Tierhaltung | 30. November 2017

Kanada: Ein neues Gatter für ein altes Problem

Von Benedikt Rodens, Rückweiler
Das in Nordamerika entwickelte Fingergatter hat eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber den bei uns üblicherweise in Milchviehbetrieben eingesetzten Einwegtoren. Der folgende Beitrag zeigt, für welche Zwecke dieses Gatter geeignet ist.
Marcel Steen mit seinem Hofschmied Jake Feldhuizen, der die Fingergatter auf dem Betrieb konstruiert hat. Am Ausgang der beiden Melkroboter ist jeweils ein Fingergatter angebracht.
Ob am Ausgang eines automatischen Melksystems, in Melkroboterbetrieben mit gelenktem Kuhverkehr oder im Rücktrieb von konventionellen Melkzentren, Einwegtore kommen täglich in vielen Milchviehbetrieben zur Steuerung des Kuhverkehrs zum Einsatz. In Nordamerika wurde in den letzten Jahren durch das auch dort steigende Interesse am automatischen Melken für diesen Zweck ein neues Gatter entwickelt, das Fingergatter.
Diverse Probleme bei konventionellen Toren
Gerade in automatischen Melkbetrieben mit gelenktem Kuhverkehr oder Feed-First-Fütterungssystemen kommen gleich mehrere Einwegtore zum Einsatz:
  • gegebenenfalls im Wartebereich des Melkroboters
  • am Ausgang des Melkroboters
  • gegebenenfalls im Nachwartebereich des Melkroboters
  • an Übergängen zum Selektions- bzw. Strohbereich
  • an allen Übergängen vom Futtertisch- zum Liegebereich
Breite Übergänge werden gebaut, damit rangniedere Tiere an ranghöheren Tieren vorbeigehen können. Durch dieses Einwegtor wurde der Übergang vom Fress- zum Liegebereich auf 1 m verschmälert, der Vorteil des breiten Überganges ist dahin! Steht eine ranghohe Kuh am Tor, kann keine rangniedere Kuh passieren. Auch hier kennt man das Problem, dass ungeübte Tiere nicht wissen, wie sie durch das Tor gelangen. Das Seil am linken Torflügel nutzt man bei Bedarf zum Aufbinden des Tores.
Je nach Größe des Stalls kommen so schnell zwischen fünf und zehn Tore zum Einsatz. Leider hat der Einsatz der bei uns üblichen Einwegtore so seine Tücken. Viele sind zu schwergängig oder konstruktionsbedingt für die Tiere schwer zu öffnen und erfüllen so  ihren Zweck nicht. Gerade junge Tiere haben hier oft Probleme. Vielfach werden dann die Tore  mit Stricken aufgebunden, doch damit ist das System des gelenkten Kuhverkehrs ad absurdum geführt. Zwar können jetzt die jungen Tiere die Bereiche wie vorgesehen wechseln, doch  die „alten Hasen” nutzen die Gelegenheit, um  in Bereiche zu gelangen, wo sie eigentlich nicht hingehören.
Doch es gibt noch ein ganz anderes Problem. Lauf- und Übergänge wurden in den letzten Jahren  immer breiter gebaut mit dem Ziel, dass ranghöhere und rangniedere Tiere ohne Rangeleien aneinander vorbeigehen können. Doch mit dem Einsatz von Einwegtoren wurde dieser Aspekt wieder zunichte gemacht. Denn dabei reduziert sich ein zum Beispiel 4 m breiter Übergang auf die Breite des Einwegtores, das in der Regel nur etwa 1 m breit ist. Steht nun eine ranghöhere Kuh in der Nähe des Tores, kann eine rangniedere Kuh nicht vom Fress- in den Liegebereich übertreten. Sie muss so lange warten, bis die ranghöhere Kuh den Platz  wechselt.
Mit der Ankunft automatischer Melksysteme in Nordamerika sahen sich auch die  kanadischen Milcherzeuger mit den geschilderten Problemen konfrontiert.  Innovative Stalleinrichter verfolgten hier einen völlig neuen Ansatz zum Bau von Einwegtoren, um die beschriebenen Probleme zu eliminieren. Dabei werden einzelne Stahlrohre, die nach unten hängen, im Abstand von etwa 20 cm an einem Querträger befestigt. Vom Boden aus gemessen ergibt sich eine Freiraumhöhe bis zu den Rohren von etwa 75 bis 90 cm. Die Rohre bewegen sich jedoch nur in eine Richtung, um den Zweck eines Einwegtores zu gewährleisten. Dieses  „Fingergatter” wird von den Tieren sehr gut angenommen. Besonders junge Kühe lernen recht schnell, wie ein solches Gatter funktioniert, das Aufbinden mithilfe von Stricken wie bei konventionellen Einwegtoren ist nicht mehr nötig.
