Betrieb und Wirtschaft | 15. Januar 2015

Beeren mit Mindestlohn-Problem

Von Heinrich von Kobylinski
Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn auf den Beerenanbau? Beim Obstbautag in Kappelrodeck-Waldulm gab es am Montag Antworten auf diese Frage von Uwe Michelfelder von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg.
Michelfelder stellte in der brechend vollen Halle bei der Veranstaltung des Mittelbadischen Arbeitskreises für Erwerbsobstbau, des Landratsamtes Ortenaukreis des Bezirksobstbauvereins seine Berechnungen vor. Seine Ausgangsfrage war, welche Marktpreise bei  Beerenobst nötig wären, um angesichts des erhöhten Lohnniveaus rentabel wirtschaften zu können. Zu den 8,50 Euro rechnete er einen Aufschlag dazu, um auch den zusätzlichen Verwaltungsaufwand (Aufzeichnungspflichten) und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall abzudecken. Michelfelder ging von einem Stundenlohn von 9,00 Euro aus. Im Fall des Himbeeranbaus müssen pro Hektar im Durchschnitt pro Jahr 2572 Arbeitsstunden (h) veranschlagt werden. Bei der achtjährigen Kultur geht man von einem aggregierten Jahresertrag von 7250 kg aus (9000 kg pro Vollertragsjahr). Der Experte setzte einen Marktpreis von 4,80 Euro/kg an und kam damit auf einen Umsatz von 45.719 Euro. Nach Abzug der variablen Kosten bleiben davon 9100 Euro übrig.Weil nur sechs von acht Jahren als Vollertrag zählen, sind das in aggregierter Betrachtung 5832 Euro. 
Nichts mehr übrig
Der Arbeitskreis-Vorsitzende Wendelin Obrecht (links) begrüßte Uwe Michelfelder von der LVWO Weinsberg als Referenten.
Dann geht es um die Abdeckung der festen Kosten: Nach den Erhebungen von Weinsberg müssen für die festen Kosten des Gesamtbetriebes pro Hektar rund 6000 Euro in Rechnung gestellt werden. Somit bleibt vom aggregierten Deckungsbeitrag nichts mehr übrig, weder für die Entlohnung der Familien-AK (rund 216 h/ha zu 20 Euro = 4320 Euro) noch für den Zinsansatz des Eigenkapitals. Familien-AK und der Zinsanspruch können erst dann beglichen werden, wenn der Marktpreis 5,65 Euro/kg beträgt. Definitionsgemäß ist das die langfristige Preisuntergrenze. Erst mit 6,50 Euro/kg wird der Preis erzielt (15 %  Zuschlag), der die Rücklagen für Neuinvestitionen ebenso erlaubt wie einen Unternehmergewinn mit Ausgleich für Risiko und Inflation.
Bei der Roten Johannisbeere ist die Lage schlechter: Es fallen im Schnitt 1910 h an. Bei einem Marktpreis von 1,40 Euro je kg und einem aggregierten Ertrag von 15.500 kg/ha (zwei Aufwuchsjahre, sieben Nutzungsjahre) wird ein aggregierter Deckungsbeitrag von 1402 Euro erzielt. Erst bei einem Kilopreis von 2,03 Euro können Familien-AK (6494 Euro) entlohnt werden, ebenso ist dann der Anteil an den festen Gemeinkosten entlohnt. Das Niveau eines Vollpreises (15 %  Zuschlag) beginnt ab 2,33 Euro je kg. „Der Einstieg in diese Fruchtart lohnt nicht, der Deckungsbeitrag ist einfach zu niedrig”, so Michelfelder.
Bei der Stachelbeere hingegen schätzt er das Gewinnpotential günstiger ein. Die Marktpreise von rund 3,00 Euro je kg und die Ertragsmenge von 12 000 kg erlauben etwas mehr kalkulatorischen Spielraum. Über sieben Anbaujahre wird ein aggregierter Deckungsbeitrag von 7476 Euro möglich. Die jährliche Abschreibung der Anlage beträgt 2327 Euro und der Anteil an den Gemeinkosten beträgt 3500 Euro. Für die Entlohnung der Familien-AK bleibt allerdings kaum mehr etwas übrig. Sollte der Preis aber auf mindestens 3,62 Euro steigen,  wären für den Einsatz der Familie 7600 Euro übrig. Das Niveau für einen Vollpreis (15 % Aufschlag) liegt bei 4,16 Euro/kg.
