Betrieb und Wirtschaft | 23. Juni 2016

Getreidepreise unter Vorjahresniveau

Von Donat Singler
Im vergangenen Jahr war es vor der Ernte zu trocken, jetzt zu nass. Der Drusch von Getreide und Ölsaaten in Baden-Württemberg beginnt deshalb später als üblich. Wie sich Wetter und Erntetermin auf Mengen und Qualitäten auswirken, wollte die BBZ von Erfassern im Südwesten wissen.
Der Regen stand zu lange auf der Bremse: Die Getreideernte in Baden-Württemberg beginnt dieses Jahr um bis zu zwei Wochen später als üblich. Am ehesten ist das im badischen Rheintal zu spüren, dem frühesten Landstrich. Vergangenes Jahr starteten die Mähdrescher dort kurz nach dem 20. Juni. Nach dem Vegetationsstand von Ende vergangener Woche – bei der Gerste setzte die Gelbfärbung ein – rechnet der Erfassungshandel  in diesem Jahr mit der ersten Juliwoche.
Die Anbaufläche für Weizen ist sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene kleiner als im vergangenen Jahr.

Damit sind Aussagen über die möglichen Erzeugerpreise für vertragsfreie Partien von Gerste, Weizen, Raps & Co. beim Verkauf in der Ernte noch unsicherer als in anderen Jahren um diese Zeit. Beim Blick auf die Schwankungen an den Warenterminbörsen und die bevorstehende Brexit-Abstimmung sei es „geradezu verwegen”, eine Woche vor dem Erscheinungstermin einen möglichen Erzeugerpreis in der Ernte halbwegs treffsicher benennen zu wollen.
 Das Preisniveau ist meistens niedriger als vor einem Jahr. Allerdings dürften die niedrigsten Preise erreicht sein. „Alle preisdrückenden Argumente sind in den Warenterminkursen bereits berücksichtigt”, erklärten die Getreidekaufleute übereinstimmend.
Bei den Verkaufsstrategien setzen die Landwirte in diesem Jahr  stärker auf die treuhänderische Vermarktung. Das sei üblich bei gedrückten Preisniveaus, heißt es im Handel. In Jahren mit hohen Preisen seien eher Fixpreiskontrakte gefragt. Die große Unbekannte in dieser Ernte ist allerdings nicht die Preistendenz, sondern die Qualität. Das wird  immer deutlicher, je näher die Ernte rückt.
Weizenfläche rückläufig
Die Kulturen im Einzelnen: Beim Weizen gehen die Statistiker von einer leichten Einschränkung der Flächen landes- und bundesweit aus (siehe Tabelle). Deshalb wird aber niemand hungern. Denn die Feldbestände sehen dank ausreichender Regenfälle hervorragend aus. Außerdem gibt es welt- und EU-weit mehr als genug Weizen, die Vorräte erreichen Rekordwerte. Und es steht welt- und EU-weit die vierte große Ernte in Folge an. Deutschland dürfte einige Millionen Tonnen guten Weizen aus dem Vorjahr über die Ernte 2016 hinaus vorrätig haben.
Zurück in den Südwesten: Unter den erwartet hohen Erträgen könnten sich manche Qualitätseigenschaften verdünnen, wird befürchtet. Größte Sorge ist allerdings der nässebedingte Krankheitsdruck, manche Gesprächspartner erinnern an das Fusarien-Befallsjahr 2012. Doch so weit ist es noch nicht.
„Wenn wir eine zügige Abreife unter sommerlich hohen Temperaturen bekommen, stellt sich die Sache ganz anders dar”, warnte  ein Kaufmann vor schnellen Beurteilungen. Am Oberrhein hoffen die Erfasser auf eine kleinere Ernte in Frankreich. Vergangenes Jahr bezahlte der Handel im Südwesten laut Agrarmarkt-bw.de beim Verkauf in der Ernte für vertragsfreien A-Weizen frei Gosse Landlager im Schnitt 153 Euro je Tonne (Euro/t), netto. Stand Ende vergangener Woche werden die vergleichbaren Preise dieses Jahr um 15 bis 20 Euro/t niedriger gesehen. Die Vorvertragspreise reichen je nach Standort und Zeitpunkt des Vertragsschlusses von 130 bis 170 Euro/t, netto.
Großes Angebot
Bei der Wintergerste dürfte das Angebot unter den Getreidearten am größten sein. Zwar sinken landesweit die Anbauflächen, bundesweit legen sie aber zu. Auch bei der Winterfuttergerste machen die Feldbestände einen überwiegend guten Eindruck. Allerdings litt in manchen Landesteilen die Standfestigkeit unter Starkregen und Wind.
 Die Futtergerste erzielte im Jahr 2015 frei Gosse im Durchschnitt 135 Euro/t, netto. In diesem Jahr könnten die Preise um rund 20 Euro/t fallen. Zum Angebotsdruck in Baden-Württemberg trägt der Abbau der Schweinebestände bei. Wer zu viel eingelagert hat oder nicht mehr füttern muss, bringt das Getreide auf den Markt. Die Ware sei derzeit nur über den Export zu verkaufen, heißt es.
Die Sommergerstenfläche soll landes- und bundesweit abnehmen. Der Handel rechnet im Südwesten mit bis zu minus 10%. Die Feldkulturen machen einen gemischten Eindruck. Die Rohstoffversorgung aus der alten Ernte galt bisher als üppig. Nach den mengenstarken Niederschlägen sorgen sich die Mälzer offenbar doch um die Qualität aus der Ernte 2016. Die Preise sind etwas gestiegen, lagen Ende vergangener Woche aber immer noch unter dem Vorjahresniveau. Die Vorvertragspreise kommen je nach Standort und Zeitpunkt auf 140 bis 170 Euro/t, netto. Allerdings soll das Interesse an Vorverträgen bei Mälzern und bei Landwirten nachgelassen haben. Winterbraugerste ist deutlich preiswerter als Sommergerste. Grund: die sehr günstige Winterfuttergerste.
Roggen verliert
Der Roggen verliert ebenfalls noch etwas Anbaufläche, der Rückgang ist allerdings nicht vergleichbar mit der Sommergerste. Die Feldkulturen machen einen guten Eindruck, aber die Frucht ist anfällig für Mutterkorn – gerade unter der feuchten Witterung der letzten Wochen. Die kleinste Brotgetreidekultur im Land geht praktisch ohne Vorverträge in die Ernte.  Die Preise stehen im Vorjahresvergleich ebenfalls unter Druck.
Eine Frucht mit Aussicht auf stabile oder höhere Preise als vor einem Jahr, das ist der Schälhafer in der Qualitätsstufe ab etwa 53 Kilo je Hektoliter (kg/hl). Die Fläche dürfte weiter schrumpfen. Die Vorvertragspreise erreichten je nach Standort und Zeitpunkt 140 bis 160 Euro/t, netto. Nennenswerte Mengen werden auch treuhänderisch vermarktet.
Raps ist seit  Mitte vergangener Woche preislich auf dem Weg nach unten. Derzeit sind die Preisaussichten für Verkäufe vertragsfreier Ware in der Ernte etwas niedriger als im Sommer 2015. Die Vorverträge rangieren im Bereich von 320 Euro bis 350 Euro/t. Trotz unbefriedigender Möglichkeiten beim Pflanzenschutz steigt landes- und bundesweit die Anbaufläche. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass im Vergleich zum klassischen Getreide dem Raps mehr Potenzial für Preissteigerungen zugetraut wird, denn die weltweiten Vorräte nehmen ab.