Betrieb und Wirtschaft | 10. November 2016

Wie baut man die Regionalvermarktung aus?

Von René Bossert
Bei der Vermarktung regionaler Produkte gibt es auch in Südbaden noch Wachstumsmöglichkeiten. Um sie zu nutzen, braucht es aber einige Voraussetzungen. Das wurde beim „Nachtcafé” vergangene Woche in St. Ulrich deutlich.
Der Trend zur Regionalität sei ungebrochen. Darüber waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion einig, die den Auftakt des Abends bildete, zu dem Bund Badischer Landjugend, BLHV-Bildungswerk, Bildungshaus Kloster St. Ulrich und Katholische Landvolkbewegung eingeladen hatten. Zwei der Podiumsteilnehmer berichteten von Projekten, die der Regionalvermarktung Impulse geben sollen: Die Erzdiözese Freiburg hat ein Projekt mit dem Titel „Fair Trade Diözese” gestartet. Ziel ist, dass Kirchengemeinden, Bildungshäuser und andere kirchliche Einrichtungen mehr fair gehandelte, ökologische und regional erzeugte Lebensmittel verwenden. Das solle nicht mit dem moralischen Zeigefinger geschehen, sondern indem Motivation geweckt werde, berichtete die Projektverantwortliche Stefanie Reichenbach. 
Die BBL-Bildungsreferentin Michaela Schöttner stellte Ergebnisse aus der Gruppendiskussion vor.
Auch viele kleine Schritte bringen schon etwas,  so ihr Ansatz in dem bis 2020 laufenden Projekt. Sie will die  kirchlichen Akteure vernetzen und am gut funktionierenden Beispiel den Zögernden zeigen, welche Möglichkeiten es gibt. „Das Bewusstsein ist oft da, aber es krankt an der Umsetzung”, so ihre Beobachtung. Ein  Hemmschuh seien beispielsweise Logistikprobleme.
Peter Volz von der Forschungsgesellschaft „Die Agronauten” berichtete, dass die Stadt Freiburg derzeit für das Thema Lebensmittelversorgung offene Ohren habe. In diesem Zusammenhang ist auch eine Studie zum Thema regionale Ernährung zu sehen, deren Fragestellung lautet: Wie viele Lebensmittel, die in Freiburg konsumiert werden, kommen aus der Region? Wobei mit Region in diesem Fall der Regierungsbezirk Freiburg gemeint ist.
Die Agronauten und das Forschungsinstitut für ökologischen Landbau im schweizerischen Frick sind dieser Frage nachgegangen, indem sie Statistiken ausgewertet und Verarbeiter, Lebensmittelproduzenten und Großhändler befragt haben – nicht jedoch Endverbraucher. Deren Aussagen bei Befragungen und das tatsächliche Einkaufsverhalten klaffen nämlich oft auseinander.
Eine Studie dieser Art  wurde in Deutschland erstmals gemacht. Die Ergebnisse seien nicht mehr als eine erste grobe Annäherung, sagte Volz. Aber klar sei, dass  zwischen den einzelnen Produktkategorien große Unterschiede bestehen  und insgesamt  noch  Luft nach oben gegeben sei. Bezogen auf die Kalorien betrug der Anteil der regionalen Ware über alle untersuchten Produktkategorien hinweg 20%. Bei Milchprodukten waren es 46%, bei Rindfleisch 78%, bei Schweinefleisch 7%, bei Obst 8% und bei Gemüse 13%. Brot wurde mangels Daten nicht einbezogen. Zu den Zahlen bei Obst und Gemüse merkte Volz an, dass allein rund 50 % des Verzehrs auf Südfrüchte entfallen.
Über seine gut funktionierende Direktvermarktung von Trinkmilch und Eis berichtete der Junglandwirt Jonas Kaufmann aus Efringen-Kirchen.  Er hat einen Lieferservice aufgebaut und beliefert einige Rewe-Märkte. Am letzten Sonntag im Monat in den Sommermonaten gibt es auf dem Hof ein Eiscafé.  Die Schmerzgrenze beim Preis für einen Liter Milch liegt bei 1,20 bis 1,30 Euro, schätzte er.  
Nicht nur erfreut
Nicht nur erfreut über den Trend zur Regionalität ist der Obstgroßmarkt Mittelbaden (OGM), wie dessen Vorstandsvorsitzender Wendelin Obrecht erklärte. Zum Beispiel dass einzelne Kunden inzwischen unter anderem mit dem Bild eines einzelnen Erzeugers werben wollen, ist für die Genossenschaft mit über 1000 Mitgliedern nicht so leicht umsetzbar. Auch wenn Lebensmitteleinzelhändler sich einzelne große Lieferanten für den Direktbezug herauspicken, schmecke das dem OGM natürlich nicht.  Für Obrecht ist klar, dass man beim Thema regionale Lebensmittel bei den Verbrauchern „ganz unten” ansetzen müsse, weil  überhaupt kein Bewusstsein mehr da sei, was die Saisonalität angeht.
Professor Heinrich Schüle von der Agrarfakultät der Hochschule Nürtingen wies darauf hin, dass nicht nur Einzelne als Direktvermarkter erfolgreich agieren, sondern auch Zusammenschlüsse von Erzeugern und zwischen Erzeugern und Weiterverarbeitern Chancen bieten. 
Nach der Podiumsdiskussion waren die Meinungen der Besucher gefragt. Auf drei Gruppen verteilt wurde diskutiert, was Erzeuger, Verbraucher und Handel tun können, um die Regionalvermarktung nach vorne zu bringen. Festgehalten wurden aus den Gruppendiskussionen am Ende folgende Punkte:
  • Der Lebensmittel-Einzelhandel ist sensibel für Kundenwünsche, deswegen haben Kunden großen Einfluss auf den Handel.
  • Es braucht neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern, die gemeinschaftliche Direktvermarktung bietet noch Möglichkeiten.
  • Stolz auf die eigenen Produkte ist zwingend notwendig.
  • Die Menschen haben beim Einkaufen im Laden oft wenig Zeit, die Kommunikation über die sozialen Medien kann deshalb ein guter ergänzender Kommunikationsweg sein.
  • Die Verbraucher wollen einen einfachen Einkauf, der Spaß machen soll. Auch Genuss ist ein wichtiges Thema.
  • Mit Egoismus und Neid bremst sich die Landwirtschaft selber aus.
  • Die Landwirtschaft in der Region muss noch stärker auf die Verbraucher zugehen. Die Aufklärung von Verbrauchern funktioniert gut über Erlebnisse.
  • Inhabergeführte Lebensmitteleinzelhändler sind zahlungsbereit, was regionale Produkte angeht, mit denen sie ihr Profil schärfen können.