Tierhaltung | 09. Oktober 2014

Der Heuball bietet stets frisches Futter

Von Dr. Michael Götz, Eggersriet/Schweiz
Eine der Ursachen für Schwanzbeißen bei Schweinen ist Langeweile. Daher wurden auch in der Schweiz diverse „Schweinespielzeuge” getestet. Sie stehen im Mittelpunkt des zweiten Beitrags unserer Serie, die aufzeigt, wie Schweizer Bauern dem Schwanzbeißen vorbeugen bzw. darauf reagieren.
Die Buchten im Schweinestall des Maßnahmenzentrums MZ Kalchrain im schweizerischen Herdern – einer sozialpädagogischen Einrichtung des Kantons Thurgau – sind mit viel Stroh eingestreut. Einerseits schreibt dies das Gütezeichen „CoopNaturafarm” CNf vor, damit die Tiere eine weiche Liegefläche haben, andererseits dient die Einstreu den Tieren auch zur Beschäftigung. Zusätzlich hat der Betriebsleiter Martin Fuhrer in einigen Buchten an einer Kette  einen Drahtkorb aufgehängt, der mit Öhmd gefüllt ist, den sogenannten Heuball.
Eine Füllung genügt für ein bis zwei Tage
Ferkel beschäftigen sich am frisch gefüllten Heuball.
In der Jungsauen-Großgruppe sind es eher einzelne Tiere, die sich mit dem Heuball beschäftigen. Besonders attraktiv scheint er für die Tiere nicht zu sein. Doch Fuhrer erklärt, dass er ihn absichtlich schon vor einigen Stunden gefüllt hat, damit der Besucher sieht, wie es normalerweise im Stall zugeht, wenn der „Ansturm” nach dem Auffüllen vorbei ist. Bei den abgesetzten Ferkeln dagegen sind mehr Tiere an den „Bällen”. Auch sie ziehen nur einzelne Halme aus dem Gitter und keine ganzen Heubüschel, denn dazu ist das Gitter zu engmaschig und außerdem baumelt der Ball hin und her, sobald die Tiere dagegen drücken. Eine Füllung genüge für ein bis zwei Tage, erklären Fuhrer und seine Frau. Über eine Aussparung im Gitter an der Oberseite können sie den Heuball leicht befüllen.
Denise Fuhrer ist die eigentliche Erfinderin des Heuballes. Da ihr auffiel, dass Schweine gerne spielen, hatte sie sich überlegt, wie ein geeignetes Spielzeug aussehen könnte. Auf die Idee mit dem Drahtkorb ist sie über einen Hamsterball gekommen, wie ihn Zoohandlungen für Hamster anbieten. In Zusammenarbeit mit der Werkstatt des MZ Kalchrain hat sie ein robustes Drahtgeflecht entwickelt, das den Bissen der Tiere standhält – und zwar in zwei Größen, eine für abgesetzte Ferkel und Mastschweine und eine für Jung- und Muttersauen. Was einfach aussieht, ist in der Herstellung gar nicht so einfach. Damit die Drähte zusammenhalten, sind über 100 Schweißpunkte notwendig. Zum Schluss müssen die Drähte verzinkt werden. Bei den großen Bällen wird sogar Chromstahl verwendet, was die Herstellung noch etwas aufwendiger macht.

