Politik | 14. August 2014

Moskau erlässt umfassende Einfuhrverbote

Von AgE
Russland hat eine umfassende Einfuhrsperre für Nahrungsmittel aus der Europäischen Union und anderen westlichen Staaten verhängt – als Reaktion auf die Sanktionen wegen der Ukrainekrise. In Deutschland sind vor allem Märkte für Fleisch, Würste und Milchprodukte betroffen.
Russland hat den Import von Nahrungsmitteln aus EU-Ländern und anderen westlichen Ländern untersagt. Als alternative Lieferanten sind vor allem Brasilien, Argentinien, Chile und Ecuador im Gespräch.
Ministerpräsident Dimitri  Medwedew konkretisierte letzte Woche ein Dekret des Staatspräsidenten Wladimir  Putin. Danach trat das Importverbot unmittelbar in Kraft und soll für ein Jahr gelten. Betroffen vom Embargo sind neben den EU-Staaten die USA, Kanada, Australien und Norwegen. Aus diesen Ländern darf kein Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch mehr nach Russland exportiert werden; auch Wurstwaren sowie getrocknetes oder gesalzenes Fleisch stehen auf der Verbotsliste. Untersagt ist zudem die Lieferung von Milch, Käse und anderen Molkereiprodukten, von Fisch und Meeresfrüchten, Obst und Gemüse, Hackfrüchten, Nüssen sowie von auf Basis pflanzlicher Fette hergestellten Fertigprodukten. Ausgenommen vom Einfuhrverbot bleibt unter anderem Babynahrung. Auch private Einkäufe im Ausland sind laut Medwedew nicht betroffen. Ferner verständigte sich Moskau mit Weißrussland und Kasachstan, die sich mit Russland in einer Zollunion befinden, dass sie sich nicht an der Aktion beteiligen müssen. Allerdings sollen Reexporte verhindert werden. Putins Dekret zufolge sollen die „wirtschaftlichen Sondermaßnahmen” auf eine ausreichende Versorgung des heimischen Markts und der Preisstabilität in Russland achten, weshalb die Embargoliste je nach Entwicklung der Situation auf Vorschlag des Ministerkabinetts geändert werden kann. Im gleichen Dekret forderte er sein Kabinett auf, Maßnahmen zum Ausbau des Angebots an heimischen Agrar- und Ernährungsgütern auszuarbeiten.
Politisch motiviert
Sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung verurteilten die Maßnahmen als „politisch motiviert”. Ein Kommissionssprecher betonte, man werde die Details des Verbots prüfen und behalte sich weitere Schritte vor. EU-Agrarkommissar Dr. Dacian brach seinen Sommerurlaub vorzeitig ab und kehrte am vergangenen Wochenende nach Brüssel zurück. Vertreter der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft appellierten unterdessen an die Politik auf nationaler und europäischer Ebene, sich weiterhin für die Öffnung alternativer Exportmärkte einzusetzen, um negative Auswirkungen auf die hiesigen Agrarmärkte aufzufangen.
Für die EU-Agrar- und Ernährungswirtschaft stellte Russland zuletzt einen Absatzmarkt von jährlich fast 12 Mrd. Euro dar; das entsprach einem Anteil von zehn Prozent an den gesamten EU-Agrarexporten nach Drittstaaten. Laut Angaben der Kommission beliefen sich die Gesamtexporte der jetzt gesperrten Produktgruppen – ohne Fisch – im vergangenen Jahr auf rund 5,10 Mrd. Euro. Rund drei Viertel davon entfielen zu etwa gleichen Teilen auf die Warengruppen Fleisch und Wurst, Milchprodukte und Obst. In absteigender Reihenfolge nach Mitgliedstaaten summierten sich die relevanten Agrarexporte auf 922 Mio. Euro in Litauen, 840 Mio. Euro in Polen, 597 Mio. in Deutschland und 523 Mio. Euro in den Niederlanden. In diesen Zahlen sind auch Reexporte von Waren aus anderen EU-Ländern enthalten. Die übrigen Mitgliedstaaten exportierten 2013 betroffene Waren im Wert von jeweils weniger als 350 Mio. Euro nach Russland. Die entsprechenden Ausfuhren Österreichs beliefen sich auf 104 Mio. Euro. Zum Vergleich: Die USA lieferten im vergangenen Jahr land- und ernährungswirtschaftliche Waren im Wert von rund einer Milliarde Euro in die Russische Föderation – weniger als ein Prozent ihrer Agrarausfuhren insgesamt.
Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums betrug der Wert der deutschen Ausfuhren von Gütern der Land- und Ernährungswirtschaft nach Russland im Jahr 2013 rund 1,60 Mrd. Euro (siehe Tabelle). Damit lag Russland hinter der Schweiz und nahezu gleichauf mit den USA auf Platz zwei der wichtigsten Drittlandsmärkte für deutsche Agrarexporteure.
