Politik | 11. April 2019

Auswege finden aus dem Dünge-Dilemma

Von AgE
Die Bundesregierung sucht weiter nach einer Lösung im Düngestreit. Die Bundesländer kritisieren gleichzeitig, von Berlin nicht einbezogen worden zu sein.
Die Bundesregierung will in Sachen Düngungseinschränkungen mit den Brüsseler Beamten „in die Details gehen”.
„Wir brauchen passgenaue Maßnahmen, die den Verhältnissen vor Ort gerecht werden und praktikabel sind”, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner nach dem  Spitzengespräch am Montag zur Änderung der Düngeverordnung in Berlin.
Klöckner kündigte an, dass die beiden Staatssekretäre von Landwirtschafts- und Umweltministerium,  Hermann Onko Aeikens und Jochen Flasbarth, an diesem Freitag  zu Gesprächen mit der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission nach Brüssel reisen werden. Offenbar geht es darum, den Spielraum für die von Klöckner angestrebten differenzierten Regelungen auszuloten.
Von einer Rücknahme der Brüsseler Forderung nach weiteren Verschärfungen der Düngeverordnung ist hingegen keine Rede. Beide Ministerien seien sich einig, dass die Novelle der Düngeverordnung von 2017 nicht ausreichend sei, um das Nitratproblem zu lösen, betonte der Parlamentarische Staatssekretär vom Umweltressort, Florian Pronold, der Ministerin Svenja Schulze vertrat.
Mit Brüsseler Beamten „in die Details gehen”
Sowohl Klöckner als auch Pronold verwiesen vor Journalisten auf die von der Kommission signalisierte Bereitschaft, wirkungsgleiche Maßnahmen insbesondere zu dem viel kritisierten pauschalen 20-Prozent-Abschlag bei der Stickstoffdüngung in nitratbelasteten Gebieten zu akzeptieren. Hierzu werde man mit den Brüsseler Beamten „in die Details gehen”, um mögliche Alternativen zu diskutieren. „Wir brauchen Regelungen, die sowohl die Zustimmung in Brüssel finden als auch von den Bundesländern mitgetragen werden”, so Klöckner in Anspielung auf die erforderliche Mehrheit für eine neuerliche Novelle im Bundesrat. Eine wichtige Rolle werde dabei zum einen die Agrarministerkonferenz in dieser Woche in Landau spielen. Zum anderen sei für nächste Woche ein Treffen der Fachreferenten in den Länderagrarressorts angesetzt. Klöckner ließ erkennnen, dass die Kommission zügig Antworten erwartet und man eine Klärung der offenen Fragen nicht auf die lange Bank schieben könne.
Die Länder haben indes erneut ihren Unmut über ihre fehlende Einbeziehung in die Abstimmung für eine von der EU-Kommission geforderte Verschärfung der Düngeverordnung bekundet. Nahezu alle Landesvertreter hätten sich kritisch zum bisherigen Vorgehen der Bundesregierung geäußert, hieß es nach dem  Düngegespräch am Montag unter Leitung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in Berlin.
Bereits zuvor verschärften führende Unionsagrarier ihren Ton gegenüber der EU-Kommission. „Wir brauchen einen sofortigen Stopp des Verfahrens gegen Deutschland”, erklärten die Agrarpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, Albert Stegemann und Marlene Mortler, nach einem Treffen mit Europaabgeordneten der Union am 3. April in Brüssel. Die Parlamentarier fordern von der EU-Kommission einen „erfüllbaren, fairen und verlässlichen Zeitrahmen” für eine mögliche Änderung des Düngerechts. Nur so sei eine objektive Bewertung der bereits 2017 eingeleiteten Verschärfungen möglich. Es gehe auch in Zukunft darum, für Praxistauglichkeit und Rechtssicherheit zu sorgen. Dafür biete sich eine Zeitachse bis zur Vorlage des nächsten Nitratberichts an. Erst dann lägen verlässliche Zahlen auf dem Tisch.
„Hausaufgaben gemacht”
„Deutschland hat seine Hausaufgaben gemacht”, betonte Connemann. Die aktuellen Zahlen bewiesen, dass die 2017 beschlossenen Änderungen der Düngeverordnung wirkten. Weitere Verschärfungen würden der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zufolge hingegen zu einem Strukturbruch führen. „Wir dürfen unsere Bäuerinnen und Bauern nicht überfordern”, warnte die CDU-Politikerin, die sich zuvor bereits in ihrer Funktion als Vorsitzende der Landwirtschaftskommission der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung (MIT) für einen Aufschub der Novelle eingesetzt hatte. Nach den Worten von Stegemann nimmt die Landwirtschaft ihre Verantwortung ernst. Die Düngepraxis habe sich in den letzten 30 Jahren enorm gewandelt. Es werde weniger und gezielter gedüngt. Vor weiteren Verschärfungen fordert der Agrarsprecher umfassendere Kenntnisse über die Eignung der Messstellen sowie über die weiteren Eintragsquellen und deren Reduktion. CSU-Agrarsprecherin Mortler kündigte an, sie werde politisch kämpfen, damit die geforderten Verschärfungen „nicht in voller Härte auf unsere Betriebe zukommen”. Die Union mache sich nicht mitschuldig, „Totengräber der deutschen Landwirtschaft zu sein”, so Mortler.
