Tierhaltung | 16. Oktober 2014

Bessere Umgebung – weniger Schwanzbeißen

Von Dr. Michael Götz, Eggersriet/Schweiz
Im Mittelpunkt des letzten Teils unserer Serie, die aufzeigt, wie Schweizer Bauern dem Schwanzbeißen bei Schweinen vorbeugen bzw. darauf reagieren, stehen die Erfahrungen von zwei Schweinehaltern. Als Schlussfolgerung lässt sich sagen: Je besser die Umgebung, desto weniger Schwanzbeißen.
Beat Stadelmann von der Agro Mittelland GmbH, einem Hersteller von Futterzusätzen, ist überzeugt, dass die Ursache des Schwanzbeißens in der Fütterung, nämlich in einem Mangel an Vitaminen und Spurenelementen, zu suchen ist. Ernst Hitz, Schweinezüchter in Buhwil im Kanton Thurgau, ist Selbstmischer und mischt den Premix, das sogenannte „Antikannibal”, regelmäßig ins Futter. Er hält 40 Muttersauen und 400 Mastschweine. Seit er den Zusatz verwendet, sind die Tiere ruhiger als früher, sagt er. Als Folge davon tritt das Schwanzbeißen weniger auf, aber das Problem ist mit dem Premix  allein noch nicht gelöst.
Ernst Hitz bietet seinen Schweinen gepresste Raufutterwürfel aus Dinkelspreu sowie Hanfschnüre an. Die Tiere fressen die Würfel von unten.

Der Landwirt hält die Mastschweine noch in Ställen mit Vollspaltenboden in Gruppen zu acht Tieren bei einem Flächenangebot von etwa 0,8 m2 je Tier in der Ausmast. Zwar sind in der Schweiz Ställe mit Vollspaltenböden seit  2008 verboten, aber für bestehende Ställe gibt es noch eine Übergangsfrist bis 2018. Für den 61-jährigen Landwirt kommt ein Neu- oder Umbau nicht mehr in Frage.
In den Mastbuchten sieht man zwar keine Tiere mit blutigen Schwänzen, aber es gibt immer wieder Gruppen, in welchen einigen Schweinen die Schwänze fehlen. „Das Schwanzbeißen tritt relativ häufig auf”, sagt der Schweinehalter. Wenn es dazu kommt, versucht er die Tiere abzulenken, indem er Papiersäcke in die Buchten wirft, mit denen sie sich intensiv beschäftigen, bis sie gefressen oder die Fetzen durch die Spalten gefallen sind.
In jeder Bucht gibt es an der Wand eine Halterung für einen Raufutterwürfel aus Dinkelspreu sowie Ameisen- und Propionsäure – auch Presswürfel genannt –, den die Tiere von unten anknabbern und fressen. Damit  ist der Anforderung der Tierschutzverordnung nach Beschäftigung zwar genüge getan, aber zu intensiver Beschäftigung scheinen die Würfel nicht zu führen. Sind sie aufgefressen, gibt es bei den Tieren eine Art Rückstau an Beschäftigung und sie werden unruhiger, erklärt Hitz.  Auch Hanfschnüre sind über den Buchten aufgehängt. Sie sind feucht, ein Zeichen, dass die  Tiere darauf beißen und daran „lutschen”. Hitz macht Knoten in die Schnüre, damit sie sich nicht zu schnell zerfasern.
Wetterwechsel wichtiger Faktor
Am häufigsten tritt Schwanzbeißen dann auf, wenn sich das Wetter ändert, vor allem beim Wechsel zwischen warm und kalt, erklärt der Schweinehalter. Es passiert trotz moderner Unterflurlüftung und gut verteilter Frischluftzufuhr vom Stallgang aus. Oft sind es einzelne Tiere, welche beißen. Nach Möglichkeit separiert der Landwirt die Beißer in einer Krankenbucht. Manche lassen sich wieder zurück in die Bucht bringen, andere lassen sich das Schwanzbeißen nicht mehr abgewöhnen.
