Politik | 19. Mai 2016

Berlin kündigt Hilfspaket an

Von AgE
Die Berliner Regierungskoalition will den Betrieben mit einem Paket aus zusätzlichen finanziellen Hilfen und steuerlichen Erleichterungen durch die Krise helfen. Zudem soll es für die Wirtschaftsbeteiligten erweiterte Spielräume zur Begrenzung der Milchmenge geben.
Während Verbraucher günstig Milchprodukte einkaufen können, bangen viele Milcherzeuger um ihre Existenz. Die Bundesregierung hat jetzt ein Hilfspaket angekündigt, dessen Effekte unterschiedlich beurteilt werden.
In Aussicht stehen neuerliche Liquiditätshilfen, eine erneute Anhebung des Bundeszuschusses zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung (LUV) sowie steuerliche Erleichterungen, die im Detail noch geprüft werden sollen. Darüber hinaus soll mit einer Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes der rechtliche Rahmen für Branchenvereinbarungen zur Milchmenge geschaffen werden. Zudem soll die Position der Milcherzeuger gegenüber ihren Lieferanten gestärkt werden. Dabei steht offenbar auch die Andienungspflicht im genossenschaftlichen Bereich zur Disposition.
„Milchgipfel” am 30. Mai
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen wurde die ursprünglich für die vergangene Woche vorgesehene Novelle des Agrarmarktstrukturgesetzes verschoben. Präsentiert werden soll das gesamte Maßnahmenbündel bei einem „Milchgipfel”, zu dem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt für den 30. Mai eingeladen hat. Teilnehmen sollen Verbände aus der Landwirtschaft und dem Molkereiwesen sowie der Lebensmitteleinzelhandel. Auch die Länder sollen vertreten sein. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Unionsfraktionschef Volker Kauder sicherten den Landwirten vergangene Woche Hilfe zu. Die Bundesregierung werde die Bauern in der gegenwärtigen Krise nicht im Regen stehen lassen, sagte Merkel nach Teilnehmerangaben in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 10. Mai.   „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist entschlossen, den Bauern in dieser Krise zu helfen”, betonte Kauder am vergangenen Freitag in einer Mitteilung an die Mitglieder seiner Fraktion. Es gehe „um die Zukunft der ganzen Branche und um das Herzstück des ländlichen Raums”.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann bezifferte in derselben Verlautbarung die mögliche Anhebung der LUV-Bundesmittel auf knapp 80 Millionen Euro. Für einen mittleren Betrieb resultiere daraus eine Entlastung bei den Berufsgenossenschaftsbeiträgen von bis zu 3000 Euro im Jahr. Benötigt würden ferner Kredithilfen durch ein Bürgschaftsprogramm von Bund und Ländern. Als Beispiel für mögliche steuerliche Hilfen führte Connemann die befristete Einführung von Freibeträgen an. Dies wäre ihrer Einschätzung nach „ein Befreiungsschlag für die Betriebe”.
„Wir wollen die Branche in die Lage versetzen, das derzeitige Überangebot auf dem Markt zu reduzieren, indem wir den rechtlichen Rahmen für Branchenvereinbarungen schaffen”, sagte der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz-Josef Holzenkamp. „Unser Ziel ist zum einen, die Position der Lieferanten gegenüber den Molkereien zu stärken”, erläuterte der CDU-Politiker. Dabei werde man auch über die Andienungspflicht im genossenschaftlichen Bereich diskutieren müssen. Zum anderen gehe es darum, Mengenvereinbarungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien, deren Volumen einen bestimmten Prozentsatz der gesamten Milchmenge in Deutschland übersteigen, für allgemeinverbindlich zu erklären. Damit wären die Vereinbarungen für die gesamte Branche bindend.
Für SPD-Agrarsprecher  Wilhelm Priesmeier ist ein Verzicht auf die Andienungspflicht und ein damit verbundener intensiverer Wettbewerb der Molkereien um die Milch eine wesentliche Voraussetzung, die Position der Landwirte gegenüber ihren Abnehmern zu stärken. Priesmeier verwies auf eine mono- und oligopolistische Molkereistruktur in einigen Regionen, die sich in niedrigen Erzeugerpreisen niederschlage.
Preisrisiko gerechter verteilen
„Wir müssen zu einer gerechten Verteilung des Preisrisikos kommen”, nannte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ein Ziel des von ihm anberaumten Milchgipfels. Im Moment zahlten die Bauern alleine die Zeche; „Handel und Molkereien verdienen weiter”.   Die Landwirtschaft könne nicht „für alle Verwerfungen allein aufkommen”.  Auch die Länder werden sich in die Debatte einbringen. Eingeladen werden sollen Vertreter der unterschiedlichen Parteien. Vorgesehen sind Bayerns Ressortchef Helmut Brunner für die Union, der SPD-Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern,  Till Backhaus, sein grüner Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel, sowie Thüringens Ministerin Birgit Keller, Linke. Grünen-Agrarsprecher Friedrich Ostendorff übte indes scharfe Kritik an den von der Union vorgeschlagenen Hilfsmaßnahmen, die nach seiner Überzeugung vollkommen ins Leere laufen. „Wer jetzt Maßnahmen vorschlägt, die nicht mit einer Mengenreduzierung verbunden sind, hat die Situation immer noch nicht verstanden”, so Ostendorff.
Der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Udo Hemmerling, bezeichnete derweil in Berlin ein neuerliches Unterstützungsprogramm für die Landwirte als „dringend notwendig”.  Liquiditätshilfen und Bürgschaften seien notwendig, da die wirtschaftliche Lage vieler landwirtschaftlicher Betriebe äußerst angespannt sei. Von den Handelsketten erwarte der DBV Verantwortung und die Einsicht, dass die bisherige Billigstrategie im Widerspruch zu Bekenntnissen für mehr Nachhaltigkeit und Regionalität stehe, so Hemmerling. Auch die Molkereien seien gefordert und müssten gemeinsam mit ihren Lieferanten besser auf wechselnde Nachfragesituationen nach Milch reagieren. „Veränderungen der Lieferbeziehungen sind dringend anzugehen”, erklärte Hemmerling. Anders als zu Zeiten der Milchquote seien die Molkereien jetzt betriebsindividuell gefordert.
Verweigerungshaltung
Der Vorsitzende der Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), Romuald Schaber, warf Minister Schmidt  erneut  Verweigerungshaltung vor. Während Schmidt behaupte, für eine Ausgleichsleistung zur freiwilligen Reduzierung der Milchanlieferung keine Haushaltsmittel bereitstellen zu können, würden ein Zuschuss von 80 Millionen Euro für die Unfallversicherung und ein millionenschweres Bürgschaftsprogramm von Bund und Ländern angekündigt. Laut Schaber können sich die Milchviehhalter über staatliche Bürgschaften nur noch tiefer verschulden. Er kündigte an, man werde dem Minister „auf die Pelle rücken”. Vom 17. Mai bis zum 30. Mai würden Milchbauern aus ganz Deutschland rund um die Uhr vor dem Wahlkreisbüro des CSU-Politikers in Neustadt/Aisch präsent sein und jeden Tag „spontane Aktionen” durchführen.