Land und Leute | 20. Februar 2015

Bauerngartenkultur in Südbaden

Von Charlotte Störch
Es mag erstaunen, doch landwirtschaftliche Themen sind auch in der Forstlichen Landespflege der Universität Freiburg durchaus angesagt. Die Forstwissenschaftlerin Charlotte Störch hat in ihrer Masterarbeit die Bauerngartenkultur Südbadens unter die Lupe genommen – hier eine kurze Zusammenfassung.
Gemüse und eine Vielzahl an Blumen stehen in den meisten Bauerngärten dicht an dicht nebeneinander.
Als ich im dritten Fachsemester des Masters „Forstwissenschaften” begann, mich mit meiner anstehenden Abschlussarbeit zu befassen, war schnell klar, dass ich meine Arbeit im Bereich meiner Profillinie „Landnutzung und Naturschutz” in der Landespflege schreiben wollte.
BBZ hilft bei derThemenfindung
Das Themenfeld Agrobiodiversität stand, inspiriert durch ein zuvor absolviertes Praktikum im Samengarten in Eichstetten am Kaiserstuhl und in Absprache mit Prof. Werner Konold (Professur für Landespflege, Freiburg)  schon  fest. Den entscheidenden Anstoß für meine Masterarbeit gab schließlich ein Gespräch der BBZ-Redakteurin Sabine Köllner vom Badischen Landwirtschafts-Verlag  mit Professor Werner Konold zum Thema Bauerngärten, aus dem sich dann eine konkrete Fragestellung mit Praxisbezug  zu hiesigen Bauerngärtnerinnen herauskristallisierte: Es sollte um die regionale Bauerngartenkultur gehen. Die eigentliche Fragestellung der Masterarbeit – worum sollte es im Einzelnen gehen, was soll untersucht werden – all das ergab sich erst in den Gesprächen mit den beiden Vorsitzenden des Vereins Bauerngarten- und Wildkräuterland Baden, Walburga Schillinger und Eva-Maria Schüle, als wichtigste Ansprechpartnerinnen und „Türöffner”. Und so enstand meine Arbeit, sozusagen als „wissenschaftlicher Unterbau”, in enger  Verbindung zu der von ihnen geplanten Bauerngartenroute, die in diesem Jahr noch eröffnet wird. Die Aufgabe  war eine  Art Bestandsaufnahme der Bauerngartenkultur im Untersuchungsraum Südbaden.
Quo vadis - wohin geht es mit dem Bauerngarten?
Darüber hinaus befasst sich die Arbeit mit der Fragestellung, welche Bedeutung die Bauerngartenkultur als Hort von Kulturpflanzenvielfalt, alten Sorten und damit verbundenem gärtnerischen Wissen heute noch hat und wie diese Gartenkultur auch in Zukunft erhalten werden kann. Der „Bauerngarten” als Untersuchungsobjekt ist dabei – fernab von romantischen Klischees und Idealbildern – als Nutzgarten zu verstehen, der vorrangig mit Gemüse und anderen Nutzpflanzen bestellt wird und – wie der Name schon sagt – üblicherweise zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehört.
Unzählige Besuche und Gespräche
Da ich selbst eine  leidenschaftliche Gärtnerin bin, war es mir wichtig, vor Ort mit den Gärtnerinnen in ihren Gärten zu sprechen. Über meine beiden Ansprechpartnerinnen bekam ich den Kontakt zu insgesamt  26 Bauerngärtnerinnen, von denen ein Großteil sich auch  an der geplanten Bauerngartenroute beteiligt. Im Sommer 2014 konnte ich so innerhalb einiger Wochen  alle Gärtnerinnen und ihre Gärten besuchen und befragen. Die Verteilung der Gärten erstreckte sich von der Rheinebene und dem Kaiserstuhl im Westen bis hin zu einem „Ausreißer” Richtung Bodensee im Osten. Im Norden bildet das Kinzigtal eine großzügige Grenze, in deren Einzugsbereich sich mehrere besuchte Bauerngärten finden. Die südlichsten Gärten reichen bis hinein in den Südschwarzwald. Im Vorfeld meiner  Gartenbesuche hatte ich  einen Gesprächsleitfaden entwickelt. Neben einigen einleitenden allgemeinen Fragen zum Garten wurden vier Themenblöcke angesprochen. Die Fragen sollten:
  •  ein ungefähres Bild über die Vielfalt und Menge an verschiedenen Kulturpflanzen liefern.
  • lokale oder in anderer Weise besondere Sorten erheben.
  • herausarbeiten, wieviel  gärtnerisches Wissen und Erfahrung die Gärtnerinnen mitbringen oder bewahren.
  • sich mit der persönlichen Motivation, einen Garten zu betreiben, befassen und mögliche Perspektiven für ein Weiterbewirtschaften benennen.
In keinem einzigen Fall wurde meine telefonische Besuchsanfrage abgelehnt. Allerorten wurde ich mit sprichwörtlich offenen Gartentüren, viel Geduld und Interesse für mein Anliegen begrüßt. Es war spannend und inspirierend, einen Einblick in so viele unterschiedliche Gärten, aber auch in die unetrschiedlichen Lebenssituationen und Biographien der Gärtnerinnen zu erhalten. Am Ende der mehrwöchigen Gartenbesuchs-Phase standen zahlreiche handgeschriebene Gesprächsskripte und stapelweise (Bauern-)Garten-Literatur. Beides zusammen diente mir als Grundlage für die Auswertung.
Bis heute ist die Bewirtschaftung der Gärten im Untersuchungsraum vor allem Frauensache.  In der Regel wurden die Gärten zusammen mit dem gärtnerischen Erfahrungswissen von der Mutter oder Schwiegermutter an die Gärtnerinnen der jüngeren Generation weitergegeben. Bei schwereren Arbeiten oder in besonders arbeitsreichen Zeiten erhalten die Bauerngärtnerinnen Hilfe von den Männern und aus der Familie.
    