Das Schwanzbeißen kommt schon im Aufzuchtstall vor. Dort sind die Ferkel ähnlich wie auf Flatdecks in Gruppen zu 30 Tieren untergebracht; mindestens ein Drittel der Fläche muss gemäß Schweizer Tierschutzverordnung Festboden sein. Auf dem Liegebereich streut der Züchter Strohhäcksel ein und zur Beschäftigung bietet er Raufutterwürfel, Schnüre sowie Heu- und Strohbälle an. Letztere sind runde, mit Heu oder Stroh gefüllte Metallkörbe. Voraussetzung, dass sich die Schwemmkanäle reinigen lassen, sind eine Leitung zum Umspülen sowie eine Tauchschneidpumpe. Das regelmäßige Umspülen zerstört nicht zuletzt die Fliegenbrut in den mit Stroh angereicherten Kanälen.
Oft zwei Ursachen
Die Maschen der Heuraufe dürfen nicht zu eng sein, so Samuel Ritter. Sonst verlieren die Tiere die Lust, sich mit dem Heu zu beschäftigen.
Samuel Ritter ist Betriebsleiter des Schweinezuchtstalles der landwirtschaftlichen Schule Strickhof in Eschikon-Lindau im Kanton Zürich. Er hält 75 Muttersauen sowie 200 Mastschweine und Remonten. Der  Stall wurde  2007 so gebaut, dass er den Anforderungen der meisten tierfreundlichen Labels genügt. Die älteren abgesetzten Ferkel sowie die Mastschweine verfügen über Mehrflächenbuchten mit Festboden und Auslauf.
Der Stall für die frisch abgesetzten Ferkel besteht aus einem Liegeplatz in einer beheizten Kiste, einem Aktivitäts- und Fressplatz mit  zentralem Futterautomaten sowie einem Kotplatz auf Betonspalten am Ende der Bucht. 30 Ferkel sind pro Bucht untergebracht. Auf dem Boden liegen Reste von gehäckseltem Stroh. Um bei einem besonders tierfreundlichen Label mitzumachen, wäre mehr Stroh notwendig, erklärt der Betriebsleiter, die Einstreu müsste bodendeckend sein. Sowohl der Strickhof als auch der Betrieb Hitz produzieren gemäß den Richtlinien des Qualitätsmanagements QM-Schweizer Fleisch. Dieses verlangt vom Tierhalter einen Nachweis, dass er die gesetzlichen Grundlagen einhält, geht aber nicht darüber hinaus.
Zur Beschäftigung der Tiere ist in jeder Bucht ein  Heuball aufgehängt. Schwanzbeißen trete im Ferkelstall kaum auf, berichtet der Schweinezüchter, etwa einmal im Jahr und auch dann in der Regel nur in einzelnen Buchten. Meistens habe das Schwanzbeißen zwei Ursachen, erklärt er, zum Beispiel, wenn es im Stall zu kalt ist und die Tiere auch noch Hunger haben. Daher  achtet er darauf, dass immer Futter in Form von Pellets im Automaten vorhanden ist. Vom Breifutter ist er abgekommen, da dann die Fläche um den Automaten oft feucht ist und die Tiere anregt, auch dort zu harnen.
Im Maststall befindet sich die Fütterung im Auslauf. In jeder der Mehrflächenbuchten leben 20 Schweine bei einem Platzangebot von 1,60 m2 je Tier. Gefüttert werden sie jeweils mit Breifutter an zwei Quertrögen. Der Kotplatz befindet sich am Ende des Auslaufes über Spaltenboden, während die übrige Fläche, mehr als zwei Drittel des Bodens, aus Festboden besteht.  Im Sommer ist der Auslauf mit einem Schattennetz abgedeckt. Die Liegefläche befindet sich im Stallinneren. Mittels einer verschiebbaren Rückwand lässt sie sich der Größe der Tiere anpassen.
