müssen als solche zugelassen sein. Dabei variieren die zugelassenen Produkte sehr stark in ihrer Konzentration an Koloniebildenden Einheiten (KBE). Darüber hinaus variiert auch die empfohlene Einsatzhöhe zwischen den diversen  Produkten sehr stark. Häufig wird argumentiert, dass insbesondere bei höheren Einsatzmengen positive Auswirkungen zu erwarten sind. Dies bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass bei niedrigeren Einsatzhöhen keine positiven Versuchsergebnisse gezeigt werden konnten.
Die genannen  Verbesserungen im Pansenmilieu und eine erhöhte Anzahl an erwünschten Mikroorganismen im Pansen könnten sich zunächst in einer verbesserten Verdaulichlichkeit der Ration nach Zulage von Lebendhefen zeigen.  In einer  Untersuchung an der  Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL)  konnte dabei  im Jahr  2002 ein deutlicher Effekt der Zulage einer Lebendhefe auf die Verdaulichkeit der organischen Substanz gezeigt werden, allerdings jedoch nicht auf die Verdaulichkeit der Rohfaser.  In einer  Untersuchung der LfL Bayern aus dem Jahr 2016  mit einem anderen Hefestamm ergaben sich dagegen keine sichtbaren Effekte. Dabei sind die unterschiedlichen Ergebnisse offensichtlich nicht allein auf den verwendeten Hefestamm zurückzuführen, da in einer vergleichbaren Untersuchung an der Universität Hohenheim aus dem Jahr 2005 beim Einsatz des gleichen  Hefestamms wie 2002 an der LfL Bayern keine Beeinflussung der Verdaulichkeit festgestellt wurde. Dies deckt sich auch mit den unterschiedlichen Ergebnissen, die sich aus umfassenderen Literaturübersichten ergeben.
Der Einsatz von Lebendhefen wird insbesondere bei Hochleistungstieren ab einer Milchleistung von etwa 35 kg Milch und zu Laktationsbeginn empfohlen. Vor allem bei solchen Tieren könnte eine erhöhte Futteraufnahme zu einer Stabilisierung des Stoffwechsels und zur Vorbeugung von Erkrankungen (z. B. Acidose, Ketose) beitragen. Die gewünschten Wirkungen sollten nach Adaptation des Pansens nach etwa zwei bis drei Wochen Fütterung eintreten. Obwohl die möglichen Wir-kungsweisen der Lebendhefen recht gut beschrieben sind, konnten bei einer großen Zahl von Fütterungsversuchen mit Lebendhefen die positiven Auswirkungen auf Futteraufnahme und Leistung nicht immer bestätigt werden.
 Auch in einem neueren Versuch an der LfL Bayern mit 48 Kühen der Rassen Fleckvieh und Braunvieh ergaben sich keine positiven Effekte einer Hefezulage auf Futteraufnahme und Milchleistung (siehe Tabelle). Dabei lag die Milchleistung mit etwa 35 kg je Tier und Tag zu Versuchsbeginn in einem hohen Bereich, und die Rationen wurden bewusst auf relativ hohe Gehalte an (pansenabbaubaren) Kohlenhydraten (Stärke und Zucker) und niedrige Fasergehalte eingestellt. Auch wenn jeweils nur die zwölf leistungsstärksten Kühe jeder Gruppe betrachtet wurden, ergaben sich bei einer Milchleistung zu Versuchsbeginn von rund 40 kg jeTier und Tag keine deutlichen Effekte der Lebendhefezulage. Allerdings befanden sich die Kühe in dieser Untersuchung nicht mehr am Laktationsbeginn. In einer  Untersuchung aus dem Jahr 2001, die an der TU München/Weihenstephan durchgeführt wurde,  konnten bei Einsatz desselben Hefestammes in der Frühlaktation zumindest nominal positive Effekte auf Futteraufnahme und Milchleistung gezeigt werden.
Wirkung abhängig von Rahmenbedingungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich aus einer Reihe von Untersuchungen im Mittel positive Effekte der Zulage von Lebendhefe in der Milchviehfütterung ergeben, was auf eine Verbesserung des Pansenmilieus und eine Förderung gewünschter Mikroorganismen im Pansen zurückzuführen ist. Andererseits konnten solche positiven Ergebnisse in einer großen Zahl von Untersuchungen nicht bestätigt werden. Die starke Variation in den Versuchsergebnissen ist auf unterschiedliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Futtermittelbasis und Rationszusammensetzung sowie Nährstoffdichte der Rationen zurückzuführen. Positive Auswirkungen auf die Futteraufnahme in der Frühlaktation können als weitgehend gesichert angesehen werden. Auch wenn die Wirkmechanismen noch nicht vollständig geklärt sind, können Lebendhefen dazu beitragen, die Verhältnisse im Pansen positiv zu unterstützen. Obwohl der Einsatz  von Lebendhefen auf nur etwa fünf Cent je Kuh und Tag beziffert wird, sollte der Landwirt trotzdem sorgfältig prüfen, ob sich die Verfütterung in der eigenen Herde tatsächlich positiv auswirkt. Auf keinen Fall ist der Einsatz von Lebendhefen zur Korrektur von gravierenden Fütterungs- und Managementfehlern geeignet.
Hitzestress – ein weiteres Einsatzfeld
Hitzestress tritt bei Milchvieh  in  Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit bereits ab einer Umgebungstemperatur von 20 bis  24 °C auf. Die Tiere  reagieren darauf mit einer ganzen Reihe von Anpassungsmaßnahmen wie zum Beispiel Schwitzen, gesteigerter Atemfrequenz oder erhöhter Wasseraufnahme. Mit etwas Verzögerung geht auch die Futteraufnahme zurück. Da die mikrobielle Fermentation im Pansen Wärme erzeugt, wodurch  die Temperatur im Pansen meist höher liegt als zum Beispiel die Rektaltemperatur, kann auch eine verringerte Futteraufnahme als Mechanismus der Thermoregulation angesehen werden. Wenn die Möglichkeit zur Selektion des Kraftfutters besteht, das heißt wenn keine totale Mischration gefüttert wird, kann besonders die Grobfutteraufnahme zurückgehen. Das bedeutet andererseits, dass der Kraftfutteranteil in der Ration ansteigt und die Faseranteile  absinken, die Wiederkäuergerechtheit der Ration leidet und die Gefahr einer Übersäuerung des Pansens steigt. Wenn der Landwirt dann noch versucht, das Absinken der  Milchleistungen über höhere Kraftfuttergaben zu mindern, verschärft sich die Situation.
 Dies sind   Bedingungen, in denen Lebendhefen positiv in den Pansenstoffwechsel eingreifen könnten. Dementsprechend wird in jüngerer Zeit verstärkt auf Fütterungsversuche hingewiesen, in denen Zulagen von Lebendhefen unter „Hitzestressbedingungen” positive Wirkungen zeigten. Vor oder neben deren Einsatz sollten aber  auch in solchen Situationen zunächst die Managementmaßnahmen wie Rationsgestaltung und Futtervorlage, Wasserversorgung, Stallklima etc. geprüft und optimiert werden.