Politik | 10. September 2015

EU will mit 500 Millionen Euro helfen

Von AgE
Die Europäische Kommission will den krisengeschüttelten Landwirten mit einem Hilfspaket von 500 Millionen Euro unter die Arme greifen. Diesen Vorschlag unterbreitete EU-Vizekommissionspräsident Jyrki Katainen am Montag den Landwirtschaftsministern in Brüssel auf ihrer Sondersitzung.
Das Sondertreffen der EU-Agrarminister am Montag in Brüssel war von Bauerndemonstrationen begleitet. Die große Mehrheit trat friedlich für die Forderungen der Landwirte ein. Es gab jedoch auch Krawalle und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Vor dem Gebäude der EU-Kommission wurden Heuballen angezündet. Laut Polizei nahmen an den Demonstrationen 7000 Personen mit mehreren hundert Traktoren teil.
Der Finne vertrat den erkrankten EU-Agrarkommissar Phil  Hogan, der nach Angaben seines Sprechers in einem irischen Krankenhaus wegen einer Magenentzündung behandelt wurde. Der Topf über eine halbe Milliarde Euro, in den aus haushaltstechnischer Sicht Mittel aus der Milchsuperabgabe fließen dürften, soll umgehend zur Verfügung gestellt werden und insbesondere zielgerichtete Hilfen an alle 28 Mitgliedstaaten umfassen. Wer wie viel Geld erhält, war am Montag noch nicht bekannt.
Weitere Marktmaßnahmen
Daneben will die Kommission weitere Marktmaßnahmen finanzieren. Angedacht sind unter anderem höhere Beihilfen für die private Lagerhaltung von Magermilchpulver und Käse einschließlich optimierter Lagerzeiten, sowie die Neuauflage einer Lagerbeihilfe für Schweinefleisch. Eine Anhebung des Interventionspreises für Milchpulver und Butter lehnte Katainen dagegen ausdrücklich ab. Der größte Befürworter dieser Maßnahme, Frankreichs Landwirtschaftsminister Stéphane  Le  Foll, konnte am Ende nur erreichen, dass die luxemburgische Ratspräsidentschaft diesen Wunsch „einiger Delegationen” zu Kenntnis nahm. Der Vorsitzende Fernand  Etgen  erinnerte jedoch daran, dass sich der Rat ohne entsprechenden Kommissionsvorschlag einstimmig für diese Maßnahme aussprechen müsste – ein äußerst unwahrscheinliches Szenario.
Darüber hinaus kündigte Kommissionsvizepräsident Katainen an, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ab Mitte Oktober bis zu 70 Prozent der Direktbeihilfen und bis zu 85 Prozent der anstehenden flächenbezogenen Zahlungen für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung bereitgestellt werden können.
Mehr Wertschöpfung
Ferner soll die EU-Absatzförderung für Milch- und Schweinefleischerzeugnisse aufgestockt werden. Die EU-Kommission strebt an, mit den Marktmaßnahmen gleichzeitig die Ernährungslage der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu verbessern.
Schließlich bekräftigte die Brüsseler Behörde den Willen, sich mittelfristig für eine stärkere Position der Landwirte in der Wertschöpfungskette einzusetzen und für den Abbau von Handelshürden in Drittstaaten zu sorgen. Die Kommission will die Maßnahmen umgehend in Rechtstexte übertragen, die dann am Freitag (nach Redaktionsschluss dieser BBZ) vom Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) und am Rande des informellen Agrarministertreffens nächste Woche in Luxemburg beraten werden sollen.
Schmidt: Mehr Klarheit nötig
Bundeslandwirtschaftsminister Christian  Schmidt  begrüßte das Maßnahmenpaket. „Wir sind ein Stück vorangekommen”, betonte der Minister am Montagabend vor Journalisten. Die Kommission lasse es allerdings noch an Klarheit über die Details vermissen. „Die 500 Millionen Euro sind nach meiner Erwartung frisches Geld”, so Schmidt. Er verspricht sich davon insbesondere Liquiditätshilfen für die Landwirtschaft. Der größere Teil solle für nationale Maßnahmen zur Verfügung stehen. „Ich werde dieses Geld für unmittelbar wirksame Maßnahmen gegenüber besonders betroffenen Landwirten verwenden”, sagte der CSU-Politiker. Eine Kuhprämie schloss der Minister aus. Es dürfte eher auf ein Förderpaket unter anderem mit zinsverbilligten Krediten hinauslaufen, das mit nationalen Mitteln aufgestockt werden könnte. Die private Lagerhaltung für Schweinefleisch unterstützt Schmidt nicht – gerade auch vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit der jüngsten Aktion vom vergangenen Frühjahr. Als bessere Alternative plädiert er für direkte Unterstützungsleistungen an die schweinehaltenden Betriebe.
Zusagen erwartet
Noch Nachbesserungsbedarf sieht der Bundeslandwirtschaftsminister bezüglich der Ankündigung, die Direktzahlungen vorzuziehen. Schmidt erwartet hier klare Zusagen seitens der Behörde, dass Planungs- und Leistungssicherheit bestehen, auch wenn noch nicht alle Kontrollen abgeschlossen sein sollten. Bislang laufe man bei der Kommission jedoch gegen eine Betonwand, monierte der Minister. Prinzipiell besteht für die Mitgliedstaaten immer die Möglichkeit, für Direktzahlungen in Vorleistung zu treten. Dabei tragen sie jedoch das Risiko, dass ihnen Teile von der Kommission nicht erstattet werden, sollten die Zahlungsansprüche von Betrieben aufgrund von Verstößen gegen die Cross-Compliance-Auflagen oder das Greening geringer ausfallen.
