Tierhaltung | 03. September 2021

Ad-libitum-Tränke: Mehr Milch fürs Kalb

Von Dr. Ingrid Lorenz
Die restriktive Fütterung von Jungtieren ist schon länger nicht mehr zeitgemäß. Dr. Ingrid Lorenz vom Tiergesundheitsdienst in Bayern erklärt, warum das so ist und wie der Wechsel zur Ad-libitum-Tränke aussehen kann.
Wie viel Kälber trinken, ist sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt sind es 8 bis 11 l am Tag – je nach Alter. Nach frühestens drei Wochen kann man damit beginnen, die Milchmenge auf täglich 8 l zu beschränken.
Der Bedeutung der ersten Lebenswochen des Kalbes für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der späteren Kuh ist in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt worden. Aber auch für die Gesundheit des Kalbes ist die Ernährung in der Neugeborenenphase ausgesprochen wichtig. Dieser Tatsache hat die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Rindergesundheitsdienste Rechnung getragen und eine gemeinsame Empfehlung zur Tränke des neugeborenen Kalbes veröffentlicht. Hier heißt es, dass „neugeborene Kälber in Milchviehbetrieben mit einem System aufgezogen werden sollten, das den Kälbern ermöglicht, physiologisch normale Mengen an flüssiger Nahrung (Milch oder Milchaustauscher) aufzunehmen.”
Schwächen der traditionellen Fütterung
Diese Empfehlung steht in deutlichem Gegensatz zu Traditionen und Lehrmeinungen, die eine restriktive Fütterung in der Kälberaufzucht als Standardverfahren ansahen. In der Veröffentlichung der Rindergesundheitsdienste wird auch erklärt, wie es zu dieser Kehrtwende kam.
 Traditionell werden Nachzuchtkälber in vielen Milchviehbetrieben mit einer Milchmenge getränkt, die etwa 10 % ihres Körpergewichtes entspricht, also etwa 4 l pro Tag für ein 40 kg schweres schwarzbuntes Kalb – bei Fleckviehkälbern oft etwas mehr. Dieses Verfahren wird seit nahezu hundert Jahren propagiert. Ziel ist es, die Kälber zu zwingen, frühzeitig Festfutter aufzunehmen, damit sie rasch entwöhnt werden können. Auf diese Weise versuchte man, an der relativ teuren Milch oder Milchaustauschern zu sparen.
Allerdings ist diese geringe Menge an Milch gerade ausreichend, um den Erhaltungsbedarf des Kalbes zu decken, und erlaubt unter günstigen Bedingungen allenfalls Zunahmen von 300 g am Tag. Wenn die Umgebungstemperaturen auf unter 15 °C sinken oder die Kälber anderweitig gestresst sind, verlieren sie sogar an Gewicht. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt brauchen Kälber schon den Energiegehalt von etwa 2 l Milch, nur um ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten und nicht zu frieren.
Die physiologisch normale Fütterung
Im Gegensatz zur Milch kann Festfutter wie zum Beispiel Kälberstarter in den ersten Lebenswochen praktisch nicht verdaut und zur Deckung der Energie- und Nährstoffzufuhr genutzt werden. Kraft- und Raufutter sollten dennoch ab der ersten Lebenswoche zur Förderung der Pansenentwicklung angeboten werden. Es ist nicht schwer einzusehen, dass eine Fütterungs-strategie, bei der die Kälber in den ersten Lebenswochen deutlich zu wenig Nahrung aufnehmen, die Krankheitsanfälligkeit erhöht. Zum anderen mehren sich die Anzeichen, dass Milchkühe ihr volles Leistungspotenzial nur ausschöpfen können, wenn sie in den ersten Lebenswochen mit biologisch normalen Milchmengen getränkt werden.