Harte Probe
Vom Embargo besonders betroffen sind aus hiesiger Sicht die Märkte für Fleisch, Würste und Milchprodukte. Allerdings sind Lieferungen von Schweinefleisch wegen des von Moskau mit der Afrikanischen Schweinepest (ASP) begründeten Importverbots ohnehin seit Ende Januar unterbrochen. Auch der Handel mit Milchprodukten war bereits zuvor beeinträchtigt. Die deutschen Agrarexporte waren 2013 gegenüber dem Vorjahr um 14 % gesunken. In der wichtigsten Produktgruppe, Fleisch und Fleischerzeugnisse, hatten sich die Exporterlöse um 30 % auf 346 Mio. Euro verringert. Der Ausfuhrwert von Milcherzeugnissen schrumpfte um 45 % auf 165 Mio. Euro. Für den Zeitraum Januar bis Mai 2014 berichtet das Ressort von einem weiteren Rückgang der Exporte nach Russland um ein Viertel auf etwa 500 Mio. Euro gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Allein die Fleischexporte brachen um fast 80 % ein.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian  Schmidt erklärte vor Journalisten in Fürth, das Vorgehen Moskaus stelle die bisher konstruktive Zusammenarbeit zwischen der russischen und der deutschen Regierung in Fragen des Exports von Agrargütern auf eine harte Probe. „Ich weise darauf hin, dass die Boykottentscheidung Russlands nicht nur tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche und europäische Wirtschaft haben wird, sondern unmittelbar auch die russischen Verbraucherinnen und Verbraucher trifft”, so Schmidt. Die russischen Bürger schätzten die qualitativ hochwertigen deutschen und europäischen Nahrungsmittel. Ein kompletter Einfuhrstopp werde auch die Frage nach der Versorgung der russischen Bevölkerung stellen. Die Auswirkungen auf die deutsche Ernährungswirtschaft seien zwar im Einzelnen noch nicht abzusehen, würden aber bestimmt spürbar. Man werde sich jetzt mit der Kommission für die EU insgesamt einen Überblick verschaffen.
Der österreichische Landwirtschaftsminister Andrä  Rupprechter forderte eine Sondersitzung des EU-Agrarrats. Die Entscheidung über ein solches Treffen obliegt der italienischen Ratspräsidentschaft.  kündigte die Einrichtung einer Spezialgruppe an, um die Auswirkungen auf einzelne Sektoren im Detail prüfen zu lassen. Gleichzeitig stellte er Hilfszahlungen aus der Krisenreserve in Aussicht, sollte dies notwendig werden. Sein Sprecher betonte jedoch auf Anfrage, für konkrete Schritte in diese Richtung sei es noch zu früh. Die historischen Exportzahlen dürften wegen der Möglichkeit alternativer Absatzmärkte nicht als Höhe künftiger Verluste interpretiert werden. Nach Beginn des russischen Importverbots für EU-Schweinefleisch im Januar sei ein Teil der Ware erfolgreich nach Japan, Südkorea und auf die Philippinen exportiert worden.
Neue Märkte
Nach Einschätzung des DBV gehen politische Sanktionen im Handel mit Lebensmitteln letztlich zu Lasten von Landwirten und Verbrauchern.  Er appellierte an die Bundesregierung und die Kommission, mit ihren Bemühungen um eine Öffnung anderer interessanter Exportmärkte fortzufahren, vor allem in Südostasien.  Die negativen Auswirkungen der angekündigten neuen Sanktionen auf die deutsche Landwirtschaft schätzt der DBV als begrenzt ein. Die Landwirtschaft in anderen EU-Ländern könnte deutlich stärker betroffen sein.
Direkte und indirekte Effekte
In Südbaden sind die direkten Auswirkungen des russischen Importstopps gering, weder Milchprodukte noch Fleisch oder Getreide gehen in nennenswertem Umfang nach Russland. Bei Obst sieht es ein wenig anders aus: Bis zu 8000 Tonnen Bodensee-Äpfel jährlich seien  nach Russland exportiert worden, berichtet Eugen Setz, Geschäftsführer der Obst vom Bodensee Marketinggesellschaft.
Die indirekten Effekte werden allerdings durchaus zu spüren sein,  erwarten die Vermarkter. Der Milchmarkt ist ohnehin zuletzt unter Druck geraten. Bei den Äpfeln  weist Setz darauf hin, dass insgesamt erhebliche Mengen an Ware  aus den EU-Ländern  nach Russland exportiert worden sind. „Das eigentliche Problem ist, wo  die Polen nun  mit der Ware hingehen”, sagt er. In Polen wie   auch in anderen EU-Ländern wird zudem dieses Jahr eine hohe Ernte erwartet (siehe auch Seite 28).  Setz erwartet Preisdruck und meint, dass die absehbare Malaise  auf dem  Apfelmarkt ein Brüsseler Thema werden müsse.