Im Auslauf sind in jeder Bucht ganze Bündel von „Spielzeugen” aufgehängt: Nylonschnüre von Strohballen, Ketten und Sterne aus Hartkunststoff. Am attraktivsten sind neue Schnüre. Ritter hängt eine Schnur auf und in Kürze zerzausen die Tiere das Schnurgeflecht. „Neue Schnüre verwende ich allerdings nur, wenn Schwanzbeißen auftritt”, sagt der Züchter. Dieses komme im Maststall etwa einmal pro Monat vor. „Es ist immer ein einzelnes Tier und meistens nur in einer Bucht”, beschreibt er das Ausmaß. Dann bestreicht er die Schwänze aller Tiere mit Klauenteer und streut etwas Viehsalz in die Bucht. Ritter nennt es „Sofortmaßnahmen”. Klauenteer, wie er auch bei der Klauenpflege bei Rindern verwendet wird, wirkt desinfizierend für die Wunde und abschreckend für den Beißer. Das Salz soll die Tiere beruhigen. Meistens genügen diese Maßnahmen. Es ist eher selten, dass er einen Beißer aus der Bucht herausnehmen muss.
„Das größte Problem ist die Zugluft”
Schwanzbeißen tritt im Maststall vor allem bei Wetterumschlag auf. „Das größte Problem ist die Zugluft”, sagt der Betriebsleiter. Er hat vor, Windschutznetze anzubringen, um die Zugluft im Auslauf so gut wie möglich zu vermeiden. Auch Kälte im nur leicht eingestreuten Liegebereich kann ein auslösender Faktor für Schwanzbeißen sein.
Zweitwichtigster Faktor ist die Fütterung. Hier gelte es darauf zu achten, dass die Tiere  immer satt und ruhig sind. Die Tiere der französischen Landrasse, welche Ritter züchtet, haben ein hohes Fressbedürfnis, das heißt, sie werden schnell wieder hungrig. Am liebsten würde der Tierhalter sie nicht mehr rationiert mit Breifutter, sondern an einem  Futterautomaten ad libitum mit Pellets füttern, damit sie nicht auf das Futter warten müssen und ruhig bleiben. Bei rationierter Fütterung komme es darauf an, dass der Blutzuckerspiegel konstant bleibe. „Dazu muss das Verhältnis von verdaulicher und unverdaulicher Rohfaser stimmen”, betont Ritter.
Im Liegebereich im Stallinneren gibt es in jeder Bucht eine Heuraufe und einen Raufutterwürfel zur Beschäftigung. Die Maschen der Heuraufe dürfen nicht zu eng sein, sonst verlieren die Tiere die Lust, sich mit dem Heu zu beschäftigen. 35 mm breit und 95 mm hoch ist die Maschenweite der Heuraufe im Stall.  Jeden Tag streut der Tierbetreuer eine Schaufel Strohhäcksel auf den Boden. Dass Schwanzbeißen kein großes Problem darstellt, zeigen nicht zuletzt  die Masttageszunahmen von im Schnitt  850 g/Tier und Tag.
Bei Labelställen noch weniger Probleme
Noch weniger Probleme mit Schwanzbeißen scheinen die Labelbetriebe mit sehr tierfreundlicher Haltung zu haben. Bei ihnen muss die Liegefläche bodendeckend mit Kurz- oder Langstroh eingestreut sein. Das Sauberhalten der Liegefläche setzt voraus, dass auch das Stallklima optimiert ist. In Labelbetrieben kommt Schwanzbeißen selten vor, sagt Sybille Kauer vom Kontrolldienst des Schweizer Tierschutz STS, welcher einen großen Teil der Betriebe unangemeldet kontrolliert. Meistens seien es einzelne Tiere, bei denen es auftritt. Eine Garantie, dass Schwanzbeißen überhaupt nicht auftritt, scheint es nicht zu geben.