Tierhaltung | 16. Juni 2016

Auf kleinen Flächen viel Bewegung

Von Ulrike Amler
Mit der zunehmenden Nachfrage nach verhaltensgerechten Haltungsformen für Pferde haben Pensionspferdebetriebe interessante Lösungen für Bewegungsställe entwickelt. Der Paddock Trail bietet hier höchste Anpassungsfähigkeit und maximalen Tierkomfort auch bei schwierigen Flächenverhältnissen.
Auf dem 740m langen Rundweg haben die Pferde auch steile Anstiege zu bewältigen.
Als Gisela Ehret vor zwei Jahren vor der Entscheidung stand, den elterlichen Betrieb in Merzhausen am Stadtrand von Freiburg zu übernehmen und im Nebenerwerb weiterzuführen, war die Agrarwissenschaftlerin „offen für alles”, wie sie sagt. Lediglich zum Weinbau, den die Eltern betrieben hatten, habe sie nie Bezug gefunden. Die neue Betriebsausrichtung musste zur schwierigen betrieblichen Lage des ehemaligen Weinbau- und Mutterkuhbetriebes passen: Geringe Flächenausstattung von lediglich rund fünf Hektar Grünland, davon 2 direkt am Hof, eingebettet in Steillagen. Auch ihr Mann, Bäckermeister und die Stütze in handwerklichen Fragen, sollte sich damit identifizieren können. Die Entscheidung fiel auf die Pensionspferdehaltung, weil so die hofnahen, sehr steilen und ökologisch wertvollen Magerrasenflächen sinnvoll genutzt werden konnten. Gisela Ehret selbst hält seit 17 Jahren Pferde und in der Nähe zur Großstadt mit sehr gutem Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr liegt eine gute Chance. Nur zehn Autominuten vom Hauptbahnhof Freiburg und einen Wimpernschlag vom Freiburger Öko-Viertel Vauban entfernt, liegt der Aussiedlerhof ausgesprochen kundenfreundlich. Das Konzept ziehe gerade aus diesem alternativen Umfeld Freiburgs Leute an, die Wert auf eine artgerechte Haltung legen, ist Gisela Ehret überzeugt.
 
Der Lehhaldehof liegt als Aussiedlerhof am Rand von Freiburg zwischen Rebhängen.
Die Boxenhaltung kam aus Gründen des Tierwohls auch für die 30jährige gelernte Tierpflegerin nicht in Frage und Paddock-Boxen hätten sich aufgrund der geringen Hoffläche in extrem schwierigen topografischen Verhältnissen nur unter erheblichem finanziellen Aufwand realisieren lassen. Hinzu kam, dass der Hof keinen Platz für einen großen Reitplatz oder eine Halle bot, wie sie die Kunden solcher Haltungssysteme voraussetzen. Das ist ein wesentlicher Nachteil im Wettbewerb. Lediglich ein 15 x 30 Meter großer Sandplatz, Teil des Tracks, dient heute als Reitplatz für die 12 Einsteller. Nur durch Zufall stieß Ehret bei der Internetrecherche auf das Konzept des Paddock Trails.

