Betrieb und Wirtschaft | 26. Februar 2014

Betreutes Wohnen als Einkommensstandbein

Von Hans-Martin Schwarz, LWA Donaueschingen
Ein eigenwilliges betriebliches Konzept haben Gabi und Friedbert Fichter aus St. Georgen-Oberkirnach realisiert: Betreutes Wohnen, Hofladen und Bauernhofcafé sind die Hauptstandbeine des künftigen Haupterwerbsbetriebes.
Gabi und Friedbert Fichter haben inzwischen mehr als drei Jahre Erfahrung mit dem Thema Betreutes Wohnen.
Wie kann aus einem klassischen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb im Schwarzwald mit elf Hektar extensivem und steilem Grünland, fünf Milchkühen und zwei  Mutterkühen mit Nachzucht, zwei Pensionspferden und fünf Hektar Wald ein rentabler, nachhaltig wirtschaftender Haupterwerbsbetrieb gestaltet werden?
Familie Fichter aus St. Georgen-Oberkirnach stellte sich gemeinsam mit den land- und hauswirtschaftlichen Betriebsberatern Edith Kirner und Hans-Martin Schwarz vom Landwirtschaftsamt Donaueschingen der Herausforderung, ein Konzept für den Betrieb zu entwickeln. Ziel war und ist, dass das zentrale Familieneinkommen über die Landwirtschaft und landwirtschaftsnahe Dienstleistungen generiert werden kann.  
Ausgebaut
Friedbert Fichter ist derzeit noch als Fahrer für eine Spedition tätig, Gabi Fichter begann bereits vor über 15 Jahren mit dem Brotbacken für den Bäuerinnenladen Unterkirnach. Der Brotverkauf, später auch ab Hof, lief gut. Die Kunden lobten die Qualität, kamen wieder und sagten es weiter. Also war die Überlegung, die Hofbäckerei auszubauen und einen Hofladen im größeren Stil einzurichten. „Landgenuss vom Maierstal” wurde das neue Unternehmen benannt.
 Doch auch das hätte für ein stabiles Einkommen nicht ausgereicht. Die Überlegung, eine Hofgastronomie einzurichten, kam auf. Da die Familie zusammenhält und sich auch die drei  Kinder (19, 17 und 16 Jahre alt)  vorstellen konnten, in einem Hofcafé mitzuarbeiten, wurde dieses Vorhaben rasch konkretisiert.
Parallel dazu kam Gabi Fichter mit der Trägerorganisation Fachdienste Netzwerker aus Zimmern ob Rottweil in Kontakt, die betreuungsbedürftige erwachsene Menschen in Pflegefamilien vermittelt. Der Familienrat beschloss dann  vor dreieinhalb Jahren, das Experiment anzugehen. Der erste Klient bezog sein Zimmer in der Familie. Den der Familie anvertrauten Menschen wird ein Zimmer mit Bad und kleiner Küche zur Verfügung gestellt. Sie frühstücken aber mit der Familie und das Mittag- und Abendessen wird ebenfalls gemeinsam eingenommen.
Kein Zwang
Auf dem Bauernhof kann mitgeholfen werden, einen Zwang dazu gibt es aber nicht. Da ein Bewohner selbst aus der Landwirtschaft stammt, hat er einen guten Bezug zu den Rindern, Pferden und Hühnern. Er hilft beim Füttern und Ausmisten der Ställe und hat einen strukturierten Tagesablauf.
In der Regel handelt es sich bei den Klienten um Menschen, die häufig unter 60 Jahre alt sind und somit das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Das Leben hat diese Menschen aus den verschiedensten Gründen aus der Bahn geworfen. Sucht, Vereinsamung und psychische Probleme können die Ursachen sein.
Oft haben diese Menschen erfolgreich an Therapien teilgenommen, können jedoch den Alltag nicht mehr alleine bewältigen und keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen.   Anstatt, dass diese Frauen und Männer  dann Jahrzehnte im Heim zubringen, suchen die Trägerorganisationen und Landkreisverwaltungen alternative dezentrale Wohn- und Betreuungsformen für diese Menschen.
