Pflanzenbau | 11. Februar 2016

Es rechnet sich, die Himbeeren zu schützen

Von Dr. Sebastian Messerschmid
Rund ein Drittel der bundesweiten Himbeerflächen befindet sich in Baden-Württemberg. Anbauverfahren und Wirtschaftlichkeit der Kultur wurden beim Weinsberger Obstbautag von Gunhild Muster und Uwe Michelfelder dargestellt. Informationen zum Pflanzenschutz gab Dr. Thomas Diehl.
Die Erträge der Himbeersorte Glen Ample lagen in den Weinsberger Versuchen besonders hoch.
Beim Anbau von Himbeeren setzt sich immer mehr das Verfahren mit „long canes” durch. Dabei handelt es sich um verholzte Fruchtruten, die noch im Jahr der Pflanzung fruchten. Gunhild Muster machte auf dem diesjährigen Weinsberger Obstbautag deutlich, dass man long canes sowohl als Topf- als auch als Bodenkultur in den Anbau nehmen kann. Bei ihren Versuchen betrug die Zahl der Pflanzen in beiden Fällen drei pro m² und die Reihenabstände 2,5 m bei Topf- und 3 m bei Bodenkultur.
Mehrertrag durch geschützten Anbau
Himbeeren als Topfkultur, geschützt durch einen Folientunnel.
Die Strauchbeerenexpertin der Weinsberger Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) arbeitete mit den Sorten Tulameen und Glen Ample. Vergleicht man die Himbeer-Freilanderträge der Pflanzjahre 2013 bis 2015, fällt auf, dass die Erträge von Glen Ample in jedem Jahr höher waren. Im Jahr 2013 erntete Muster von der Sorte Glen Ample rund 230 kg pro 100 m², während Tulameen lediglich etwa 120 kg/100 m² brachte. Etwa denselben Ertrag erzielte Muster auch bei den 2015 gepflanzten long canes der Sorte Tulameen. 2015 erbrachte Glen Ample aber nur einen unwesentlichen Mehrertrag – ungefähr 10 kg/100 m². Die Versuche Musters zeigen eindeutig, dass der Himbeerproduzent bei geschützten Anbauverfahren mit einem erheblichen Mehrertrag gegenüber einer Freilandkultur rechnen kann. 
Nicht überraschend ist, dass mit zunehmendem Aufwand der Ertrag steigt. So nahm die Himbeerernte von einer Freilandpflanzung im Boden (rund 125  kg/100 m²) über eine durch Regenkappen geschützte Topfpflanzung (rund 190 kg/100 m²) bis zu einer Pflanzung der Himbeeren im Topf in einem Folientunnel (rund 310 kg/100 m²) deutlich zu.
Die Regenkappen schützen die Himbeeren vor Nässe von oben und tragen somit dazu bei, Pilzkrankheiten – insbesondere Botrytis – zu minimieren. Noch besser sind die Himbeeren im Folientunnel geschützt. Zudem ermöglicht der Tunnel eine entscheidende Verfrühung der Ernte, wodurch sich zu Beginn der Himbeersaison deutlich höhere Preise erzielen lassen als später. Durch ungenügende Lüftung kann aber im Folientunnel ein feuchtwarmes Klima entstehen, das wiederum Pilzkrankheiten begünstigt. Muster wies daher darauf hin, dass es sinnvoller sei, den Tunnel gut zu lüften, als die Ernte maximal zu verfrühen.
Fruchtgröße wichtig
Himbeerhecke im Topf unter Regenkappen.
Die Art des Anbauverfahrens beeinflusst nicht nur die Höhe des Ertrags und die Gesundheit des Ernteguts. Auch die Fruchtgröße der Himbeeren lässt sich nach Musters Erkenntnissen dadurch in gewissem Umfang steuern.
So brachten Früchte, die in geschützten Verfahren angebaut worden waren, durchschnittlich etwa 6 g auf die Waage, unabhängig davon, ob sie mit Regenkappen im Topf oder in Folientunneln im Topf erzeugt worden waren.
Himbeeren, die man im Freiland in den Boden gepflanzt hatte, wiesen dagegen im Schnitt lediglich ein Einzelfruchtgewicht von gut 5 g auf. Dies klingt zunächst nach einem eher geringen Unterschied; ein um etwa 20 Prozent höheres Einzelfruchtgewicht erhöht aber die Pflückleistung beträchtlich und trägt damit dazu bei, die Wirtschaftlichkeit des Himbeeranbaus insgesamt zu verbessern. Denn bei einem Einzelfruchtgewicht von 5 g benötige man 50 Himbeeren, um eine 250-Gramm-Schale zu füllen, bei einem Gewicht von 6 g dagegen nur 42.
Im Übrigen sinkt die Fruchtgröße nach Musters Erfahrungen im Ernteverlauf. Die Weinsberger Forscherin ermittelte bei der Sorte Tulameen im Tunnelanbau um den 10. Juni ein Einzelfruchtgewicht von etwa 8 g. Einen Monat später wogen die einzelnen Früchte nur noch etwa 4,5 g. Die Fruchtgröße hängt außerdem von der Standzeit der Kultur ab. Einjährige Himbeerkulturen haben deutlich höhere Fruchtgewichte als dreijährige. Außer der Fruchtgröße hängt die Pflückleistung laut Muster von der Einheitlichkeit von Bestand und Fruchtbehang, von der Zapfenlöslichkeit, der Pflückbarkeit, der Erntedauer und der Witterung ab.