Laufen, laufen, laufen
Pferde legen auf der Suche nach Futter, Wasser, Schlaf- und Ruheplätzen in freier Wildbahn täglich viele Kilometer auf Pfaden mit unterschiedlichstem Untergrund zurück. Aus diesem Lebensrhythmus haben sich die gesundheitlichen Grundbedürfnisse der Huftiere entwickelt. Gängige Haltungssysteme in Boxen, Paddock-Boxen oder Ein- und Mehrraumgruppenhaltungen erfüllen diese Bewegungsansprüche nicht, weil den Tieren alle Funktionsbereiche auf kleinster Fläche angeboten werden und so Bewegungsanreize fehlen. Seine Beobachtungen von Pferden in freier Wildbahn hat der amerikanische Hufschmied Jamie Jackson in seinem Buch „Paddock Paradise - a Guide to Natural Horse Boarding” zusammengefasst. Jackson entwickelte daraus das mittlerweile urheberrechtlich geschützte Konzept des Paddock Paradise, das hierzulande auch unter dem Begriff Paddock Trail bekannt ist. Wesentliches Merkmal ist der sogenannte Track, ein drei bis fünf Meter breiter Laufgang, der um die Weidefläche herumführt oder diese auch quert. Spitze oder rechtwinklige Kanten des Tracks werden an der Innenseite flach abgesteckt, so dass die Pferde ihn auch in schnellen Gangarten gemeinsam passieren können. Am Track liegen in weitem Abstand voneinander Futterplätze, Tränken, Lecksteine, der Stall oder Unterstände ausschließlich zum Ruhen sowie Zonen, die Pferde als Aussichtspunkte zum Sichern der Umgebung nutzen können. Sackgassen darf
Auf dem Weg zur Tränke müssen die Pferde eine Wasserfurt durchqueren.
der Track allerdings nicht aufweisen. Er besteht aus verschiedenen Untergründen wie Naturboden, Schotter, Sand, Wasserdurchläufen oder befestigten Bereichen mit Pflaster, Paddock-Platten oder Kunstrasen. Das fördert die Hufgesundheit, simuliert den beim Reiten anzutreffenden Untergrund im Gelände und stimuliert dadurch die angepasste Hufentwicklung von Barhufpferden. Naturnahe Hindernisse wie Steigungen oder Gefälle, Absätze, Wurzeln in Waldabschnitten oder Baumstämme, die die Pferde auf ihren täglichen Wanderungen über den Track bewältigen müssen, trainieren die Körperkoordination, die Trittsicherheit und steigern die Fitness der Tiere. Damit bietet diese Haltungsform auch ideale Bedingungen für Jungpferde, Rentner und unreitbare Pferde, sofern der Tierarzt sein O.k. gibt.
Zwischen den Stühlen der Behörden
Für die Agrarwissenschaftlerin Gisela Ehret steht das Pferdewohl an erster Stelle.
Auf die innovativen Ideen und eine intensive Planungsphase, die stets das Pferdewohl, aber auch Investitionskosten, die Wirtschaftlichkeit und den Arbeitszeitbedarf im Fokus hatte, folgte mit der Antragstellung auf Nutzungsänderung bei den zuständigen Behörden eine weitere Herausforderung. Anspruchsvoll waren vor allem die Einwände der unteren Naturschutzbehörde, die möglichst geringe Eingriffe im sensiblen Magerrasen am Steilhang sowie am Waldsaum forderte. Außerdem sollten die Einfriedungen des Tracks sich möglichst gut in das Landschaftsbild einfügen. Das Veterinäramt hätte dagegen gerne Holzzäune ohne Strom gesehen, da laut „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten” Kleinausläufe nicht elektrifiziert sein sollen. Bei 740 Metern Paddock-Länge sei das aber gar nicht finanzierbar, erzählt Ehret. Während die untere Naturschutzbehörde zum Ausgleich für den Track Ausgleichspflanzungen von Hecken unterhalb der drei Heuraufen als Sichtschutz forderte, genießen gerade die Passanten auf dem angrenzenden Fußweg es, die Pferde auf dem Track zu beobachten. Letztlich konnten jedoch zusammen mit einem Landschaftsplanungsbüro Kompromisse geschlossen werden, mit denen die Genehmigungsbehörden ebenso leben können wie die Pensionsstallbetreiberin und vor allem die dort lebenden Pferde. Als Eingrenzung werden nun grüne und braune Weidezaunbänder verwendet. Zum Ausgleich für die Eingriffe wandelt Ehret eine ehemalige Rebfläche in eine Magerwiese um und pflanzte einige Obstbäume.
Die Heuraufen für die ad-libitum-Fütterung konstruierte das Betriebsleiterpaar selbst.
Der Wegebau wurde an eine Gartenbaufirma vergeben und in viel Eigenleistung haben Gisela und Sebastian Ehret Zäune gezogen, Heuraufen selbst konstruiert und die Flächen darum mit Paddock-Platten befestigt. Manch empfindliche und von Erosion bedrohte Stelle auf dem Track wurde aufwendig geschottert, andere mit ausgebautem Kunstrasen aus dem Sportplatzbau belegt, wenngleich der grundsätzlich geeignete Belag an stark freuentierten Stellen Falten wirft. Die Tränke und der Wasserdurchlauf werden von einer Quelle im Hang gespeist. Den alten Stall aus der Zeit der Mutterkuhhaltung mit rund 150 Quadratmetern überdachter Fläche haben Ehrets zur Liegehalle ausgebaut, die die Pferde immer wieder gemeinsam zum Ruhen,  bei großer Hitze und Schmuddelwetter aufsuchen. Futter oder Tränkeeinrichtungen in Stallnähe sind bei diesem Haltungssystem tabu, denn den Pferden würde so der Anreiz zum Laufen genommen und der führt in Merzhausen vom Bett zum Tisch über Berg und Tal.

