Politik | 24. September 2021

Green Deal: Produktion runter, Preise rauf

Von AgE
Die von der Europäischen Kommission in der Farm-to-Fork- sowie der Biodiversitätsstrategie ausgewiesenen Ziele, wie die Reduzierung des Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes, werden bei vollständiger Umsetzung zu einem „erheblichen Rückgang” der Agrarproduktion in der EU führen.
Laut der Studie steigern die angestrebten Maßnahmen die Ökosystemleistungen in der EU, der gewollte positive Klimaschutzeffekt würde sich allerdings nicht einstellen.
Wie die Verbändeallianz Grain Club aus einer Studie des Instituts für Agrarökonomie der Universität Kiel zitierte, würde die Erzeugung von Getreide, Ölsaaten und Rindfleisch um jeweils rund 20 Prozent abnehmen. Die Preissteigerungen würden für Rindfleisch fast 60 Prozent, für Schweinefleisch etwa 50 Prozent, für Rohmilch mehr als 30 Prozent sowie für Obst und Gemüse, Ölsaaten und Getreide zwischen zehn und 20 Prozent betragen. Laut Studienleiter Professor Christian Henning steigern die angestrebten Maßnahmen zwar die Ökosystemleistungen in der EU. Der gewollte positive Klimaschutzeffekt würde sich laut Henning allerdings nicht einstellen. Den wesentlichen Grund dafür sieht er darin, dass die in der EU durch die Einschränkung der Agrarproduktion erreichten Einsparungen an Treibhausgasemissionen durch eine Steigerung derselben durch die Landwirtschaften außerhalb der EU sowie durch den Landnutzungswandel in der Gemeinschaft vollständig nivelliert würden.
Grundsätzlich Potenzial
Henning resümierte, dass die Farm-to-Fork-Strategie grundsätzlich Potenzial für Landwirte und Gesellschaft berge. Allerdings sei hierfür eine innovative agrarpolitische Umsetzung erforderlich. Die derzeit geplanten pauschalen Vorgaben seien nur bedingt effizient. „Angestrebte positive Effekte von einzelnen Maßnahmen bei Ökosystemleistungen werden durch negative Auswirkungen konterkariert, was auch einigen Zielen des Green Deal entgegensteht”, gab der Kieler Agrarökonom zu bedenken.
Wie in der Untersuchung festgestellt wird, ist die EU bei einigen Produkten aktuell ein wesentlicher Exporteur auf dem globalen Agrarmarkt. Der starke Rückgang der Getreide- und Rindfleischerzeugung durch die Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie würde die EU hier vom Nettoexporteur zu einem Nettoimporteur werden lassen. Dabei ist aber den Wissenschaftlern zufolge zu bedenken, dass das Gebiet der EU im weltweiten Vergleich „exzellente” Bedingungen für eine qualitativ und quantitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion bietet.
Bauernverbände wollen Folgenabschätzung
Die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) nahmen die Ergebnisse der Studie erneut zum Anlass, die EU-Kommission aufzufordern, „endlich” eine offizielle Folgenabschätzung vorzulegen und die Minderungsziele auf politischer Ebene in Brüssel fachlich zu diskutieren. Die Agrarbranche sei zunehmend beunruhigt. COPA-Präsidentin Christiane Lambert stellte klar, dass man den offensichtlich vorwiegend „kontraproduktiven” Ansatz der Farm-to-Fork-Strategie nicht akzeptieren könne. Die Französin forderte die Kommission auf, einen zielorientierten Weg im Dialog mit der Landwirtschaft einzuschlagen. Besonders kritisch merkte Lambert zudem an, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer  Rede zur Lage der EU am 15. September in Straßburg die EU-Agrarpolitik nicht mit einem Wort erwähnt habe. Der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Udo Hemmerling, stellte klar, dass es im ureigenen Interesse aller Landwirte liege, die Umwelt und das Klima zu schützen und sicherzustellen, dass auch die nachfolgenden Generationen die Betriebe fortführen und die Nachfrage nach heimischen Lebensmitteln decken könnten. Allerdings dürften die für die heimische Produktion geltenden hohen EU-Standards nicht durch Importe unterlaufen werden. 
Eine „offene Flanke” des Green Deal
Hemmerling erklärte, dass gerade hier der Bauernverband eine „offene Flanke” des Green Deal sehe. Die Studie habe erhebliche Leakage-Effekte aufgezeigt, die durch eine Verlagerung der Erzeugung in Nicht-EU-Staaten entstünden. Ludwig Striewe vom Bundesverband Agrarhandel (BVA) betonte, dass man die Ziele der EU-Kommission zum Arten-, Gewässer- und Klimaschutz uneingeschränkt teile. Ebenso wichtig sei es aber, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Damit die EU bei Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie nicht vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur von Getreide werde, seien Augenmaß und Kompromisse gefragt, um die Agrarproduktion in Einklang mit dem Arten-, Gewässer- und Klimaschutz zu bringen. Auch nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers beim Deutschen Raiffeisenverband (DRV), Dr. Henning Ehlers, schürt die Studie die Zweifel der Branche an den in der Farm-to-Fork-Strategie formulierten Einzelmaßnahmen. Kaum vorstellbar sei aus Sicht des DRV zum Beispiel, dass höhere Preise und ein reduziertes Angebot an heimischem Obst und Gemüse die Verbraucher dazu animierten, sich ausgewogener zu ernähren. Darüber hinaus verweist Ehlers auch auf massive Einschnitte für die vor- und nachgelagerten Sektoren. „Viele Betriebe werden das nicht verkraften”, so seine Warnung.
Gemeinsam fordern die Verbände der Agrarwirtschaft die Kommission auf, die Vorgaben in der Farm-to-Fork-Strategie auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen und zu hinterfragen. Geklärt werden müsse überdies, wie man mit negativen Nebeneffekten umgehe und welche alternativen Maßnahmen sich zur Zielerreichung besser eigneten. Diese Fragen müsse die EU-Kommission mit allen Betroffenen gründlich erörtern, fordert der Grain Club. Ferner sei die Brüsseler Behörde angehalten, sicherzustellen, dass der angestrebte Umbau nicht auf dem Rücken der Agrarwirtschaft erfolge. Zugleich erklärten die Verbände, dass man einen Dialog mit Politik, Wissenschaft und Gesellschaft anstrebe und Veranstaltungen plane, in denen die Ergebnisse der Studie sowie das Thema Farm-to-Fork-Strategie diskutiert werden könnten.
Auch der Präsident des Industrieverbandes Agrar (IVA), Dr. Manfred Hudetz, betonte die Bedeutung der heimischen Agrarwirtschaft für die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und warnte vor den Folgen einer ordnungsrechtlichen Durchsetzung der pauschalen Ziele des Green Deal.