Der Schutz einer bäuerlichen Landwirtschaft soll künftig einen höheren politischen Stellenwert bekommen. Das ist ein zentrales Anliegen vom „Grünbuch Ernährung, Landwirtschaft und Ländliche Räume”, das Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt am 30. Dezember vorgestellt hat.
In dem Grünbuch wird das Ziel bekräftigt, Deutschland zum Vorreiter beim Tierwohl zu machen.
Laut Grünbuch sollen die EU-Direktzahlungen in Zukunft stärker auf „bäuerliche, viehhaltende Betriebe” konzentriert werden, weil diese wegen der Preisvolatilitäten und der gesellschaftlichen Ansprüche besonders gefordert seien. Betont wird die Notwendigkeit, die bodenrechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz landwirtschaftlicher Betriebe weiterzuentwickeln. Es gehe darum, die „Umwandlung selbständiger Landwirtschaftsbetriebe in Filialbetriebe und deren Übernahme durch überregionale Investoren” zu verhindern.
Wachsen oder weichen zuende?
Schmidt sprach vor Journalisten von einer „Renaissance
der kleinen und mittleren Betriebe”. Dies sei eine Reaktion auf
veränderte Anforderungen der Gesellschaft. Die Strukturen dürften sich
nicht länger allein am Markt ausrichten. „Nach meiner Einschätzung geht
die Phase des Wachsens oder Weichens ihrem Ende entgegen”, so der
Minister.Bekräftigt wird in dem Grünbuch das Ziel, Deutschland zum Vorreiter
beim Tierwohl zu machen. Dazu beitragen soll eine nationale
Nutztierstrategie, die „im konsensorientierten Dialog” erarbeitet werden
soll. Auch in der Agrarumweltpolitik favorisiert Schmidt einen
kooperativen Ansatz. Bestehende Probleme will man in einer
„Partnerschaft für Klima-, Umwelt- und Naturschutz” lösen. Keinen
Zweifel lässt das Grünbuch daran, dass die Anstrengungen zum Schutz der
Gewässer und der Naturräume erhöht werden müssen.
Ein besonderer Handlungsbedarf wird auch in der ländlichen Entwicklung
geltend gemacht. Es gehe darum, ein weiteres Auseinanderdriften von
prosperierenden und zurückfallenden Regionen zu verhindern.
„Raus aus den Schützengräben”
Der Minister bezeichnete das Grünbuch als „Fahrplan für
die künftige deutsche Agrar- und Ernährungspolitik”. Kernthemen sind
neben der Landwirtschaft und den ländlichen Räumen auch die
Forstwirtschaft, die Fischerei, die Ernährung und die
Lebensmittelsicherheit sowie die internationale Ernährungssicherung.
Das Grünbuch enthalte im Wesentlichen seine Schlussfolgerungen aus einem
Dialogprozess, den sein Haus mit Vertretern von Landwirtschaft,
Zivilgesellschaft, Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geführt
habe, erläuterte Schmidt. Für ihn sei es wichtig, dass die
Auseinandersetzung offen geführt werde und alle Seiten aufeinander
zugingen.
„Wir müssen raus aus den Schützengräben”, so der CSU-Politiker. Die
Land- und Ernährungswirtschaft befinde sich in einem Umbruch; Änderungen
seien unvermeidlich. Gleichzeitig fehle es der Landwirtschaft derzeit
an der unverzichtbaren breiten gesellschaftlichen Akzeptanz. Dies sei
jedoch eine entscheidende Voraussetzung für „zukunftsfeste
Agrarstrukturen” und lebendige ländliche Räume.
Ein wesentliches Anliegen sieht der Minister darin, bäuerlichen,
regional verankerten Familien den Zugang zu Ressourcen wie insbesondere
Grund und Boden zu sichern. Hier bedürfe es eines besseren Schutzes vor
außerlandwirtschaftlichen Investoren. Die Agrarstrukturpolitik müsse
sich deutlicher als bisher an den Belangen der „aktiven Landwirte”
ausrichten.
An der „Zwei-Säulen-Struktur” der europäischen Agrarpolitik soll auch
nach 2020 festgehalten werden. Gleichzeitig soll jedoch die Erste Säule
weiter differenziert werden. Sie müsse „primär den Familienbetrieben
zugute kommen, nicht außerlandwirtschaftlichen Investoren”. Schmidt
zufolge muss man „ein Stück wegkommen von der reinen
Gießkannenförderung”.
Ein „Zurück zu den Zeiten der Preisstützung und der Mengensteuerung”
dürfe es nicht geben. Großen Stellenwert räumt das Grünbuch einer
Entbürokratisierung ein, und zwar sowohl auf Brüsseler als auch auf
nationaler Ebene. Dort soll nicht zuletzt ein „Praktikerbeirat” dafür
sorgen, dass praxistaugliche Gesetze und Verordnungen mit weniger
Bürokratie erlassen werden.
