Politik | 26. November 2020

Klöckner will Goliath zähmen

Von AgE
Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) beschlossen. Das Verbot von Praktiken wie kurzfristige Stornierungen verderblicher Lebensmittel und einseitige Änderungen der Lieferbedingungen soll die Akteure in der Kette „auf Augenhöhe” bringen.
Die Umsetzung der UTP-Richtlinie soll nach dem Willen der Bundesregierung die Akteure in der Kette „auf Augenhöhe” bringen.
Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) und zusätzlichen nationalen Ergänzungen will die Bundesregierung die kleinen Lieferanten und die Erzeugerstufe in der Lebensmittelkette gegen die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) stärken. „Unlautere Praktiken sind im Lebensmittelhandel vielfach Realität”, stellte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs am 18. November fest. Dieses „System” wolle die Bundesregierung beenden, auch um kleine Erzeuger und die regionale Produktion zu unterstützen.  Dazu müsse „Goliath gezähmt” und „David gestärkt” werden, so Klöckner.
Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist der Entwurf zur Umsetzung der UTP-Richtlinie „ein guter Kompromiss zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern, sonstigen Lebensmittelherstellern und -lieferanten auf der einen sowie dem Lebensmitteleinzelhandel auf der anderen Seite”. Für beide Seiten seien faire und verlässliche Vertragsbeziehungen essenziell. „Diesem Ziel sind wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gerecht geworden”, sagte Altmaier.
Unterschiedliche Bewertungen
Während der Deutsche Bauernverband (DBV), der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) und die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) den Gesetzentwurf begrüßten, wurden vor allem vonseiten der Bundestagsopposition Kritik und Zweifel am Nutzen der Maßnahmen für Landwirte und Lieferanten laut.  Oppositionspolitiker und der Handel warnen vor steigenden Verbraucherpreisen.
Das steht im Gesetzentwurf drin
Wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, sollen Käufer Bestellungen von verderblichen Lebensmitteln nicht mehr kurzfristig stornieren oder einseitig die Lieferbedingungen, Qualitätsstandards und Zahlungsbedingungen ändern dürfen. Vorgesehen ist, dass das zulässige Zahlungsziel für solche Lebensmittel in Zukunft nicht später als 30 Tage und für nichtverderbliche Lebensmittel nicht später als 60 Tage betragen darf.
Klar untersagt soll auch werden, dass der Käufer Liefervereinbarungen trotz Verlangen des Lieferanten nicht schriftlich bestätigen oder die Käufer Geschäftsgeheimnisse von Lieferanten rechtswidrig erwerben und nutzen beziehungsweise Käufer mit Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art bedrohen. Entschädigungen durch Lieferanten für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden beim Abnehmer sollen ohne ein Verschulden des Lieferanten nicht mehr zulässig sein, ebenso wie die Rückgabe nicht verkaufter Erzeugnisse an den Lieferanten ohne Zahlung.
Untersagt wird der Vorlage zufolge außerdem, dass der Käufer vom Verkäufer eine Zahlung für die Lagerung der Erzeugnisse verlangt oder der Lieferant Kosten zu tragen hat, die dem Käufer ohne ein Verschulden des Lieferanten entstehen, nachdem die Ware dem Käufer übergeben wurde.
Nach dem Gesetzentwurf werden nur Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 350 Mio. Euro geschützt. So sieht das auch die Brüsseler Richtlinie vor.
Der Gesetzentwurf geht in mehreren Punkten über eine Eins-zu-eins-Umsetzung der UTP-Richtlinie hinaus. So ist auch vorgesehen, dass andere Handelspraktiken nur erlaubt sind, wenn sie vorher ausdrücklich und eindeutig zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden.
Dies soll beispielsweise dann gelten, wenn der Lieferant die Kosten für Preisnachlässe im Rahmen von Verkaufsaktionen übernimmt, wenn der Lieferant Listungsgebühren zahlt oder wenn ein Lieferant sich an Werbekosten des Händlers beteiligt.
Geldbußen bis 500000 Euro geplant
Durchsetzungsbehörde wird die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Sie wird nach Angaben des Bundesagrarministeriums Entscheidungen über Verstöße im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt treffen. Über die Höhe der Bußgelder soll die BLE  entscheiden, unter Einbeziehung einer Stellungnahme des Bundeskartellamts. Geplant sind Geldbußen  von bis zu 500000 Euro. Klöckner geht davon aus, dass das Gesetz im April 2021 in Kraft treten wird.
Wechselseitige Empörung
Äußerungen von Julia Klöckner in Richtung der großen Handelsketten haben diese empört. Wie die Wirtschaftswoche berichtet, haben sich die Chefs von Aldi, Edeka, Rewe und Lidl schriftlich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel beschwert. Die Bundeslandwirtschaftsministerin zeichne „ein Zerrbild der Lebensmittelhändler, die angeblich systematisch Veträge und Recht brechen”. Sie fühlen sich von ihr öffentlich diffamiert. Das wiederum hat die Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes und seiner Landesverbände zu einem offenen Brief an die Vorstandsvorsitzenden von Aldi, Edeka, Lidl und Rewe veranlasst. In dem Brief werden den Vorstandschefs „Empfindlichkeiten” vorgeworfen. Den Landwirten fehle jedes Verständnis für die Befindlichkeiten des Lebensmitteleinzelhandels. „Wir möchten diesen Empfindlichkeiten die Erfahrungen unserer Bauernfamilien gegenüberstellen, die seit Langem unter massivem wirtschaftlichem Druck stehen, der die Arbeitsfähigkeit, Existenz und Nachhaltigkeit vieler Betriebe zerstört hat und die verbliebenen   weiter gefährdet. Dieser Druck geht maßgeblich aus vom Preiswettbewerb in der Ernährungsindustrie, den der Lebensmittelhandel mit seinen Strukturen und seinem Einkaufsverhalten erzeugt und anheizt”, heißt es  in dem  Brief. Die Bauernverbandspräsidenten machen den Handel verantwortlich für „eine ausgeprägte Niedrigpreiskultur, mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und das Aus für viele Betriebe”.