Politik | 28. Februar 2019

DLG denkt über Ziele und Fortschritt nach

Von AgE
Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, sieht die Landwirtschaft am Scheideweg, sowohl in der Produktionstechnik als auch in der Ökonomie und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.
Die DLG reflektierte auf ihrer jüngsten Wintertagung selbstkritisch die erreichten Entwicklungen im Ackerbau.
Deshalb sei es an der Zeit, gemeinsam mit der Wissenschaft neu über die Ziele und den Fortschritt nachzudenken, offen und unvoreingenommen, sagte Paetow am 20. Februar auf der DLG-Wintertagung in Hannover.
Grenze erreicht
Der DLG-Präsident zeichnete die rasante Produktionsentwicklung nach, die Deutschlands Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten genommen hat, getrieben von immer neuen Innovationen. Resümierend stellte er fest, dass mittlerweile die Grenze des rein an Produktivität und Technik orientierten Fortschritts erreicht sei. Die Akzeptanz von technischem Fortschritt, einzig und allein aus dem Grund, dass er das tägliche Leben vereinfache, sei nicht mehr gegeben: „Im Ergebnis ist Fortschritt heute nicht mehr grundsätzlich positiv belegt, sondern wird von vielen auch als Gefahr und Risiko gesehen.”
Im Ackerbau habe der technische Fortschritt zu einer Spezialisierung auf wenige, intensive Kulturen geführt, verbunden mit sehr engen Fruchtfolgen, Resistenzen bei Ungräsern und Schädlingen und einem zunehmenden Krankheitsdruck bei Pflanzen, erklärte der DLG-Präsident. Die Tierhaltung sei hochproduktiv, und bisher hätten die Leistungssteigerung und die Anpassung des Tieres an die vorgegebenen Prozesse an erster Stelle gestanden. Aufgrund der immer größeren Bestände und regional deutlicher Nährstoffüberschüsse täten sich aber heute die Fragen nach den Grenzen des ethisch Vertretbaren in der Tierzucht und der Tierhaltung auf.
Verantwortung für Umwelt und Tier
Für den einzelnen Landwirt werde es immer schwerer zu entscheiden, welchen Fortschritt er einführen müsse, um seine Ziele zu erreichen, gab Paetow zu bedenken. Die Messlatte sei nicht mehr allein die Produktivität. Hinzu kämen die Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima, die ethische Vertretbarkeit in der Tierhaltung und auch die Anschlussfähigkeit an die Bedürfnisse der Gesellschaft, stellte der DLG-Präsident fest. Je komplexer und dynamischer das Umfeld werde, umso höher sei für den Landwirt das Fehlerpotenzial auf der Suche nach der bestmöglichen Lösung.
Zu ähnlichen Schlüssen wie der DLG-Präsident kam der Tierethiker Dr. Christian Dürnberger. Wenn auch gesellschaftliche Akzeptanz erzielt werden solle, könne die Landwirtschaft den Begriff „Fortschritt” nicht mehr so eng wie vor 100 Jahren fassen, erklärte der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Heutzutage produziere ein „fortschrittlicher Landwirt” nicht mehr nur sichere und leistbare Nahrungsmittel auf der Höhe der guten fachlichen Praxis, sondern nehme dabei auch seine besondere Verantwortung für Umwelt, Tier und Klima wahr.
Neue Fruchtfolgen
Dürnberger kritisierte, dass es insbesondere bezüglich des Tierwohls Zielkonflikte gebe, bei denen der gesellschaftliche Konsens fehle: „Der durchschnittliche Deutsche heutzutage braucht zwei Formen der Landwirtschaft: eine für die Geldbörse und eine fürs Gemüt.”
Die ackerbaulichen und wirtschaftlichen Aspekte neuer Fruchtfolgen beleuchtete Professor Bernhard Schäfer von der Fachhochschule Südwestfalen. Er empfahl, den Anbau von Raps in Gebieten mit bislang niedrigem Anteil auszuweiten. Das sei die Lösung für eine Reihe von pflanzenbaulichen Problemen und könne wie der Körnermais in einigen Regionen noch zur Auflockerung von Fruchtfolgen beitragen.
„Interessante Perspektiven” sieht der Agrarwissenschaftler vor dem Hintergrund der geringen Eigenversorgung und der qualitativen Verbesserungen durch den Zuchtfortschritt aber auch für Hafer. Die heimischen Körnerleguminosen könnten ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten. Die Hülsenfrüchte gewännen zunehmend an Bedeutung in der Humanernährung, und die Potenziale der zwischen- und innerbetrieblichen Verwertung seien „noch lange nicht ausgereizt”.