Ruf nach verbindlichen Beschlüssen
Daneben setzt sich Schmidt für eine Neuausrichtung der EU-Exportförderung in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ein. Ausfuhrerstattungen schloss der Minister in diesem Zusammenhang ausdrücklich aus. Im Vorfeld des Sonderrats hatte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim  Rukwied, verbindliche Beschlüsse zur sofortigen und unbürokratischen Unterstützung der Landwirte verlangt. „Wir brauchen eine akute Krisenhilfe, mit denen sie ihre Betriebe durch das Preistief bringen können und die ihre Liquidität sichert”, erklärte Rukwied am Rande groß angelegter Bauernproteste in Brüssel, an denen nach Polizeiangaben insgesamt schätzungsweise 7000 Personen und mehrere hundert Traktoren beteiligt waren. Die aktuelle Preismisere sei maßgeblich durch politische Kontroversen und deren Auswirkungen auf die Agrarmärkte entstanden, namentlich das Russlandembargo. Leidtragende seien die deutschen und die europäischen Landwirte, die unter massivem wirtschaftlichem Druck stünden.
Der Konzentration im Handel begegnen
Der DBV-Präsident bekräftigte unter anderem Forderungen nach einer Exportoffensive, die mit den Einnahmen aus der Milchsuperabgabe finanziert werden sollte. „Das sind Bauerngelder und keine Steuergelder”, stellte Rukwied dabei klar. Der Bauernverbandspräsident pochte außerdem auf Liquiditätsverbesserungen für die Landwirtschaft, insbesondere durch eine rechtzeitige Auszahlung der Direktbeihilfen, aber auch durch nationale Unterstützungs- und Bürgschaftsprogramme. Für eine kurzfristige Marktentlastung im Milchsektor müssten die Intervention und die private Lagerhaltung weiter fortgeführt werden. Zu prüfen sei dabei eine langfristig angelegte Anpassung des Interventionspreises. Ferner verlangte Rukwied die Aufstockung des Bundeszuschusses für die landwirtschaftliche Unfallversicherung und die Einführung einer Risikoausgleichsrücklage.
Schließlich setzte sich der DBV-Präsident erneut für Bürokratieabbau und bessere Vermarktungsstrukturen ein. Der Gesetzgeber müsse zudem im Rahmen des Kartellrechts sicherstellen, dass die Erzeugerseite der Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels angemessen begegnen könne.
Liquidität der Bauern sichern
Agrarpolitiker verschiedener Parteien drängten mit Blick auf die  Sondersitzung der EU-Agrarminister in Brüssel (siehe Seite 8) auf Hilfen insbesondere für die Milcherzeuger.
Der Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz-Josef  Holzenkamp, und der zuständige Berichterstatter, Kees  de  Vries, haben kurzfristige und konkrete Hilfsmaßnahmen für den Milchsektor gefordert. In der aktuellen Situation sei es vor allem wichtig, die Liquidität der landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern, erklärten Holzenkamp und de Vries vergangene Woche in Berlin. Die CDU-Politiker sprechen sich deshalb dafür aus, die diesjährigen Direktzahlungen für die Landwirte so früh wie möglich auszuzahlen. Zudem müssten die Mittel aus der Superabgabe zur Unterstützung der Milcherzeuger genutzt werden. Handlungsbedarf sehen Holzenkamp und de Vries darüber hinaus im Exportbereich, für den sie sich von der EU Maßnahmen zur Absatzförderung und zur Erschließung neuer, kaufkräftiger Exportmärkte wünschen. Die Agrarsprecherin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Marlene  Mortler, plädierte zusätzlich für eine Entlastung der Bauern bei den Sozialbeiträgen.
Noch weitergehende Forderungen kamen von der agrarpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Kirsten  Tackmann, und ihrem Amtskollegen von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Friedrich  Ostendorff, die sich für einen grundlegenden Systemwechsel und eine bedarfsgerechtere Milchproduktion aussprachen. Eine wie auch immer geartete Mengenbeschränkung ist nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) jedoch keine geeignete Methode zur Marktstabilisierung. Bekanntlich anders sieht dies der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der zuvor mit einer achttägigen Staffelfahrt und einer Abschlussdemonstration in München mit mehr als 3000 Milchviehhaltern aus dem ganzen Bundesgebiet auf die prekäre Situation der Milcherzeuger im Land aufmerksam gemacht hatte.
Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Alexander  Bonde  erneuerte seine Forderung an die Bundesregierung, sich für ein EU-weites Sicherheitsnetz einzusetzen. Nach seiner Darstellung ist die Entwicklung auf dem Milchmarkt insbesondere für die bäuerlichen Familienbetriebe dramatisch. Gerade diese benötigten jedoch eine wirtschaftliche Perspektive, weil sie sich um Kulturlandschaft und Artenvielfalt verdient machten, betonte Bonde.
Der Deutsche Bauernverband sieht vor allem die Politik und die Beteiligten der Wertschöpfungskette selbst in der Verantwortung. Angesichts der anhaltenden Verwerfungen am Milchmarkt bekräftigte er seine Forderung, neue Exportmärkte zu erschließen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Milchwirtschaft auch in schwierigen Marktphasen zu sichern. Einer marktpolitisch verordneten Produktionsbeschränkung erteilte der DBV erneut eine Absage. Nach seiner Darstellung müssen vielmehr die Beteiligten der Wertschöpfungskette ihre Auffassung zum Wert von Lebensmitteln ändern.