Volle Warteliste
Um den Investitionen von etwa 110000 Euro rasch Einnahmen folgen zu lassen, startete Ehret schon früh mit dem Marketing. Durch die Homepage des Hofes und eine Facebook-Seite, auf der sie die Baufortschritte des Vorhabens regelmäßig dokumentierte, hatte sie rasch um die zwanzig Interessenten auf der Warteliste für die zwölf genehmigten Stallplätze. Noch in der Bauphase zogen die ersten eiligen Interessenten, die sich nicht abschrecken ließen, ein. Ab Mai 2015 wurden alle paar Wochen zwischen einem und drei neuen Pferden gleichzeitig eingegliedert. In diesem Frühjahr zogen die letzten zwei Pferde ein. Die Warteliste der Pensionsstallbetreiberin ist seither wegen Überfüllung geschlossen. Ausgezogen ist seit dem Bezug des Stalles niemand mehr.
Aus dem ehemaligen Kuhstall wurde die Liegehalle.
Mit einem Pensionspreis von 330 €/Monat spielt Ehret durchaus in der Liga von Pferdebetrieben mit Halle oder großem Außenplatz in der Region. Doch die kalkulierten 42 Arbeitsstunden kompetenter und verhaltensgerechter  Tierversorgung pro Pferd und Jahr könnten nicht günstiger sein, nur weil sich die Pferde viel draußen aufhielten oder die Kundschaft vorwiegend aus Freizeitreitern, aber weniger Turnierreitern bestünde, so Ehret. Der Aufwand müsse entsprechend entlohnt sein.
Aufwändig ist auch die tägliche Entmistung des Paddock-Trails. Hier unterstützt ein Pferdeäpfelsammler mit Kehrbürsten (Tow and Collect Mini 700) im Schlepp eines UTV’s (CFMOTO U-Force 800) die Mutter einer neun Monate alten Tochter. Das Gespann spart zwar nach Einschätzung von Gisela Ehret nicht so viel Zeit gegenüber dem manuellen Misten, aber dafür umso mehr Körperkraft in dem steilen und weitläufigen Gelände. Nur im Winter bei extremem Schnee oder Matsch kommt das Gespann nur noch auf den befestigten Wegen voran.
 
Ehret nimmt aus Rücksicht auf die Pferde nur Stuten und Wallache mit Herdenerfahrung. Rentnerpferde müssen gesundheitlich noch in der Lage sein, das anspruchsvolle Gelände im Herdenverband zu bewältigen. Die Eingliederung erfolgt nur während der Weidesaison zwischen Mai und Oktober, wenn die neuen Pferde den Trail in Ruhe erkunden können, während die Herde für ein paar Stunden auf der Weide ist. Außerdem dürfen auf dem Lehhaldehof nur Pferde ohne Eisen oder mit Kunststoffbeschlag einziehen. „Wegen der grundsätzlichen Verletzungsgefahr”, meint Ehret. Außerdem sei das ursprüngliche Ziel dieses vom amerikanischen Hufschmied Jamie Jackson entwickelten Haltungssystem ja die Entwicklung eines gesunden Barhufes.
 
Der Waldabschnitt spendet Schatten. Die Wurzeln fördern die Trittsicherheit der Pferde.
Das Bewegungskonzept ist aus Ehrets Sicht aufgegangen. „Die Dicken stehen natürlich eher an der Raufe und ich bin mir nicht sicher, ob sich Heu ad libitum langfristig bewährt”, analysiert die Agrarwissenschaftlerin kritisch. „Aber die Pferde gehen mittlerweile auch mal in kleinen Gruppen oder alleine wandern. Die Hochblütigen rennen auch gerne mal oder gehen auf den Reitplatz zum Spielen.” Den besten Beweis für die Vorteile dieser Haltung hat die Betriebsleiterin an ihrem Haflinger, der unter Arthrose leidet: „Ihn kann ich seit dem Umzug in den Paddock Trail wieder in allen Gangarten reiten”, meint die Betriebsleiterin, die nebenher bei der BBZ als Redakteurin arbeitet. „Mir ist es wichtig, dass es den Pferden gut geht”, betont sie. Den Stall habe sie hauptsächlich für die Pferde gebaut: „Weil ich finde, dass diese Haltung artgerecht ist.”