Der gesetzliche Mindestlohn soll von derzeit 9,35 Euro brutto pro Stunde in mehreren Schritten zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro ansteigen. In der Agrarbranche sorgt dies angesichts der schwierigen Gesamtsituation der Wirtschaft für Unverständnis.
Zwar habe sich die Mindestlohnkommission bemüht, der pandemiebedingten wirtschaftlichen Unsicherheit mit einer moderaten Anpassung im kommenden Jahr Rechnung zu tragen, räumte die Geschäftsführerin vom Gesamtverband der Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA), Nicole Spieß, ein. Es sei jedoch in keiner Weise nachvollziehbar, „wie inmitten der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit eine Erhöhung des Mindestlohns auf 10,45 Euro und damit um fast zwölf Prozent ab Juli 2022 beschlossen werden konnte”.
Sonderkulturbetriebe über Gebühr belastet
Der Gesamtverband hatte im
Hinblick auf die auch in der Landwirtschaft spürbaren wirtschaftlichen
Auswirkungen der Corona-Krise eine Aussetzung der Mindestlohnanpassung
für das Jahr 2021 gefordert, um die Existenz der Betriebe und damit auch
die Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Spieß wies darauf hin, dass
gerade Sonderkulturbetriebe mit einem hohen Arbeitskräftebedarf in der
zweiten Jahreshälfte, etwa zur Ernte von Gurken, Kohl, Stein- und
Kernobst oder im Weinbau, durch die Lohnerhöhungen jeweils zum 1.Juli
über Gebühr belastet würden. Das gelte insbesondere für die
Lohnsteigerung zum 1. Juli 2022. Diese Erhöhung weiche zudem deutlich
vom Kriterium der nachlaufenden Tariflohnentwicklung ab und greife damit
auch unmittelbar in das Tarifgeschehen ein, kritisierte die
Geschäftsführerin.
Unzufrieden mit dem Mindestlohnvorschlag zeigte sich auch der
Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Laut Angaben von Präsident
Michael Wippler hat die Corona-Krise manche Unternehmen in eine sehr
schwierige Lage gebracht. Nicht wenige Mittelständler schauten mit Sorge
in die Zukunft. Dabei seien die Unternehmen je nach Branche, Region und
Lage höchst unterschiedlich betroffen. Der Beschluss der
Mindestlohnkommission unterscheide jedoch nicht nach Branchen oder
Regionen. Er sehe erneut pauschale Lohnerhöhungen für die gesamte
Wirtschaft vor, ohne spezifisch nach Branchen zu differenzieren.
Die Anpassungsstufen
Die Mindestlohnkommission hatte am 30. Juni ihren dritten Bericht seit
der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland
im Januar 2015 vorgelegt. Darin schlägt sie vor, den gesetzlichen Mindestlohn in folgenden Stufen zu erhöhen:
-
zum 1. Januar 2021 auf 9,50 Euro/Stunde
-
zum 1. Juli 2021 auf 9,60 Euro/Stunde
-
zum 1. Januar 2022 auf 9,82 Euro/Stunde
-
zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro/Stunde
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte an, den Vorschlägen der
Kommission zu folgen und sie per Rechtsverordnung verbindlich zu machen.
Im Herbst will der Minister Vorschläge für eine Weiterentwicklung des
Mindestlohns unterbreiten. Heil: „Der Mindestlohn ist gut, aber er kann
noch besser werden.”
Wie Fachmann Michael Nödl vom BLHV zum derzeitigen Verfahren erläutert,
kann die Bundesregierung die von der Bundeslohnkommission
vorgeschlagene Anpassung des Mindestlohns durch Rechtsverordnung ohne
Zustimmung des Bundesrates für alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer
verbindlich machen. Dabei ist sie an den Vorschlag der
Mindestlohnkommission insoweit gebunden, als sie den Vorschlag entweder
übernehmen kann oder aber den Mindestlohn nicht erhöht. Sie kann keinen
anderen Mindestlohn festlegen, ist also faktisch an den Beschluss der
Mindestlohnkommission gebunden.