Ergebnisse der Untersuchung
Die Anlage der Gärten ist an praktischen Gesichtspunkten und einer möglichst einfachen und effizienten Bewirtschaftung orientiert. Viele Gärten sind sehr alt und können über mehrere Generationen zurückverfolgt werden. Die intensive Pflege und regelmäßige Mist- und Kompostzugaben haben zu nährstoffreichen, wüchsigen Gartenböden geführt. Bis heute dienen die Bauerngärten vorrangig der Versorgung der Familie, die meisten der besuchten Gärten gehören zu einem im Haupt- oder Nebenerwerb bewirtschafteten Hof.
Die untersuchte Kulturpflanzenvielfalt in den Gärten bewegt sich auf verschiedenen Betrachtungsebenen. Auf Ebene der unterschiedlichen Anbaukulturen wurden neben Gemüse, Heil- und Gewürzkräutern in fast allen Gärten eine Vielzahl von Zierpflanzen und außerdem Beerensträucher und Obst kultiviert.
Das Kinzigtäler "Kehlkrut" - ehedem weitverbreitet - wird heute nur noch in sehr wenigen Gärten angebaut.

Im Hinblick auf Arten, Formen und Varietäten von Kulturpflanzen wiesen die meisten der besuchten Gärten ebenfalls eine hohe Vielfalt auf.  Interessant war, dass es auf Sorten-Ebene starke Unterschiede innerhalb der unterschiedlichen Arten gab, aber auch zwischen den verschiedenen Gärten. In manchen Gärten fand sich bei fast allen Gemüsearten eine große Sortenvielfalt, in anderen zeigten hauptsächlich einzelne Arten  (insbesondere Tomate, Kartoffel und Salat) eine auffallende Vielzahl an unterschiedlichen Sorten. Für die Heil- und Gewürzkräuter ergab sich ein ähnliches Bild. Bei den Zierpflanzen fand sich die insgesamt größte Vielfalt an Arten und Sorten. Mit großer Leidenschaft bauen viele Bauerngärtnerinnen unterschiedlichste  Blumen und Stauden in ihren Gärten an und nach. Viele der befragten Bauerngärtnerinnen erzählten, dass es diese Blumenvielfalt so früher nicht gegeben hat, weil Zeit und Raum für solchen „Luxus” nicht da waren. Umso mehr scheinen sie heute das wachsende Blütenmeer im Gemüsegarten zu genießen. In den Gärten werden außerdem noch verschiedene „alte” Gemüsearten wie Guter Heinrich, Pastinake oder Steckrüben kultiviert. Immerhin zwei sogenannte „alte Landsorten”, das heißt Sorten, die schon seit mindestens 30 Jahren an einem Standort nachgebaut werden, konnten ebenfalls festgestellt werden: Beide Sorten werden seit mehr als 50 Jahren kontinuierlich nachgebaut und wurden jeweils von der Mutter an die heutige Nachbauerin weitergegeben. Es handelt sich um das ehedem im Kinzigtal weit verbreitete „Kehlkrut”, eine regionale Markstammkohlsorte, und um eine Monstranzbohnensorte mit besonders schöner Zeichnung. Sie wurden (in Form von Saatgut) auch an den Samengarten Eichstetten weitervermittelt, um ihren Erhalt zu sichern. Ein Nachbau, also die Vermehrung von angebauten Pflanzen und das gezielte Gewinnen von Saatgut, findet in den meisten Bauerngärten nur noch bei einzelnen Gemüsearten (und
-sorten) statt. Zwar gewinnen fast alle Gesprächspartnerinnen noch selber Saatgut oder vermehren Kulturpflanzen vegetativ (über Pflanzenteile), jedoch vor allem von ein- oder zweijährigen Blumen und Stauden und weniger von Gemüsepflanzen. Für die  Bauerngärtnerinnen ist dies vor allem eine Frage von Zeit und Arbeitsaufwand. Viele der Frauen sind nebenher noch berufstätig und/oder haben einen Hof und die Familie zu versorgen. Insgesamt aber scheinen der Nachbau von Kulturpflanzen und die Saatgutgewinnung – ebenso wie das Interesse an alten und regionalen Sorten – wieder zuzunehmen. Beeindruckend war, über welch breites praktisches Wissen zum Garten, den darin kultivierten Pflanzen und ihrer Verarbeitung die Bauerngärtnerinnen verfügen. Die Gärtnerinnen haben viele Tricks und Tipps, wie das Pflanzenwachstum auch in unwirtlichen (Höhen-)Lagen gestärkt werden kann, und vermögen geschickt die Vorteile zum Beispiel von Mischkulturen auszunutzen. Einzelne haben außerdem ein umfangreiches Wissen zur Wirkung und Anwendung von Kräutern in der Pflanzenheilkunde.