Vier Beispiele aus Ontario
Marcel Steen aus Norwich in  Ontario (150 Kühe, 2 Melkroboter, 2 Fingergatter) hat am Ausgang seiner zwei  Stahlmelker jeweils ein Fingergatter installiert. „Seit Beginn funktionieren die Tore reibungslos, besonders die jungen Färsen gewöhnen sich recht schnell an das Gatter. Es ist auch absolut zuverlässig. Es können  keine Kühe in umgekehrter Richtung zum Roboter gelangen, um nach Kraftfutterresten zu suchen. Der Ausgang wird dadurch praktisch nie versperrt. Und es ist sehr leise. Die oben angebrachten Gummipuffer sorgen dafür, dass beim Zurückschlagen der Finger keinerlei Geräusche entstehen ”, resümiert Steen sichtlich zufrieden.
Hier betritt eine Kuh auf dem Betrieb O'Connor den speziellen Wartebereich für nicht gemolkene Kühe durch das Fingergatter.
Der international bekannte Holsteinzüchter Sean O’Connor aus Ajax in Ontario melkt 120 Kühe mit zwei  automatischen Melksystemen. An beiden Melkroboterausgängen wurden Fingergatter installiert. Zusätzlich sind im Selektionsbereich noch vier solche Tore verbaut, zudem eines am gesonderten Vorwartehof für die nicht gemolkenen Kühe, macht  insgesamt sieben Fingergatter. „Die  Gatter haben  vom ersten Tag an reibungslos funktioniert. Alle Tiere gewöhnten sich recht schnell an die Tore. Gerade für junge Tiere bedarf es keinerlei Zusatzaufwand zur Eingewöhnung”, sagt er.
Besonders vorteilhaft ist für ihn das Fingergatter im gesonderten Vorwartebereich  für die  nicht gemolkenen Kühe.  O’Connor weiter: „Jeden Morgen und jeden Abend schaue ich mir die Liste durch, welche Kühe in den vergangenen zwölf Stunden nicht gemolken wurden. Diese treibe ich dann in den speziell für diesen Zweck seitlich am Melkroboter angeordneten Vorwartebereich. An diesem Bereich ist ein Fingergatter angebracht. Sobald ich eine noch zu melkende Kuh durch das Fingergatter getrieben habe, kann sie den Bereich nur noch über den Roboter verlassen. Ich kann in aller Ruhe dann die nächsten nicht gemolkenen Kühe suchen und in diesen Bereich treiben. Dabei brauche ich nicht immer wieder ein Tor am Vorwartebereich zu öffnen mit der Gefahr, dass bereits hineingetriebene Kühe wieder ausbüxen. Es wird zwar auch mal eine Kuh zusätzlich mit in den Bereich getrieben, die es eigentlich nicht nötig hätte, aber das ist nicht weiter schlimm. Sie kann den Bereich ja über den Melkroboter wieder verlassen. Gerade in diesem Stallbereich ist das Fingergatter für mich eine deutliche Arbeitserleichterung und mindert Stress für Mensch und Tier.”  
Dieses zusätzliche Quertor kann Jack Danen bei Bedarf unter das Fingergatter schwenken. Damit kann er beim Treiben die Kühe daran hindern, aus der falschen Richtung in die Finger zu springen. Er kann so aber auch den Weg in normaler Laufrichtung versperren.
Ein weiterer,  entscheidender Vorteil gerade für Betriebe mit gelenktem Kuhverkehr zeigt sich auf der Farm von Jack Danen in Tavistock, Ontario (90 Kühe,
am Aufstocken,  2 Melkroboter, 8 Fingergatter). Im Gegensatz zu den bekannten Schwenk- bzw. Saloontoren sind Fingergatter nicht auf eine festgelegte Breite limitiert, sie können beliebig breit gebaut werden, ohne dass sie ihre Funktion dadurch verlieren. Nur mit einem Fingergatter erfüllen breite Übergänge ihre Aufgabe. Ranghöhere und rangniedere Kühe können ohne Probleme und ohne Rangeleien aneinander vorbeigehen.