Noch attraktiver erscheint die Brombeere: Ein neunjähriger Anbau (zwei Jahre Junganlage, sieben Jahre Ertragsanlage) ermöglicht eine aggregierte jährliche Ernte von 8800 kg/ha und einen aggregierten Deckungsbeitrag von 17.179  Euro, wenn die Marktpreise weiter bei 4,50 Euro pro Kilo bleiben. Schon bei einem Niveau von 3,92 Euro wären genug Mittel da für die Abschreibung in Höhe von 2014 Euro, den Beitrag für die Gemeinkosten in Höhe von 3500 Euro und einen Lohnansatz für die Familien-AK im Umfang von 3106 Euro. Mit einem Marktpreis von 4,51 Euro wäre das Vollpreisniveau erreicht.
Bei den Erdbeeren führten Michelfelders Berechnungen zu einem Bild, das viele der Ortenauer Anbauer als zu pessimistisch bezeichneten, weil es das heimische Ertragspotential zu wenig berücksichtige. Er hatte 8250 kg/ha unterstellt – ein Wert, der auch nach Ansicht von OGM-Berater Markus Litterst mehr als doppelt so hoch sein könne. Michelfelder aber errechnete mit dem Marktpreis von 2,20 Euro/kg einen Deckungsbeitrag von 5519 Euro. Damit konnte zwar die Abschreibung der Anlage (in Höhe von 4626 Euro) finanziert werden, ein ausreichender Beitrag zur Abdeckung der Gemeinkosten (3500 Euro) und eine Entlohnung der Familien-AK ist damit aber nicht mehr möglich. Dafür würde  erst ein Marktpreis ab 3,04 Euro sorgen. Das Vollpreisniveau (15 %  Aufschlag) könne erst ab 3,50 Euro erreicht sein.
Nach 2017
Michelfelder warnte vor einem massenhaften Einstieg in den Anbau von Stachelbeeren und Brombeeren. Er äußerte vor allem die Hoffnung, dass es am Markt gelingt, kostendeckende Preise durchzusetzen, zumindest bei Stachelbeeren, Himbeeren und auch Erdbeeren. In einem weiteren Durchgang zeigte er auf, welche Preise notwendig sind, wenn ab November 2017 eine weitere Erhöhung des Mindestlohnniveaus verpflichtend wird: Aus Arbeitgebersicht ging er dabei von 11 Euro je Arbeitsstunde aus. Das Vollpreisniveau wird dann mit Sommerhimbeeren erreicht ab 6,20 Euro/kg, mit Roten Johannisbeeren ab 2,19 Euro/kg, mit Stachelbeeren ab 3,85 Euro/kg, mit Brombeeren ab 4,31 Euro/kg und mit Erdbeeren ab 3,25 Euro/kg. 
Fliege schlägt zu Buche
Unabhängig von der Diskussion um den Mindestlohn sieht Uwe Michelfelder die eigentliche aktuelle Anbauproblematik im Schadenspotential durch die Kirschessigfliege: Am Beispiel der Sommerhimbeeren zeigte er auf, welche wirtschaftlichen Folgen selbst bei einem mäßigen Befall zu befürchten sind: Er unterstellte insgesamt 47 Pflückdurchgänge, was die Lohnkosten gegenüber einer gesunden Anlage von 21.150 auf  31.500 Euro steigen lässt. Wegen des Ertrages von 6500 kg (statt 8500 kg) und einem Anteil von 1500 kg in HKL II  (statt 500 kg) werden nur 33.542 Euro statt 45.719 Euro erlöst. Bei Kilo-Marktpreisen von 4,80 Euro und 1,00 Euro ergibt sich für die Befallsfläche ein negativer Deckungsbeitrag in Höhe von 12.391 Euro gegenüber 9100 Euro in einem gesunden Bestand.