Der Altersdurchschnitt der interviewten Gärtnerinnen lag bei 61 Jahren, wobei die jüngste Gärtnerin 35, die älteste 93 Jahre alt war. In der Regel bewirtschaften die alten Gärtnerinnen  ihren Garten, solange es irgendwie geht. In vielen Fällen ist fraglich, wer den Garten danach weiterführen wird.
Generationen-Bruch
Das traditionelle Konzept der innerfamiliären Weitergabe an die nächste Generation greift nicht mehr. Oftmals beklagen „die Alten” das mangelnde Interesse der Jüngeren am Garten. Dennoch ist bei den vielen Bauerngärten, die noch mit Liebe und Engagement betrieben werden, eine florierende Gartenkultur zu verzeichnen und zumindest ein teilweiser Trend zurück zu alten, regionalen und samenfesten Sorten und dem eigenen Nachbau von  Kulturpflanzen. Um einem weiteren Rückgang der alten Nutzgärten entgegenzuwirken, gilt es, ihre Bedeutung ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und dabei auch vorhandene, traditionelle Nutz- und Zierpflanzen und die wenigen Lokalsorten zu bewahren. Nur, wenn die Arbeit der GärtnerInnen und der (in Geld bemessene) Unterhalt eines Nutzgartens  Wertschätzung erfahren,  wird die jüngere Generation bereit sein, dieses lebendige Erbe weiterzuführen.
Gerade der Ausblick auf einen erwerbswirtschaftlichen Zugewinn über die Vermarktung von (Bauern-)Gartenprodukten oder in Form von Kursen, Seminaren und ähnlichen Angeboten schafft Motivation. Damit verbunden ist auch der Gewinn eines positiven Selbstwertgefühls, den der Garteneinsatz mit sich bringt. Nicht zu vergessen die körperliche, seelische und  emotionale Zufriedenheit, die gerade bei älteren Gärtnerinnen tragend zu sein scheint.Damit das alles gelingt, braucht es  ein gutes Vermarktungskonzept und  Öffentlichkeit.  Netzwerke wie die Bauerngartenroute, der Verein Bauerngärten- und  Wildkräuterland Baden e.V. und andere Bauerngartenvereine sowie die Landfrauenverbände sind dabei wichtige  Interessenvertreter, da sie das  Engagement und die Ziele der Bauerngärtnerinnen bündeln,  effektiv kanalisieren und so viel besser  Außenwirkung erzielen können, als das einzelne Gärten und Gärtnerinnen schaffen könnten. Auch für den Austausch der Gärtnerinnen untereinander spielen sie eine wichtige Rolle und können als „Wissenspool”, Ansprechpartner bei Gartenfragen und Vermittler von Interessierten und Helfern fungieren.
Mein Dank und meine Achtung gilt allen Bauerngärtnerinnen und -gärtnern, die mit ansteckender Neugier, Experimentierfreude und Begeisterung ihren Garten bestellen und meine Abschlussarbeit ungemein bereichert und belebt haben!
 
Zur Situation der Bauerngärten
Mit dem Wandel traditioneller Rollenbilder und Lebensentwürfe in der bäuerlichen Kultur und im Zuge des landwirtschaftlichen Strukturwandels veränderten und verändern sich auch die Rolle und Funktion der Bauerngärten. Vielerorts sterben die alten, gewachsenen Bauerngärten mit den oftmals betagten Gärtnerinnen aus. Auch im eher traditionell geprägten Schwarzwald und im (süd-) badischen Raum ist die Verbreitung der Bauerngärten in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Gleichzeitig findet sich in diesem Raum ein Netzwerk  engagierter Bauerngärtnernnen und -gärtner, die versuchen, durch Vernetzung, den Austausch untereinander und verschiedenste Ideen und Angebote Bauerngärten und ihre Produkte sowie ihre  Besucherqualitäten in die Öffentlichkeit zu bringen und damit dem Schwinden dieser Kleinode entgegenzuwirken. Ein Beispiel dafür ist die initiierte „Bauerngartenroute”, die in Anlehnung an Konzeptionen wie die sogenannte „Käseroute” hier ansetzt. Die Eröffnung der Route ist für das Frühjahr 2015 geplant.Charlotte Störch