Was die SPD will
Die SPD bekräftigte derweil ihre langjährige Forderung nach flächengebundener Tierhaltung. In einem Positionspapier tritt die Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion dafür ein, künftig nur noch Tierhaltungen mit maximal zwei Großvieheinheiten (GVE) je Hektar zuzulassen sowie das Bau-, Immissionsschutz- und Förderrecht  anzupassen.
Der Arbeitsgruppe zufolge ist nur so eine tatsächliche Nährstoffreduzierung in besonders viehstarken Regionen möglich. Handlungsbedarf sehen die SPD-Agrarier bei der betrieblichen Nährstoffbilanzierung. So müsse die Stoffstrombilanzierung ab sofort für alle Betriebe nach dem Verursacherprinzip gelten. Dabei seien „Schönrechnungsmöglichkeiten” auszuschließen. Zum gesetzlichen Standard will man die bodennahe Ausbringung und unverzügliche Einarbeitung von Wirtschaftsdünger machen.
Nitratbelastete Gebiete sollen klarer abgegrenzt und nach Brüssel gemeldet werden. Die Kontrolle von Wirtschaftsdüngertransporten soll verstärkt werden, um nationale und grenzüberschreitende Gülletransporte besser zu  regulieren. Als „Ultima Ratio” könne in besonders belasteten Gebieten auf Landkreisebene eine Begrenzung der auszubringenden Nährstoffmengen eingeführt werden. Vorgeschlagen wird ein Bundesprogramm Nitratreduzierung mit einem Volumen von mindestens 50 Millionen Euro im Jahr, um in Technologien  zur Gülle- und Gärresteverwertung zu investieren.
6000 Bauern demonstrierten in Münster
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner warnte gegenüber den Demonstrationsteilnehmern davor, die Brüsseler Forderungen auf die leichte Schulter zu nehmen.
Ihren Unmut über Inhalt und Verfahren bei der angestrebten neuerlichen Novellierung der Düngeverordnung haben rund 6000 Landwirte am Donnerstag voriger Woche  in Münster zum Ausdruck gebracht. „Die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen bringen drastische Einschnitte, die fachlich wenig oder gar nicht überzeugen”, erklärte der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), Johannes Röring, bei der gemeinsam von WLV und dem Rheinischen Landwirtschafts-Verband (RLV) ausgerichteten Kundgebung unter dem Motto „Bauern brauchen Zukunft − Zukunft braucht Bauern!”. Röring übte erneut scharfe Kritik insbesondere an der geplanten Regelung, die maximal zulässige Düngung in nitratbelasteten Gebieten pauschal um 20 Prozent zu reduzieren. Laut RLV-Präsident Bernhard Conzen steht die regionale Erzeugung von Gemüse, Kartoffeln und Qualitätsgetreide auf dem Spiel. Er betonte, dass die Landwirte die Probleme verstanden hätten und bereit seien, „Dinge in Ordnung zu bringen”. Conzen wandte sich  aber zugleich gegen Forderungen aus Brüssel,  die nichts mit der guten fachlichen Praxis zu tun hätten.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner warnte indes davor, die Brüsseler Forderungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Man könne die Argumente der EU-Kommission nicht einfach vom Tisch wischen, sagte Klöckner. Komme es zu einem Zweitverfahren, werde die Brüsseler Behörde Rechtsänderungen diktieren können, „ohne dass wir noch inhaltlich mitreden können”. Gleichzeitig zeigte sich die CDU-Politikerin gesprächsbereit und  zollte sie den Bauernfamilien „großen, großen Respekt” für ihre Arbeit. Sie verwies dabei  auf die teils unfaire Berichterstattung in den Medien.
„Auch wir Landwirte wollen sauberes Wasser und stehen in der Pflicht, hierzu unseren Beitrag zu leisten”, betonte Röring. Es wäre unredlich, so zu tun, als hätte die Nitratbelastung des Grundwassers in einigen Gebieten nichts mit der Landwirtschaft zu tun. In einigen Regionen werde man daher „fachlich gebotene” Auflagen akzeptieren müssen. Grundsätzlich sieht der WLV-Präsident die Belastung der Betriebe aber an einem Punkt angekommen, an dem sich Politik und Gesellschaft entscheiden müssten, ob sie auch künftig noch eine bäuerliche Familienlandwirtschaft wollten.
Röring  kritisierte außerdem, dass sowohl Bundesumweltministerin Svenja Schulze als auch ihr Staatssekretär Jochen Flasbarth die Einladung nach Münster abgelehnt hätten, obgleich das Umweltressort federführend bei der Düngeverordnung sei. Das sei „bezeichnend und sehr schade”.