Ausdrücklich verweist das Grünbuch auf die primäre Zuständigkeit der
Länder für das Bodenrecht. Gemeinsam mit ihnen werde der Bund darauf
hinwirken, praktizierende Landwirte beim Flächentransfer bevorzugt zu
berücksichtigen und dem Verlust „regional verankerter, familiengeführter
Betriebe” entgegenzuwirken. Eine wichtige Funktion für eine Flankierung
des Agrarstrukturwandels misst das Grünbuch der agrarsozialen Sicherung
bei; deren Eigenständigkeit will man langfristig sichern.
Das Grünbuch hebt den Bedarf hervor, der Nutztierhaltung in Deutschland
eine langfristige Orientierung zu geben. Schmidt kündigte dazu an, er
werde kurzfristig eine nationale Nutztierstrategie vorlegen.
Außer Frage steht laut Grünbuch, dass ein staatliches Tierwohllabel zu
mehr Tierwohl führen wird. In Aussicht gestellt wird ein mehrstufiges
Label, das die Haltungsart positiv kennzeichnen werde. Schrittweise
minimieren will man die nichtkurativen Eingriffe; hierzu sollen die
bestehenden freiwilligen Vereinbarungen ausgeweitet und „notwendige
gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen” werden. Weiter gesenkt werden soll
der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung. Zuchtziele sollen
stärker auf Merkmale wie die allgemeine Tiergesundheit, die
Nutzungsdauer und die Robustheit ausgerichtet werden; auch eine
Intensivierung der Tierwohlforschung wird genannt.
Hohe Erwartung an Digitalisierung
In der Agrarumweltpolitik soll Anreizen Vorrang vor
ordnungspolitischen Maßnahmen eingeräumt werden. Der Eintrag von
Pflanzenschutzmitteln in die Umwelt soll minimiert werden. Die
Regelungen für ein nationales Nährstoffmanagement will man insbesondere
im Hinblick auf Gülle verbessern.
Hohe Erwartungen werden in die Digitalisierung gesetzt, die die
Landwirtschaft effizienter und ressourcenschonender machen könne. Dazu
soll eine Kommunikationsplattform zu den Themen Datensicherheit,
Datenhoheit und „Big Data” ausgebaut werden. Das 20-Prozent-Ziel für den
Ökolandbau soll vor allem mithilfe der angekündigten Zukunftsstrategie
Ökolandbau „mittelfristig” erreicht werden. Neue Züchtungstechnologien
in der Landwirtschaft wie CRISPR/Cas-Technologien sollen umfassend
geprüft werden.
Das Grünbuch bekennt sich zu einem „offenen, regelbasierten”
Agrarhandel. Internationaler Handel fördere die Ernährungssicherheit,
wenn er die Bedürfnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer
berücksichtige. Die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie
die nachhaltige Nutzung knapper Ressourcen seien der Schlüssel zur
Verbesserung der globalen Ernährungssituation.
Wald: „Schützen durch Nützen”
Ein stärkeres Engagement des Bundes für die
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland regt das Grünbuch
im Bereich der ländlichen Entwicklung an. Benötigt werde eine
maßgeschneiderte Unterstützung ländlicher Räume. Erreicht werden soll
dies unter anderem über eine Flexibilisierung, Aufgabenerweiterung und
finanzielle Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK). Das Bundesprogramm
Ländliche Entwicklung soll bis 2025 verstetigt werden.
Im seinem Forstteil unterstreicht das Grünbuch das Prinzip „Schützen
durch Nützen”. Angekündigt wird eine Neuauflage der Charta für Holz. Als
eine Maßnahme wird ein Umbau zu Wäldern genannt, die mit überwiegend
heimischen Baumarten an den Klimawandel angepasst sind.
Bauernverband sieht Gutes und Lücken
Der Deutsche Bauernverband (DBV) bewertete das Grünbuch in einer ersten Reaktion positiv. Er hob insbesondere die darin enthaltene Feststellung hervor, dass eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft die Voraussetzung für eine gute Ernährung und der Garant für lebendige ländliche Räume und vielfältige Kulturlandschaften sei. Der Bauernverband teilt eigenen Angaben zufolge das klare Bekenntnis des Bundesministers zu Direktzahlungen und zur Zwei-Säulen-Struktur in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Gerade die zurückliegende Preiskrise habe nochmals verdeutlicht, „dass die Direktzahlungen einen elementaren Anteil landwirtschaftlicher Einkommen absichern”. Der DBV wies zugleich darauf hin, dass wichtige Aspekte wie eine Stärkung der Landwirte und ihrer Zusammenschlüsse in der Lebensmittellieferkette sowie die Verantwortung der Handelsketten im Grünbuch nicht hinreichend thematisiert würden. Letztendlich komme es darauf an, dass Veränderungen den bäuerlichen Familien wirtschaftliche Perspektiven und Investitionschancen böten.