„Für mich war die Entwicklung der Fingergatter ein ganz wichtiger Faktor für die  Entscheidung zum gelenkten Kuhverkehr. Auf der einen Seite wollte ich die Vorzüge des gelenkten Kuhverkehrs nutzen, um nicht jeden Tag den nicht gemolkenen Tieren hinterherzulaufen. Auf der anderen Seite störten mich jedoch die konventionellen Einwegtore, da sie den Vorteil breiter Übergänge zunichte machen. Mit den Fingergattern konnte ich meine Idee des gelenkten Kuhverkehrs umsetzen, ohne Kompromisse beim Kuhkomfort zu machen”, berichtet Jack Danen. Er hat vier  Fingergatter  im Selektionsbereich sowie  eines am Ausgang der Klauenwaschstraße, die alle jeweils etwa 1 m breit sind. Hinzu kommen drei  etwa 4,50 m breite Fingergatter an den Übergängen von Fress- zum Liegebereich.
 „Probleme gab es bisher nicht. Jedoch muss man sich beim Treiben der Tiere unbedingt einen ruhigen Umgang   angewöhnen, damit man sie nicht im Galopp in entgegengesetzter Richtung in die Fingergatter treibt. Das tut weder den Tieren noch dem Gatter gut”, gibt Danen zu bedenken. Für diesen Fall hat er zusätzliche Quertore im Bereich der Fingergatter zur Verfügung, die er beim Treiben der Kühe bei Bedarf unterhalb der Finger verschließen kann. So wird gewährleistet, dass keine Tiere durch das Gatter entweichen oder aus entgegengesetzter Richtung ins Gatter rennen. Doch was tun, wenn man die Kühe mal in entgegengesetzter Richtung durch das Gatter treiben will? „Das ist eigentlich auch kein Problem”, erklärt  Danen, „eines meiner drei großen Tore ist drehbar und lässt sich komplett zur Seite klappen. Bei den anderen Gattern ist es möglich, die Finger über den Hauptträger zu werfen. Dann lassen sich die Kühe auch  in entgegengesetzter Richtung treiben.” 
Auf dem Betrieb Frazer können mehrere Kühe zugleich durch das Fingergatter den Nachwartebereich zum Stall hin verlassen. Anschließend schlagen die Finger zurück gegen den Querträger (die roten Schlauchstutzen agieren dabei als Schalldämpfer).
Mark Frazer aus Embro in  Ontario (140 Kühe, 2 Melkroboter, 4 Fingergatter) erklärt: „Ein Stallneubau kam für uns nicht in Frage, also suchten wir einen geeigneten Platz im Stall zum Einbau der Roboter. Dabei ergab sich, dass wir den Kühen zwar keinen Vorwartehof, aber einen Nachwartebereich zur Verfügung stellen konnten. Das funktioniert im Nachhinein gesehen sehr gut. Die Kühe bleiben nach dem Melken in aller Regel noch ein wenig im Nachwartebereich stehen und genießen die Ruhe, bevor sie wieder in den Stall eintreten. Insgesamt haben wir vier Fingergatter im Melkbereich: zwei am Ausgang der Melkroboter, eins am Ausgang des Klauenbades und ein etwa 3 m breites Fingergatter  am Übergang von Nachwarte- in den Stallbereich, so können auch mehrere Kühe nebeneinander in den Stall eintreten,” erklärt  Frazer.
 Am 3 m breiten Gang hat er zusätzlich noch eine ebenso lange Stange angebracht. Die über eine Stahlfeder belastete Stange ragt normalerweise in die Höhe.  Frazer weiter: „Möchte ich zum Beispiel Kühe trockenstellen, ziehe ich die Stange nach unten und verschließe somit den Übergang in den Stallbereich. Nach dem letztmaligen Melken kann ich die trockenzustellenden Kühe  so im Nachwartebereich halten, in einer Fixiereinrichtung trockenstellen und in den Trockensteherbereich treiben.”  
Fazit
Das  Fingergatter hat eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber den bei uns üblichen Einwegtoren. Vor allem der Aspekt, dass diese Gatter beliebig breit gebaut werden können,  macht sie zu einer interessanten Alternative zu konventionellen, zur Seite schwenkbaren Einwegtoren. Doch ein ruhiger, besonnener Umgang mit den Kühen ist Grundvoraussetzung, damit Schrott und Kuhverletzungen ausgeschlossen bleiben.  Der Einsatz der Fingergatter ist jedoch nicht nur auf automatische Melkbetriebe beschränkt, gerade auch in Rücktrieben konventioneller Melkzentren oder in den Selektionsbereichen können die Fingergatter ihre Funktionalität unter Beweis stellen.