Die Berliner Regierungskoalition will den Betrieben
mit einem Paket aus zusätzlichen finanziellen Hilfen
und steuerlichen Erleichterungen durch die Krise helfen. Zudem soll es für die Wirtschaftsbeteiligten erweiterte Spielräume zur Begrenzung der Milchmenge geben.
Während Verbraucher günstig Milchprodukte einkaufen können, bangen viele Milcherzeuger um ihre Existenz. Die Bundesregierung hat jetzt ein Hilfspaket angekündigt, dessen Effekte unterschiedlich beurteilt werden.
In Aussicht stehen neuerliche Liquiditätshilfen, eine erneute Anhebung des Bundeszuschusses zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung (LUV) sowie steuerliche Erleichterungen, die im Detail noch geprüft werden sollen. Darüber hinaus soll mit einer Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes der rechtliche Rahmen für Branchenvereinbarungen zur Milchmenge geschaffen werden. Zudem soll die Position der Milcherzeuger gegenüber ihren Lieferanten gestärkt werden. Dabei steht offenbar auch die Andienungspflicht im genossenschaftlichen Bereich zur Disposition.
„Milchgipfel” am 30. Mai
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen wurde die
ursprünglich für die vergangene Woche vorgesehene Novelle des
Agrarmarktstrukturgesetzes verschoben. Präsentiert werden soll das
gesamte Maßnahmenbündel bei einem „Milchgipfel”, zu dem
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt für den 30. Mai
eingeladen hat. Teilnehmen sollen Verbände aus der Landwirtschaft und
dem Molkereiwesen sowie der Lebensmitteleinzelhandel. Auch die Länder
sollen vertreten sein.
Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Unionsfraktionschef
Volker Kauder sicherten den Landwirten vergangene Woche Hilfe zu. Die
Bundesregierung werde die Bauern in der gegenwärtigen Krise nicht im
Regen stehen lassen, sagte Merkel nach Teilnehmerangaben in der Sitzung
der CDU/CSU-Fraktion am 10. Mai. „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist
entschlossen, den Bauern in dieser Krise zu helfen”, betonte Kauder am
vergangenen Freitag in einer Mitteilung an die Mitglieder seiner
Fraktion. Es gehe „um die Zukunft der ganzen Branche und um das
Herzstück des ländlichen Raums”.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann bezifferte in
derselben Verlautbarung die mögliche Anhebung der LUV-Bundesmittel auf
knapp 80 Millionen Euro. Für einen mittleren Betrieb resultiere daraus
eine Entlastung bei den Berufsgenossenschaftsbeiträgen von bis zu 3000
Euro im Jahr. Benötigt würden ferner Kredithilfen durch ein
Bürgschaftsprogramm von Bund und Ländern. Als Beispiel für mögliche
steuerliche Hilfen führte Connemann die befristete Einführung von
Freibeträgen an. Dies wäre ihrer Einschätzung nach „ein Befreiungsschlag
für die Betriebe”.
„Wir wollen die Branche in die Lage versetzen, das derzeitige
Überangebot auf dem Markt zu reduzieren, indem wir den rechtlichen
Rahmen für Branchenvereinbarungen schaffen”, sagte der agrarpolitische
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz-Josef Holzenkamp. „Unser
Ziel ist zum einen, die Position der Lieferanten gegenüber den
Molkereien zu stärken”, erläuterte der CDU-Politiker. Dabei werde man
auch über die Andienungspflicht im genossenschaftlichen Bereich
diskutieren müssen. Zum anderen gehe es darum, Mengenvereinbarungen
zwischen Milcherzeugern und Molkereien, deren Volumen einen bestimmten
Prozentsatz der gesamten Milchmenge in Deutschland übersteigen, für
allgemeinverbindlich zu erklären. Damit wären die Vereinbarungen für die
gesamte Branche bindend.
Für SPD-Agrarsprecher Wilhelm Priesmeier ist ein Verzicht auf die
Andienungspflicht und ein damit verbundener intensiverer Wettbewerb der
Molkereien um die Milch eine wesentliche Voraussetzung, die Position der
Landwirte gegenüber ihren Abnehmern zu stärken. Priesmeier verwies auf
eine mono- und oligopolistische Molkereistruktur in einigen Regionen,
die sich in niedrigen Erzeugerpreisen niederschlage.
Preisrisiko gerechter verteilen
„Wir müssen zu einer gerechten Verteilung des
Preisrisikos kommen”, nannte Bundeslandwirtschaftsminister Christian
Schmidt ein Ziel des von ihm anberaumten Milchgipfels. Im Moment zahlten
die Bauern alleine die Zeche; „Handel und Molkereien verdienen
weiter”. Die Landwirtschaft könne nicht „für alle Verwerfungen allein
aufkommen”. Auch die Länder werden sich in die Debatte einbringen.
Eingeladen werden sollen Vertreter der unterschiedlichen Parteien.
Vorgesehen sind Bayerns Ressortchef Helmut Brunner für die Union, der
SPD-Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus,
sein grüner Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel, sowie
Thüringens Ministerin Birgit Keller, Linke.
Grünen-Agrarsprecher Friedrich Ostendorff übte indes scharfe Kritik an
den von der Union vorgeschlagenen Hilfsmaßnahmen, die nach seiner
Überzeugung vollkommen ins Leere laufen. „Wer jetzt Maßnahmen
vorschlägt, die nicht mit einer Mengenreduzierung verbunden sind, hat
die Situation immer noch nicht verstanden”, so Ostendorff.
Der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
(DBV), Udo Hemmerling, bezeichnete derweil in Berlin ein neuerliches
Unterstützungsprogramm für die Landwirte als „dringend notwendig”. Liquiditätshilfen und Bürgschaften seien notwendig, da die
wirtschaftliche Lage vieler landwirtschaftlicher Betriebe äußerst
angespannt sei. Von den Handelsketten erwarte der DBV Verantwortung und
die Einsicht, dass die bisherige Billigstrategie im Widerspruch zu
Bekenntnissen für mehr Nachhaltigkeit und Regionalität stehe, so
Hemmerling. Auch die Molkereien seien gefordert und müssten gemeinsam
mit ihren Lieferanten besser auf wechselnde Nachfragesituationen nach
Milch reagieren. „Veränderungen der Lieferbeziehungen sind dringend
anzugehen”, erklärte Hemmerling. Anders als zu Zeiten der Milchquote
seien die Molkereien jetzt betriebsindividuell gefordert.
Verweigerungshaltung
Der Vorsitzende der Bundesverbandes Deutscher
Milchviehhalter (BDM), Romuald Schaber, warf Minister Schmidt erneut Verweigerungshaltung vor. Während Schmidt behaupte, für eine
Ausgleichsleistung zur freiwilligen Reduzierung der Milchanlieferung
keine Haushaltsmittel bereitstellen zu können, würden ein Zuschuss von
80 Millionen Euro für die Unfallversicherung und ein millionenschweres
Bürgschaftsprogramm von Bund und Ländern angekündigt. Laut Schaber
können sich die Milchviehhalter über staatliche Bürgschaften nur noch
tiefer verschulden. Er kündigte an, man werde dem Minister „auf die
Pelle rücken”. Vom 17. Mai bis zum 30. Mai würden Milchbauern aus ganz
Deutschland rund um die Uhr vor dem Wahlkreisbüro des CSU-Politikers in
Neustadt/Aisch präsent sein und jeden Tag „spontane Aktionen”
durchführen.