Folientunnel bewährt
Die Himbeerkultur im Folientunnel bietet die Möglichkeit, erfolgreich mit Nützlingen zu arbeiten. Dies ist, gerade unter den Aspekten der immer restriktiver werdenden Pflanzenschutzgesetzgebung und der steigenden Anforderungen des Handels in Bezug auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. So ist etwa der Einsatz von Raubmilben gegen Spinnmilben oder der Einsatz der Schlupfwespe Lysiphlebus testaceipes gegen Blattläuse in Himbeeren erfolgversprechend.
Wenn es im Sommer richtig warm wird und die Temperaturen über 30 °C ansteigen, reicht eine Lüftung des Folientunnels unter Umständen nicht mehr aus. „Dann muss man entweder schattieren oder mit Nebelsprühgeräten Verdunstungskälte erzeugen”, sagte Muster. Denn die optimale Temperatur für Himbeeren liege bei etwa 25 °C. Kalkhaltiges Wasser sei hierfür aber nicht geeignet. Denn dann bildeten sich auf Blättern und Früchten unschöne Beläge.
Hitze, Schädlinge und Wirkstoffkarussell
Probleme mit zu hohen Temperaturen gab es 2015 sogar im Freiland.  „Bei vielen Früchten trat Sonnenbrand auf”, sagte Dr. Thomas Diehl, Referent für Pflanzenschutz im Obstbau beim Regierungspräsidium Stuttgart. „Stachelbeeren wurden durch die starke Sonneneinstrahlung manchmal ganzflächig gegart.” Bei Birnen habe die Hitze erhebliche Blattverluste verursacht, wovon die Sorte Conference besonders stark betroffen gewesen sei. Ein mancherorts starker Befall mit Birnenblattsaugern verbunden mit der entsprechend hohen Absonderung von Honigtau habe zu verschwärzten Früchten geführt. „Der durch den Honigtau ausgelöste Bienenflug erschwerte die Bekämpfung mit Insektiziden”, sagte Diehl. Um Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel vorzubeugen, arbeitet man im integrierten Pflanzenbau nach Möglichkeit mit mehreren Wirkstoffen gegen denselben Schaderreger. Daher enthält einheimisches Obst oft mehr Wirkstoffe als importierte Ware wie exotische Früchte.
Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart wies auf und in einheimischem Kern- und Beerenobst im Mittel 5,9 Wirkstoffe in einem Untersuchungszeitraum von fünf Jahren nach, bei Steinobst waren es durchschnittlich 4,8. Bei exotischen Früchten dagegen wurden im Mittel im selben Zeitraum nur 2,2 Wirkstoffe gefunden. Allerdings wurden bei exotischen Früchten nicht selten die Höchstmengen von Insektiziden überschritten, die im deutschen Anbau gar nicht zugelassen sind, etwa beim Wirkstoff Carbaryl aus der Stoffklasse der Methylcarbamate. Zwar werden die zulässigen Höchstmengen bei einheimischem Obst sehr selten überschritten, berichtet das CVUA. „Dennoch kann beim Verbraucher der falsche Eindruck entstehen, dass infolge der geringeren Anzahl gefundener Wirkstoffe exotische Früchte gesünder sind als einheimisches Obst”, bedauerte Diehl. 
Der Obstbau-Pflanzenschutz-Experte erläuterte, dass in absehbarer Zeit viele, teils äußerst wichtige Pflanzenschutzmittel wegfallen werden (siehe Tabelle). Besonders betroffen sind davon die Insektizide. „Nach dem Ende der Zulassung dürfen Pflanzenschutzmittel noch ein halbes Jahr lang abverkauft werden”, sagte er. „Danach gilt eine Aufbrauchfrist von einem Jahr.
Teure Handernte
Der größte Teil der Kosten im Himbeeranbau entfällt auf die aufwändige Handernte.
Der größte Teil der Kosten im Himbeeranbau entfällt auf die aufwendige Handernte. Uwe Michelfelder von der LVWO machte darauf aufmerksam, dass der im Vergleich zu den meisten anderen EU-Staaten hohe deutsche Mindeststundenlohn von 8,50 Euro ein Wettbewerbsnachteil für deutsche Obsterzeuger sei.
Durch die hohen Personalkosten seien viele Verfahren des Himbeeranbaus in Deutschland am Rande der Wirtschaftlichkeit oder vollkommen unwirtschaftlich. Die Pflückleistung pro Stunde ist daher eines der entscheidenden Kriterien für die Wirtschaftlichkeit des Himbeeranbaus. Der geschützte Anbau hat – aufgrund der größeren Früchte – eine höhere Pflückleistung zur Folge. Außerdem sind im geschützten Anbau mit long canes Terminkulturen möglich, wodurch der Himbeerproduzent den Markt früher beliefern kann und von deutlich höheren Preisen profitiert.
„Terminkulturen im Topf mit long canes im geschützten Anbau bieten die Chance, aus dem Preiskeller herauszukommen, und sind trotz der hohen Kosten für Pflanzgut und Folientunnel daher häufig ökonomisch sinnvoller als der Himbeer-Anbau im Freiland mit Bodenkultur”, sagte Michelfelder. „Daueraufgaben für Himbeererzeuger bleiben ein zielführendes Marketing im Land der Schnäppchenjäger und die Kostenkontrolle nie aus den Augen zu verlieren.”