Öffentliche Hand spart ein
Letztlich spart die öffentliche Hand einen Teil des Geldes ein, das bei einem Heimaufenthalt anfallen würde, der landwirtschaftliche Betrieb erhält monatlich für die Betreuung und alle anderen Aufwendungen um die 1000 Euro, auch privat zahlende Klienten können untergebracht und betreut werden.
Das Leben auf dem Bauernhof ist somit eine Möglichkeit, Menschen mit einem Handicap – sei es geistiger, psychischer oder körperlicher Natur – ein Zuhause zu bieten, andererseits stellt es ein wirtschaftliches Standbein für die landwirtschaftliche Familie dar. Bis Pflegestufe 1 ist es möglich, auf diese Art den Klienten ein Zuhause zu bieten. 
Dass diese Dienstleistung nicht so nebenbei erbracht werden kann, daran lassen die Fichters  keinen Zweifel. Alle zwei Wochen sind Gespräche mit den amtlichen Betreuerorganisationen anberaumt. Regelmäßig müssen die Zimmer kontrolliert werden, man muss immer ansprechbar sein und es sitzt außer den Familienmitgliedern immer jemand zusätzlich am Tisch. 
Probezeit
Die Wohnungen für das betreute Wohnen befinden sich im ersten Stockwerk. Das Fenster links im Erdgeschoss gehört zum Café.
Wenn Probleme auftreten, sind diese rasch zu lösen – oft auch mit Hilfe Dritter. Sind die Probleme nicht lösbar, ist die Trennung vom Klienten unausweichlich. Es gibt immer eine einmonatige Probezeit, in der sich Familie und zu Betreuende aneinander gewöhnen müssen und in der abgeschätzt werden muss, ob man zueinander passt. Viel Sozialkompetenz, Toleranz und manchmal auch ein dickes Fell sind für eine solche Arbeit notwendig. Bei Familie Fichter hat man sofort den Eindruck, dass hier alles passt. Drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann, haben  eine Heimat im Maierstal von Oberkirnach gefunden.  Der Weg in die neuen Dienstleistungen des Wohnens und der Betreuung von Menschen,   dem neuen Hofladen und der Bauernhofgastronomie mit 25 Plätzen ist für die Familie stimmig. Gefördert wurden die baulichen und technischen Investitionsmaßnahmen durch die Investitionsförderung im AFP-Programm nach den Vorgaben der Diversifizierung. Über 200.000 Euro an Nettokosten mussten investiert werden, etwa hälftig für den Ausbau der Zimmer für das betreute Wohnen und den Hofladen mit Gastronomie.
Der Hofladen mit Bewirtung wurde am 8. Februar eröffnet. Der Ansturm der Kunden machte Mut. Frisches Bauernbrot, Kuchen, Torten, aber auch andere Schwarzwälder Spezialitäten wie Schinken und Wurst von den eigenen Tieren gingen flugs über die neu gebaute Ladentheke. Die Freundlichkeit und Offenheit aller Familienmitglieder und Freunde, die an diesem Tag mithalfen, war beeindruckend.
Neuland betreten
Ein  Betrieb hat Neuland betreten. Anstatt mit einem großenTierbestand und vielen Flächen, die in Oberkirnach schlicht nicht verfügbar sind,  ist Familie Fichter mit drei neuen unterschiedlichen Dienstleistungsbereichen in eine andere Form regionaler Wertschöpfung gegangen. Die Entscheidung haben die Fichters trotz der notwendigen großen Investitionen nicht bereut. Man spürt, es ist das Lebenswerk der Familie. Wenn es weiter gut läuft, kann die Familie künftig als Haupterwerbsbetrieb von ihren Betriebszweigen leben, ohne andere zusätzliche Einkommen. Das Landwirtschaftsamt ist sich der Tatsache durchaus bewusst,  dass nur wenige Betriebe für ein solches Konzept geeignet sind und sehr hohe persönliche Anforderungen an die gesamte Landwirtsfamilie gestellt werden. Hans-Martin Schwarz