Politik | 02. März 2023

„Die Politik muss jetzt liefern”

Von AgE
Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, sieht die Politik in der Pflicht, produktiv nach Lösungen für die aktuellen Krisen zu suchen.
DLG-Präsident Hubertus Paetow macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl.
Derzeit stünden noch zu viele ideologische und machtpolitische Interessen einzelner Gruppen zu sehr im Vordergrund, beklagte Paetow am 21. Februar auf der DLG-Mitgliederversammlung  im Rahmen der Wintertagung in Hannover. Je eher damit begonnen werde, ideologiefrei über Lösungswege zu verhandeln, umso eher bestehe die Chance, in dieser Krise im wahrsten Sinne des Wortes „vor die Welle” zu kommen und die verbleibende Zeit zu nutzen, um Schlimmes abzuwenden.
Konfliktreduziert nicht so gefragt?
Nach Ansicht von Paetow sind die Einigungen in der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) wesentlich lösungsorientierter, ideologiefreier und sehr viel breiter gesellschaftlich getragen, als dies aktuell in der Diskussion um ein Tempolimit oder die Zukunft des Verbrennungsmotors der Fall ist. Leider seien die erarbeiteten Konzepte aber auf den letzten Metern der Umsetzung zum Stehen gekommen und gar ausgebremst worden. „Es scheint so, als könnten einige Interessengruppen mit dieser Art des konfliktreduzierten gesellschaftlichen Fortschritts noch nicht umgehen”, so der DLG-Präsident.
Es sei nicht die Agrarbranche, die sich an irgendwelche alten Sprechzettel festklammere, stellte Paetow klar. „Unsere Branche hat geliefert. Die Diskussion mit unseren kritischen Begleitern aus Umwelt- und Tierschutzorganisationen sind geführt und dabei sind in konstruktiven und vertrauensvollen Prozessen breit mitgetragene Leitlinien entstanden”, unterstrich der DLG-Präsident. Die Gleichrangigkeit von Ernährungssicherheit, Biodiversitätserhaltung und Klimaschutz werde von keinem Verband – weder von der Agrar- noch von der Umweltseite – mehr in Frage gestellt.
Die Nervosität, so Paetow, sei nun eher bei denen zu spüren, die jetzt erst begreifen würden, dass sich bei der Umsetzung der vereinbarten ausgewogenen Leitlinien die eigene Klientel politisch nicht mehr ganz so gut bedienen lasse. Anders ist es für ihn nicht zu erklären, dass von den bisherigen agrar- und ernährungspolitischen Initiativen der Bundesregierung keine einzige auch nur im Entferntesten die vereinbarten Leitlinien aus ZKL und Borchert berücksichtigt. „Wenn uns als Antwort auf die Frage nach dem Weg zu einem nachhaltigen Ernährungssystem nicht mehr einfällt als 30Prozent Ökolandbau – aber an der Nachfrage vorbei –, Pflanzenschutzmittelreduktion per Totalverbot, willkürlich ausgewiesene Rote Gebiete und der planmäßige Aufbau neuer Importabhängigkeiten durch Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland, dann ist das für mich ein Rückfall in die finstersten Zeiten der klientelpolitischen Instrumentalisierung der Ernährungssysteme, in die Zeiten agrar- und umweltpolitischer Wagenburgen, aus denen wir uns gerade mühevoll einen Weg in Richtung Fortschritt gebahnt hatten”, fasste Paetow seine Enttäuschung zusammen.
Für innovative Verfahren statt Öko
DLG-Präsident Hubertus Paetow fordert eine ökonomische Neubewertung von Nachhaltigkeitskonzepten. „Zwar bleiben Artenvielfalt und Klimaschutz unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche zukünftige Produktion”, stellte Paetow bei der DLG-Wintertagung am 22. Februar in Hannover klar. Was sich ändere, sei aber die unternehmerische Beurteilung der Alternativen, wenn es um eine nachhaltige Weiterentwicklung auf dem Betrieb gehe. Dabei müsse man auch auf Marktsignale hören. „Und wenn die Preise für Agrarprodukte steigen, wie sie es im Moment tun, dann ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass die betriebliche Weiterentwicklung nicht zu einer übermäßigen Einschränkung der Flächenproduktivität führen darf”, argumentierte Paetow.
Wenn zum Beispiel für die Verbesserung des Artenschutzes mehrere Maßnahmen zur Auswahl stünden, sei unter den heutigen Vorzeichen diejenige als nachhaltiger zu beurteilen, die bei ähnlich positiver Wirkung auf die Biodiversität mit dem geringsten Ertragsrückgang verbunden sei, erklärte der DLG-Präsident. Und das sei aktuell nicht die Umstellung auf den Ökolandbau, sondern eher eine produktionsintegrierte Reduktion von Pflanzenschutzmitteln auf der Basis innovativer Verfahren.
Durch die Einbeziehung der Agrarbranche werde Nachhaltigkeit auch zur Grundlage von Finanzierungs- und Versicherungskonzepten in der Landwirtschaft, sagte Paetow voraus. Diese Situation sollte die Branche jetzt mit Eigeninitiative proaktiv nutzen.