DLG denkt über Ziele und Fortschritt nach
Von AgE
Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, sieht die Landwirtschaft am Scheideweg, sowohl in der Produktionstechnik als auch in der Ökonomie und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.
Die DLG reflektierte auf ihrer jüngsten Wintertagung selbstkritisch die erreichten Entwicklungen im Ackerbau.
Deshalb sei es an der Zeit, gemeinsam mit der Wissenschaft neu über die Ziele und den Fortschritt nachzudenken, offen und unvoreingenommen, sagte Paetow am 20. Februar auf der DLG-Wintertagung in Hannover.
Grenze erreicht
Der DLG-Präsident zeichnete die rasante
Produktionsentwicklung nach, die Deutschlands Landwirtschaft in den
vergangenen Jahrzehnten genommen hat, getrieben von immer neuen
Innovationen. Resümierend stellte er fest, dass mittlerweile die Grenze
des rein an Produktivität und Technik orientierten Fortschritts erreicht
sei. Die Akzeptanz von technischem Fortschritt, einzig und allein aus
dem Grund, dass er das tägliche Leben vereinfache, sei nicht mehr
gegeben: „Im Ergebnis ist Fortschritt heute nicht mehr grundsätzlich
positiv belegt, sondern wird von vielen auch als Gefahr und Risiko
gesehen.”
Im Ackerbau habe der technische Fortschritt zu einer Spezialisierung auf
wenige, intensive Kulturen geführt, verbunden mit sehr engen
Fruchtfolgen, Resistenzen bei Ungräsern und Schädlingen und einem
zunehmenden Krankheitsdruck bei Pflanzen, erklärte der DLG-Präsident.
Die Tierhaltung sei hochproduktiv, und bisher hätten die
Leistungssteigerung und die Anpassung des Tieres an die vorgegebenen
Prozesse an erster Stelle gestanden. Aufgrund der immer größeren
Bestände und regional deutlicher Nährstoffüberschüsse täten sich aber
heute die Fragen nach den Grenzen des ethisch Vertretbaren in der
Tierzucht und der Tierhaltung auf.
Verantwortung für Umwelt und Tier
Für den einzelnen Landwirt werde es immer schwerer zu
entscheiden, welchen Fortschritt er einführen müsse, um seine Ziele zu
erreichen, gab Paetow zu bedenken. Die Messlatte sei nicht mehr allein
die Produktivität. Hinzu kämen die Auswirkungen auf die Umwelt und das
Klima, die ethische Vertretbarkeit in der Tierhaltung und auch die
Anschlussfähigkeit an die Bedürfnisse der Gesellschaft, stellte der
DLG-Präsident fest. Je komplexer und dynamischer das Umfeld werde, umso
höher sei für den Landwirt das Fehlerpotenzial auf der Suche nach der
bestmöglichen Lösung.
Zu ähnlichen Schlüssen wie der DLG-Präsident kam der Tierethiker Dr.
Christian Dürnberger. Wenn auch gesellschaftliche Akzeptanz erzielt
werden solle, könne die Landwirtschaft den Begriff „Fortschritt” nicht
mehr so eng wie vor 100 Jahren fassen, erklärte der Philosoph und
Kommunikationswissenschaftler von der Veterinärmedizinischen Universität
Wien. Heutzutage produziere ein „fortschrittlicher Landwirt” nicht mehr
nur sichere und leistbare Nahrungsmittel auf der Höhe der guten
fachlichen Praxis, sondern nehme dabei auch seine besondere
Verantwortung für Umwelt, Tier und Klima wahr.
Neue Fruchtfolgen
Dürnberger kritisierte, dass es insbesondere
bezüglich des Tierwohls Zielkonflikte gebe, bei denen der
gesellschaftliche Konsens fehle: „Der durchschnittliche Deutsche
heutzutage braucht zwei Formen der Landwirtschaft: eine für die
Geldbörse und eine fürs Gemüt.”
Die ackerbaulichen und wirtschaftlichen Aspekte neuer Fruchtfolgen
beleuchtete Professor Bernhard Schäfer von der Fachhochschule
Südwestfalen. Er empfahl, den Anbau von Raps in Gebieten mit bislang
niedrigem Anteil auszuweiten. Das sei die Lösung für eine Reihe von
pflanzenbaulichen Problemen und könne wie der Körnermais in einigen
Regionen noch zur Auflockerung von Fruchtfolgen beitragen.
„Interessante Perspektiven” sieht der Agrarwissenschaftler vor dem
Hintergrund der geringen Eigenversorgung und der qualitativen
Verbesserungen durch den Zuchtfortschritt aber auch für Hafer. Die
heimischen Körnerleguminosen könnten ebenfalls einen wertvollen Beitrag
leisten. Die Hülsenfrüchte gewännen zunehmend an Bedeutung in der
Humanernährung, und die Potenziale der zwischen- und innerbetrieblichen
Verwertung seien „noch lange nicht ausgereizt”.