Beschäftigung muss stets möglich sein
Der Heuball lässt sich durch eine Aussparung leicht befüllen.
Auch  die Schweizer Tierschutzverordnung schreibt vor, dass es Schweinen jederzeit möglich sein muss, sich  mit Stroh, Raufutter oder anderem gleichwertigem Material zu beschäftigen. Dabei geht es nicht darum, dass die Tiere  spielen können, sondern dass sie einen Ersatz für die Futtersuche haben.
Die schweizerische Forschungsanstalt Agroscope in Tänikon hat untersucht, welche Beschäftigungsmaterialien sich für die Praxis gut eignen. In mehreren Experimenten haben die Forscher Stroh und Chinaschilf als Einstreu, Strohraufen, Pelletspender, Strohpresswürfel, Nagebalken und Rindenkompost miteinander verglichen. Alle diese Materialien sind gemäß der Studie grundsätzlich geeignete Beschäftigungsmaterialien für Schweine. „Die Häufigkeit, mit der Erkundungsverhalten an den Körper von Buchtgenossen gerichtet wurde, was zu Schwanzbeißen führen könnte, war bei allen Materialien auf einem niedrigen Niveau”, ist eine Schlussfolgerung im ART-Bericht 762. Da es damals den Heuball noch nicht gab, haben ihn die Forscher nicht in die Studie aufgenommen. „Er erfüllt jedoch die Bedingungen als geeignetes Beschäftigungsmaterial”, sagt Roland Weber von der Agroscope.
Es hat sich bei der Studie gezeigt, dass die Attraktivität fast aller getesteten Materialien im Laufe der Zeit abnahm. „Optimal wäre es somit, den Schweinen abwechslungsweise verschiedene Materialien anzubieten”, empfiehlt der ART-Bericht. In der Praxis dürfte das allerdings nicht so einfach sein. Einstreu, Strohraufen und Heubälle haben den Vorteil, dass sie immer wieder neu beschickt werden. Dies animiert die Tiere, damit zu spielen, zu wühlen oder darauf zu kauen. „Das Heu im Ball ist immer frisch”, nennen Fuhrers einen großen Vorteil  ihrer Erfindung.
Hilfe bei Schwanzbeißen
Beschäftigungsmaterialien helfen gegen Schwanzbeißen, aber sie sind keine Garantie dafür, dass es gar nicht auftritt. Wo Schwanzbeißen auftritt, lässt es sich manchmal durch das Angebot von sehr attraktivem  Beschäftigungsmaterial wieder „kurieren”. Roland Weber empfiehlt, frisch geschnittene Äste, Hanfseile, Strohschnüre oder Papiersäcke zu verwenden. Auch Salzlecksteine oder Salz in der Futtersuppe könnten nützlich sein.
Auf dem Schweinezuchtbetrieb Kalchrain mit 50 Muttersauen tritt Schwanzbeißen kaum auf. „Alle paar Jahre einmal”, sagt Fuhrer. Dann sei es wichtig, dass man die Qualität der Beschäftigung noch steigern könne. Da es in allen Buchten viel Stroh auf dem Boden gibt, bietet der Schweinehalter nicht in allen Buchten einen Heuball an. Als einmal Schwanzbeißen auftrat, konnte er es mit dem Heuball kurieren. „Die Schweine gehen dann wie Piranhas auf den Heuball los”, erzählt Fuhrer. Er konnte die Tiere so stark von den Schwänzen ablenken, dass er kein Tier aus der Bucht nehmen musste. Man könnte auch Stroh in die Bälle einfüllen, aber dann wären sie in Kombination mit der Stroheinstreu kaum mehr attraktiv.
Raufe ist nicht gleich Raufe
In Ställen mit Spaltenboden ist Einstreu nur bedingt geeignet. Es darf nicht zu viel Stroh auf die Spalten gelangen, weniger, weil es die Spalten verstopfen könnte, als weil sich eine Schwimmschicht im Güllekanal bildet. Hier gilt es je nach Entmistungssystem abzuwägen. Wenn sich die Kanäle auf dem Weg zur Güllegrube nicht verengen und eine Umspülleitung vorhanden ist, dann verträgt das Entmistungssystem eine gewisse Menge Stroh. Strohraufen helfen, dass weniger Stroh auf den Boden gelangt.
Gemäß der Fachinformation Tierschutz des Schweizerischen Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) haben sich für Mastschweine Raufen mit einem Staketenabstand zwischen 3,5 cm und 5 cm bewährt, wobei ungefähr alle 9 bis 10 cm ein Querstab angebracht ist. Bei Zuchtsauen sollte der Staketenabstand zwischen 6,5 cm und 7,5 cm betragen, jener bei Absetzferkeln etwa 2,5 cm. Weniger bewährt haben sich Raufen mit quadratischen Maschengittern, denn bei diesen rutsche häufig das Stroh nicht nach. Es kommt auch darauf an, wie das Stroh in die Raufen gegeben wird. Wird es fest zusammengepresst und nicht aufgelockert, dann können die Tiere die Halme kaum herausziehen.
Nagebalken allein reichen nicht
Nagebalken ermöglichen den Schweinen vor allem ein Benagen. Laut der erwähnten BLV-Fachinformation sollten sie deswegen aus grünem Weichholz bestehen. Sie gelten in der Schweiz nur dann als vollwertiges Beschäftigungsmaterial, wenn sie lose, zum Beispiel an Ketten befestigt, aufgehängt sind und regelmäßig erneuert werden. Außerdem müssen die Schweine ad libitum oder mindestens dreimal täglich mit Suppe gefüttert werden, welche mit Raufutter angereichert ist. Das heißt, es muss kaubares Material in der Futtersuppe vorhanden sein, das zwar zerkleinert sein kann, aber noch als solches erkennbar ist. Auch Hobelspaneinstreu gilt in der Schweiz als Beschäftigungsmaterial; Sägemehleinstreu allein dagegen nicht.
Presswürfel verlieren an Attraktivität
Am Pelletspender rütteln Schweine an einer Kette, um an Pellets zu gelangen.

Presswürfel bestehen aus Stroh, Dinkelspreu, Sägemehl oder anderen organischen Materialien. Wie Nagebalken eignen sie sich wegen der geringen Strohverluste besonders für Vollspaltenbuchten. Es sei darauf zu achten, dass Presswürfel trocken gelagert werden, damit sie nicht aufquellen, empfiehlt die BLV-Fachinformation. Quellen sie auf, dann rutschen sie im Rohr nicht mehr nach. In der Agroscope-Studie schnitten die Presswürfel betreffend Beschäftigung schlechter ab als die Stroheinstreu und die Strohraufe. Sogar der Nagebalken löste mehr Erkundungsverhalten aus. Haben sich die Schweine an die Presswürfel gewöhnt, seien diese nur noch wenig attraktiv, trotzdem habe er den Eindruck, die Würfel fänden in der Praxis oft Verwendung, sagt Fuhrer. Ein Heuball könne eine gute Ergänzung sein, gerade dann, wenn sich in einer Bucht allmählich ein Druck in Richtung Schwanzbeißen aufbaue. Der Pelletspender, an welchem Schweine an einer Kette rütteln mussten, um an Pellets zu gelangen, war wie Stroh und Chinaschilf sehr attraktiv für die Tiere, wie es im ART-Bericht heißt.