 Es ist seit langem bekannt, dass Kälber wesentlich höhere Zunahmen erreichen können, wenn sie mehr Milch erhalten. Allerdings ist weltweit das Interesse an der Fütterung junger Kälber erst mit wissenschaftlichen Untersuchungen Anfang dieses Jahrhunderts aufgekommen. Mutterkuhkälber und Kälber, die anderweitig ad libitum gefüttert werden, nehmen täglich etwa 20 % ihres Körpergewichtes auf und erreichen tägliche Zunahmen von bis zu 1000 g.
Seit rund zehn Jahren belegen Studien den positiven Einfluss einer physiologischen Ernährung der Kälber in den ersten Lebenswochen auf deren Gesundheit, aber auch auf Stoffwechselgesundheit und Leistungsvermögen der späteren Milchkuh. Das heißt, die Kuh zahlt dem Landwirt die Ausgaben für die zusätzlich vertränkte Milch durch eine höhere Milchleistung später wieder zurück. Für das Kalb bedeutet es, dass es wesentlich höhere Chancen hat, die ersten Lebenswochen gesund zu überstehen. Insbesondere Kälberdurchfall und Rindergrippe treten bei unterernährten Kälbern wesentlich häufiger auf als bei gut ernährten.
Umsetzung
Bei der Ad-libitum-Tränke sollten die Eimer mindestens einmal am Tag mit heißem Wasser ausgespült und der Nippel durchgemolken werden.
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie man gewährleisten kann, dass Kälber so viel trinken können, wie sie wollen. So ist zum Beispiel die kuhgebundene Aufzucht in letzter Zeit ein häufig diskutiertes Thema. Das momentan vermutlich am weitesten verbreitete System der physiologisch normalen Fütterung ist allerdings die Ad-libitum-Tränke mit angesäuerter Vollmilch. Aber auch die Ad-libitum-Joghurt-tränke wird in vielen Betrieben erfolgreich durchgeführt.
Hierbei steht den Kälbern ab der zweiten Mahlzeit jederzeit Milch in einem Nuckeleimer zur Verfügung. Es ist wichtig, dass der Eimer nie leer wird, da sonst die Gefahr besteht, dass das Kalb beim nächsten Befüllen eine sehr große Menge aufnimmt. Dies kann dem Labmagen schaden. Die Milch wird durch Zugabe organischer Säuren oder durch die Joghurtbereitung leicht angesäuert, um der Vermehrung von schädlichen Bakterien entgegenzuwirken. Die Eimer werden zweimal am Tag befüllt und sollten mindestens einmal mit heißem Wasser ausgespült und der Nippel durchgemolken werden. Es ist sinnvoll, Eimer mit Deckel zu verwenden.
Die aufgenommenen Mengen unterscheiden sich zwischen den Kälbern stark; im Durchschnitt trinken sie 8 bis 11 l, je nach Alter. Nach frühestens drei Wochen kann man damit beginnen, die Milchmenge auf 8 l am Tag zu beschränken. Danach wird die Menge in Abständen von zwei bis drei Wochen bis zur Entwöhnung weiter reduziert. Ein mögliches Tränkeschema ist im Kasten unten beschrieben. Dadurch wird sichergestellt, dass die Kälber genügend Festfutter aufnehmen, sodass es zu keinem Einbruch der Zunahmen kommt. Voraussetzung hierfür ist, dass ab der zweiten Lebenswoche Kälberstarter, Raufutter und Wasser zur freien Aufnahme angeboten werden. 
Mögliches Tränkeschema
  • Lebenswoche 1–3: ad libitum
  • Lebenswoche 4/5: 2×4 l
  • Lebenswoche 6/7: 2×3 l
  • Lebenswoche 8/9: 2×2 l
  • Lebenswoche 10: 1×2 l
Kontakte
Der Tiergesundheitsdienst Baden-Württemberg berät bei Kälberproblemen. Interessierte können sich telefonisch an den Rindergesundheitsdienst an einem der vier Standorte wenden:
  • Karlsruhe 0721/926-7211
  • Fellbach 0711/3426-1360
  • Freiburg 0761/1502-266
  • Aulendorf 07525/942-270.