Politik | 25. Juni 2015

Agrarentwicklung statt Agrarwende

Von AgE
In der Bundestagsdebatte zum Agrarbericht trat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt für eine Agrarentwicklung ein, als Gegenmodell zur geforderten Agrarwende der Opposition. Diese kritisierte den Minister scharf und warf ihm Untätigkeit vor.
„Mehr mit der Landwirtschaft reden als über sie”: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt warnte im Bundestag vor Pauschalisierungen und Vereinfachungen in der agrarpolitischen Diskussion.
In bislang nicht gekannter Schärfe hat die Opposition Bundeslandwirtschaftsminister Christian  Schmidt  attackiert.  Die agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion,  Kirsten  Tackmann, und  Grünen-Agrarsprecher Friedrich  Ostendorff  warfen dem Minister am 19. Juni in der Debatte zum Agrarbericht Untätigkeit in wesentlichen Politikbereichen vor. Tackmann beklagte das Fehlen eines Agrarleitbildes der Bundesregierung und damit einhergehend eine richtungslose Agrarpolitik. Insbesondere den aus ihrer Sicht gefährlichen Entwicklungen auf dem Bodenmarkt schaue der Minister tatenlos zu.
Auch Ostendorff vermisst schlüssige Antworten auf die Frage, wohin sich die hiesige Landwirtschaft entwickeln solle. Der Minister werde „zwischen Münchner Staatskanzlei und Bauernverband pulverisiert”. Der Grünen-Politiker rief Schmidt dazu auf, einen Masterplan zum Tierhaltungsumbau vorzulegen. Für den Milchmarkt verlangt
Ostendorff eine aktive Mengensteuerung, „damit nicht weiterhin jedes Jahr vier Prozent der Betriebe aufgeben müssen”.
 Schmidt wies die Kritik zurück. „Wir bleiben bei der Agrarentwicklung und brauchen keine Agrarwende”, sagte der Minister. Die Sprecher der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD, Franz-Josef  Holzenkamp  und Wilhelm  Priesmeier, bekräftigten ihr Bekenntnis zu einer wettbewerbsfähigen Land- und Ernährungswirtschaft.
Tackmann hielt Schmidt vor, er tue nichts, um der „dramatischen Situation” auf dem Bodenmarkt Einhalt zu gebieten. Gerade in Ostdeutschland laufe längst die Umverteilung des Bodens in die Hände landwirtschaftsfremder Kapitalgeber. Es gebe immer mehr Ackerbau-Holdings, „die mit einer vor Ort verankerten, nachhaltigen Landbewirtschaftung nichts zu tun haben”.
 Handlungsbedarf sieht Tackmann hinsichtlich der Viehdichte. Angesichts der Tierseuchengefahr müssten dringend Obergrenzen für Tierbestände an Standorten und in Regionen gesetzlich definiert werden. Schließlich fehle es an einer Biomassestrategie für die energetische und stoffliche Nutzung. Nur so könne verhindert werden, dass die Landwirtschaft zum Rohstofflieferanten degradiert werde.
Der Handel braucht Druck
Ostendorff verwies auf die desaströse Einkommenssituation vieler Milchviehbetriebe. Dringend notwendig seien ein effektives Krisenmanagement und die Regulierung des Marktes. Seine Partei habe deutlich gemacht, „dass eine aktive Marktgestaltungspolitik gebraucht wird und wie sie aussehen kann”, sagte der Grünen-Politiker. Beim Tierschutz warf Ostendorff dem Minister vor, er schone die Wirtschaft.  Die Aufgabe des Ministers sei es, „den Lebensmittelhandel mehr in die Verantwortung zu nehmen”, so Ostendorff mit Blick auf die unzureichende Mittelausstattung der Brancheninitiative Tierwohl. Der Grünen-Abgeordnete sieht Schmidt in der Pflicht, den Lebensmittelhandel unter Druck zu setzen und zusätzliche Mittel zu mobilisieren. Ostendorff: „Die Betriebe, die sich aufgemacht haben, müssen für ihren Aufwand entlohnt werden.”
„Patentrezepte gibt es nicht”, sagte der CSU-Politiker zu den aktuellen Forderungen nach einer erneuten Mengensteuerung auf dem Milchmarkt. Instrumente, die bereits früher nicht funktioniert hätten, seien auch heute keine Lösung. Notwendig sei „ein Netzwerk, das Leitplanken schafft und Krisenreaktionen beinhaltet”. Den Bodenmarkt bezeichnete Schmidt als „Baustelle, an der wir arbeiten müssen”. Die zu verzeichnenden Pachtpreissteigerungen und die zunehmende Flächenkonzentration stellten eine Gefährdung für die heimische Agrarstruktur dar. Die Brancheninitiative Tierwohl werde von der Privatwirtschaft getragen. Die Bundesregierung habe daher keine Handhabe, den Lebensmittelhandel zu zwingen. Hinsichtlich des angestrebten Bürokratieabbaus will es der Minister nicht bei Lippenbekenntnissen belassen. Künftig werde sein Haus alle zwei Jahre in einem Bericht darüber Auskunft geben, wie sich die Belastung der Betriebe durch europäische und nationale Regelungen entwickelt habe und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gebe.
Schmidt kritisierte erneut, dass die gesellschaftliche Debatte über die heimische Lebensmittelerzeugung nach wie vor über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt werde: „Ich fordere dazu auf, mit den Landwirten zu reden und nicht über sie.”
Landwirte mitnehmen
Holzenkamp bezeichnete wettbewerbsfähige landwirtschaftliche Betriebe als „das Rückgrat der ländlichen Räume in Deutschland”. Notwendige Veränderungen dürften daher „nur mit den Landwirten und nicht gegen sie” vorgenommen werden. „Wir setzen auf Lösungen statt auf Verbote”, betonte der Unionsabgeordnete. Dies gelte insbesondere für die Tierhaltung.  Die gegenwärtige gesellschaftliche Auseinandersetzung sieht Holzenkamp als Chance. Die Betriebe hätten die Möglichkeit, aufzuklären und für Transparenz zu sorgen. Dies gelte auch für die Diskussion um die Grüne Gentechnik.
Herkulesaufgabe
Für SPD-Agrarsprecher Priesmeier sind höhere Standards in der Tierhaltung nur akzeptabel, „wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Branche nicht in Frage gestellt wird”. Die Verbesserung der Haltungsbedingungen und des Tierwohls sei „eine Herkulesaufgabe”. Der SPD-Politiker erneuerte die Forderung seiner Fraktion nach einer weiteren Umschichtung von Mitteln aus der Ersten in die Zweite Säule. Es gelte, die Halbzeitbewertung 2017 als Chance zu nutzen und statt wie bislang 4,5 Prozent der Direktzahlungen den möglichen Satz von 15 Prozent umzuschichten. Mit den zusätzlichen Mitteln könnten zielgerichtet Investitionen in höhere Tierschutzstandards sowie eine nachhaltigere Produktion und Ressourceneffizienz unterstützt werden, so Priesmeier. Damit werde eine Voraussetzung geschaffen, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für die Zeit nach 2020 „grundsätzlich und umfassend” umzugestalten. Ziel der Reform müsse es sein, Förderimpulse und Innovationsanreize für den ländlichen Raum zu setzen. Dazu müsse man „das überkommene Direktzahlungsmodell” auslaufen lassen.