Von Dr. Michael Götz, Eggersriet, Schweiz
Nicht nur Kühe geben Signale zu ihrem Wohlbefinden ab. Auch Jungvieh zeigt, wenn es ihm wohl ist oder ihm etwas fehlt. Es gilt, die Signale zu erkennen und den Blick dafür zu schärfen.
Dieser Stall ist sehr kälberfreundlich: hell, gut eingestreut und mittels Porendecke gut gelüftet.
„Das Kalb von heute ist die Kuh von morgen”, betont Pirmin Zürcher anlässlich eines Kurses in der Schweiz. Er ist Lehrer und Berater am Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen (LZSG). Ein Kalb, das seine Anlagen gut entwickelt, wird eine bessere Milchkuh als ein Kalb, das in der Jugendentwicklung gebremst wurde, ist seine These.
„Es geht nicht um Wellness, sondern darum, zu erkennen, was dem Tier fehlt bzw. was es benötigt”, erklärt Zürcher die Ziele des Kurses. Es ist erstaunlich, wie viele Signale die Kursteilnehmer auf einem Foto von einem Kalb ablesen können. „Das Kalb lässt die Ohren hängen”, fällt den meisten als erstes auf, ein Zeichen, dass es ihm nicht wohl ist. Auf andere Zeichen, wie die geschwollenen Sprunggelenke oder die Runzeln im Gesicht, werden viele weniger schnell aufmerksam. Dass der Kopf im Verhältnis zum Körper viel zu groß ist, fällt zuerst keinem auf. Das Missverhältnis von Kopf und Körper deute darauf hin, dass der Körper des Kalbes in seiner Entwicklung zurückgeblieben sei, erklärt Zürcher. Der Tageszuwachs sollte in den ersten 90 Tagen mindestens 1200 g betragen und nach 50 Tagen sollte das Kalb sein Geburtsgewicht bereits verdoppelt haben.
Nicht restriktiv füttern
Damit die Milch in den Labmagen gelangt, muss das Kalb intensiv am Nippel saugen.
„Welches Signal zeigt das Kalb auf dem Bild?”, fragt der Jungviehsignaltrainer. Das Kalb schaut erwartungsvoll in die Kamera. „Hunger”, ist die einfache Antwort. Noch heute hört man die Empfehlung, Kälber restriktiv zu füttern. Groß ist die Angst des Tierhalters, dass die Kälber Durchfall bekommen, wenn sie viel Milch auf einmal aufnehmen. Kälber bräuchten im Winter alleine schon sechs Liter Milch pro Tag, um ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Doch sie sollen auch wachsen und ihre Organe vollumfänglich ausbilden. Dazu braucht es Energie und Eiweiß.
Manche Kälber saugen 20 Liter am Tag. Das sei so viel, wie sie als Mutterkalb auch an ihrer Mutter saugen würden, hält Zürcher fest. Aus diesem Grund empfiehlt er, sowohl die Mast- als auch die Aufzuchtkälber in den ersten drei bis fünf Wochen ad libitum zu füttern. Da Kälber nicht zu viel Milch aufs Mal aufnehmen können und der Landwirt oft nicht die Zeit hat, sie häufiger als zweimal pro Tag zu füttern, kann man die Milch mit einem handelsüblichen Produkt ansäuern und den Milcheimer am Fressgitter hängen lassen.
Das Ansäuern hat drei große Vorteile: Es konserviert die Milch, macht sie leichter verdaulich und wirkt gegen Coli-Bakterien. Wenn Kälber Durchfall bekommen, dann liegt es meistens an der Hygiene – sei es im Stall oder bei der Tränke. Aber auch Fehler beim Tränken oder antibiotikahaltige Milch kommen als Ursachen in Betracht. Entscheidend für die Gesundung der Kälber ist, wie diese mit Durchfallerkrankungen umgehen können. Ad libitum getränkten Kälbern gelinge das deutlich besser als knapp gefütterten.
Nicht weniger Milch geben
Mit Holz- oder Kunststoffplatten kann man kalte Betonwände abschirmen.
