Politik | 18. November 2021

Druck begünstigt Artenschwund

Von AgE
Die eigentliche Ursache für den Rückgang der Artenvielfalt liegt im wirtschaftlichen Druck, dem die Landwirte ausgesetzt sind. Darin waren sich die Referenten des Studium-generale-Abends an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) einig.
Für eine Landwirtschaft, die Artenvielfalt fördert, sind nach Überzeugung Nürtinger Wissenschaftler höhere Erzeugerpreise oder Prämienzahlungen und ein verändertes Konsumverhalten notwendig.
Bei der Veranstaltung in der vergangenen Woche ging es  um die Chancen und Hemmnisse einer biodiversitätsfördernden Landwirtschaft. Laut der Agrarökologin Professor Maria Müller-Lindenlauf von der HfWU ist die Artenvielfalt in der Landwirtschaft ein ökonomisches Problem. „Wie man Biodiversität macht, das wissen wir”, so die Wissenschaftlerin.
Erzeugerpreise und Konsumverhalten
Der Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft sei das Ergebnis einer Landwirtschaft, die unter der Nutzung des technischen Fortschritts auf hohe Erträge zu niedrigen Erzeugerkosten optimiert worden sei. Nach der Überzeugung der Agrarökologin gibt es „pflanzenbaulich super Systeme”. Die müssten aber in der Praxis wirtschaftlich umsetzbar sein. Für eine Landwirtschaft, die Artenvielfalt fördere, seien daher höhere Erzeugerpreise oder Prämienzahlungen und ein verändertes Konsumverhalten notwendig. Müller-Lindenlauf fordert einen Paradigmenwechsel.
Ökologisches Optimum anstreben
Nicht mehr das Ertragsmaximum, sondern das ökologische Optimum müsse die Richtschnur in Lehre, Beratung und Forschung werden.
Professor Markus Röhl von der HfWU mahnte ebenfalls einen Paradigmenwechsel an. Auch nach seiner Einschätzung sind „die ökonomischen Aspekte” zentral. Historische Kulturlandschaften dienten dem Naturschutz häufig als Leitbild, erklärte Röhl. Zum einen gebe es aber ganz unterschiedliche Arten von Kulturlandschaften, zum anderen sei eine Übertragung der historischen Nutzung auf heutige Verhältnisse hinsichtlich des Naturschutzes problematisch. So gebe es heute zum Beispiel rechtliche Einschränkungen. Vor allem aber fehle oft die wirtschaftliche Grundlage.
Auf Streuobstwiesen in Baden-Württemberg sei etwa im 19. Jahrhundert die Mehrfachnutzung wirtschaftlich machbar gewesen. Das sei jetzt nicht mehr der Fall. Auch Naturschutzgebiete hätten beim Rückgang der Artenvielfalt keine Trendwende gebracht, und „in landwirtschaftlich dynamischen Gebieten hat der Naturschutz versagt”, so der Befund des Wissenschaftlers. Hier sei durchaus auch Eigenkritik angebracht, befand Röhl und forderte einen Wechsel weg von einem System, „das Verluste finanziert, hin zu echten Prämien”.
Landwirte sind keine Ehrenämtler
In der Landwirtschaft sieht der Wissenschaftler einen zentralen Treiber der Biodiversität, und zwar im Guten wie im Schlechten. Klar sei aber, „Landwirte sind keine Ehrenämtler. Wollen wir die Artenvielfalt stärken, müssen auch entsprechend die Einnahmequellen stark ausgebaut werden”. Röhl und Müller-Lindenlauf waren sich einig darin, dass die Biodiversität vom wirtschaftlichen Hemmnis zum Anreiz werden müsse.