Durchfall ist ein deutliches Signal kranker Kälber. „Nicht die Milch absetzen”, ist Zürchers Empfehlung, sondern die Milch von Anfang an ansäuern, Joghurt füttern oder kurzfristig einen Teil der Milch durch einen Elektrolyten ersetzen. Gute Erfahrungen habe man mit der Zugabe von Bikarbonat-Pillen gemacht, die der Übersäuerung und damit der Austrocknung entgegenwirken. Wichtig sei, dass die Milch über einen Nippel mit viel Saugwiderstand angeboten werde, denn kräftiges Saugen wirke sich positiv auf den Schlundrinnenreflex aus, der dafür sorgt, dass die Milch nicht in den Pansen, sondern in den Labmagen gelangt. Wasser dagegen, welches die Tiere aus dem Eimer schlürfen, gelangt in den Pansen.
Ein anderes, deutliches Signal der Kälber ist Husten, meistens verbunden mit einem struppigen Haarkleid und Schleim an Nase und Mund sowie mit Augenausfluss. Die Aussage „Jedes Husten kostet 10 kg Lebensleistung” hält Zürcher für realistisch. Das Lungenvolumen der Rinder ist nur ein Drittel so groß wie beim Pferd und muss einen mindestens so großen Körper mit Sauerstoff versorgen. Die Lunge muss deswegen mehr
arbeiten als die eines Pferdes und ist anfälliger für Krankheiten. Lungenkrankheiten lassen sich durch ein gutes Stallklima vermeiden. Zürcher empfiehlt sechs bis zehn Luftwechsel pro Stunde. Die Frischluft muss so in den Tierbereich gelangen, dass keine Zugluft auftritt, das heißt, die Luftgeschwindigkeit beim Tier soll weniger als 0,3 m/Sekunde betragen. Am besten ist es, wenn die Kälber richtig im Stroh liegen, so dass man ihre Klauen nicht mehr sieht. Holz- oder Kunststoffplatten sollen Betonwände abschirmen.
Rechtzeitig besamen
Der Brustumfang ist mit dem Gewicht der Jungtiere korreliert und gibt Hinweise, ob das Rind bald besamt werden kann.
Jungtiere, die gut wachsen, nehmen früher auf als solche, die restriktiv gefüttert werden. Bei Rindern, die über 400 kg schwer sind, sollte man auf Brunstzeichen schauen, selbst dann, wenn sie erst ein Jahr und ein paar Monate alt seien. Bei vielen Jungtieren warte man mit dem Besamen zu lange. „Sie sind oft schon längst bereit”, sagt Zürcher. Die stark auf Milch gezüchteten Tiere entwickeln sich schneller als noch vor 20 Jahren. Um das Gewicht der Tiere festzustellen, ohne sie wiegen zu müssen, verwende man am besten ein Messband, an dem sich nicht nur der Brustumfang, sondern auch das damit verbundene Gewicht ablesen lassen.
An spätere Umgebung gewöhnen
Wenn die Liegeboxen attraktiv sind und vorne einen Fluchtweg bieten, dann legen sich die Rinder so hinein, wie man es von ihnen erwartet.
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nicht mehr”, sagt Zürcher. Wenn schon die Jungtiere mit Liegeboxen vertraut gemacht werden und gute Erfahrungen damit machen, nehmen sie diese später auch als Kühe leichter an. Weiche, natürliche Einstreu macht die Liegeboxen attraktiv. Manchmal beobachte man, dass Jungtiere verkehrtherum in der Liegeboxe liegen. Das könne an schlechten Erfahrungen liegen, zum Beispiel wurden sie von anderen Rindern in der Box bedrängt und konnten nicht ausweichen. Oder sie hatten vor der Wand nicht genügend Platz, den Kopf beim Aufstehen nach vorne zu schwingen. Ein Fluchtweg im Kopfteil der Liegebox oder das Verstellen des Nackenrohres nach vorne können helfen.
Positive Erfahrungen mit Stall- und Pflegeeinrichtungen machen den Umgang mit den Tieren leichter. Sie gehen zum Beispiel lieber in den Klauenstand, wenn man sie vorsichtig behandelt und sie belohnt. Ein Signal, das man schon fast nicht mehr als solches zu bezeichnen wagt, ist das Ausrutschen der Tiere. Es kann zur Folge haben, dass Rinder auf die „Knie” fallen, sich dabei Blutergüsse zuziehen, sich verspannen und im schlimmsten Falle sich etwas brechen. Ausrutschen kommt vor allem dann vor, wenn Rinder brünstig werden oder wenn man ein Tier einfängt. Weiche Gummimatten mit Noppen, die es auch für Spaltenböden gibt, sowie künstliche Rasenteppiche an besonders gefährdeten Stellen machten den Boden rutschfester.