Politik | 23. April 2015

Bewegung beim Mindestlohn

Von Benjamin Bohn
In die Diskussion um die Umsetzung des Mindestlohns ist Bewegung gekommen. Vergangene Woche reiste eine baden-württembergische Bauerndelegation nach Berlin zum Spitzengespräch mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sowie mit Volker Kauder, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag.
Dem BLHV wurde eine praxistaugliche Umsetzung des Mindestlohns in der Landwirtschaft zugesichert. Nahles verwies in dem Gespräch auf vorhandene Spielräume, die das Arbeitszeitgesetz biete. Die tägliche Regelarbeitszeit von acht Stunden darf bekanntlich auf zehn Stunden erhöht werden, wenn innerhalb von 24 Wochen ein Zeitausgleich auf durchschnittlich acht Stunden erfolgt. Diesen Zeitausgleich könnten laut Nahles die Ländersozialministerien auch nach Ende der Beschäftigung zulassen. 
Arbeitszeit kurzfristig verlängern
Mit Saisonarbeitskräften können im Arbeitsvertrag zehn Stunden pro Tag vereinbart werden.
Der BLHV wird jetzt die Umsetzung der von Frau Nahles aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten von der Landesregierung in Stuttgart einfordern.
Bundesministerin Nahles konnte auch für den Vorschlag gewonnen werden, dass Länderbehörden per Allgemeinverfügung Ausnahmen von der täglichen Höchstarbeitszeit erlassen können. „Das wäre vor allem während der Ernte eine Erleichterung, die wir jetzt bei unserer Landesregierung einfordern”, betonte BLHV-Präsident Werner Räpple.
Der BLHV fordert, dass die Regierungspräsidien per Allgemeinverfügung kurzfristig für diese betroffenen Betriebe die Arbeitszeit verlängern können, wenn die Ernte zu verderben droht. Gibt das Land seine Zustimmung dafür, müsste nicht mehr jeder betroffene Betrieb einzeln einen Antrag auf eine Ausnahme stellen. Bis dies so weit ist, muss allerdings wie bisher jeder einzelne Betrieb bei der zuständigen Behörde einen Antrag stellen, wenn er diese Ausnahme nutzen will. Damit wird deutlich, dass Bewegung in das Thema gekommen ist. Die Verhandlungen sind allerdings noch nicht beendet, weitere Spitzengespräche laufen in den kommenden Tagen.
Im Nachgang zu dem Gespräch mit Räpple und weiteren Vertretern des Berufsstands hat das Bundesarbeitsministerium diese Fragen bereits zum Gegenstand eines Umlaufbeschlusses mit den Ländersozialministern gemacht. Dieser bedarf allerdings noch einiger Klarstellungen.
Aufgrund der seitens Bundesarbeitsministerin Nahles getroffenen Aussagen zum Thema Arbeitszeitkonto ist es nun auch die Erwartungshaltung des BLHV, dass zwischen den Tarifvertragsparteien unverzüglich die erforderlichen Vereinbarungen getroffen werden. Nahles pflichtete den Gesprächspartnern zudem bei, dass eine Sensibilisierung der Zollmitarbeiter notwendig sei.
Familienangehörige ausnehmen
„Unbefriedigend ist nach wie vor die Regelung für mitarbeitende Familienangehörige”, so Räpple. Der BLHV fordert, dass mitarbeitende Familienangehörige von der Dokumentation der Arbeitszeit ausgenommen sind. „Hier erwarten wir noch eine zufriedenstellende Lösung von der Politik”, betonte der BLHV-Präsident. Darüber hinaus fordert der BLHV weiterhin, dass bei der kurzfristigen Beschäftigung Abschlagszahlungen zugelassen werden und dass der volle Lohn erst bei Abreise von Saisonarbeitskräften in bar ausgehändigt werden kann. „Wann der Mindestlohn bezahlt wird, sollte auf den Wunsch des Erntehelfers abgestimmt werden können”, betonte Räpple.


Interview mit Werner Räpple
BBZ: Als Mitglied der bäuerlichen Delegation waren Sie in Berlin beim  Gesprächstermin zum Mindestlohngesetz mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Volker Kauder, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Gerade Frau Nahles hat es ja in den vergangenen Wochen zur „Reizfigur” vieler Bauern gebracht. Wie war denn die Gesprächsatmosphäre?

Räpple: Natürlich hat Frau Nahles dafür gesorgt, dass das Gesetz auf den Weg gebracht wurde. Aber wir, zwölf Teilnehmer, waren im Gespräch positiv überrascht und mit dem Verlauf zufrieden. Bei Frau Nahles sind inzwischen die Probleme mit dem Mindestlohngesetz angekommen. Sie hat zwar signalisiert, dass an der Höhe des Mindestlohnes nicht zu rütteln ist, aber sie hat Bereitschaft gezeigt, der Landwirtschaft insbesondere bei den Arbeitszeitregelungen entgegenzukommen.

BBZ: Wie konkret? – und sind noch weitere Erleichterungen in Sicht?

BLHV-Präsident Werner Räpple
Räpple: Wir hatten uns abgestimmt, dass wir die Probleme mit der Arbeitszeitregelung in den Vordergrund stellen. Daneben ging es um das Thema Kontrollen, die Dokumentationspflicht und natürlich generell um die finanzielle Belastung der Betriebe durch den Mindestlohn. Hier ist der Wunsch insbesondere vom Obstbau – diesem  schließen wir uns an –, dass für die Saisonkräfte quasi ein Nettomindestlohn gezahlt wird, um Ungleichbehandlungen zwischen versicherten und versicherungsfreien Mitarbeitern zu vermeiden. Aber in dieser Sache waren Nahles und Kauder nicht gesprächsbereit. Dies sei rechtlich nicht möglich, sagten sie. Ebenso müssen die Stunden dokumentiert werden.
Gut lief das Gespräch bei der Arbeitszeitregelung. Frau Nahles hat uns zugesagt, dass wir mit unseren Saisonkräften im Arbeitsvertrag zehn Stunden pro Tag vereinbaren können. Wir müssen die letzten zwei Stunden nicht über den Zeitausgleich im Beschäftigungszeitraum ausgleichen. Das wäre natürlich eine große Hilfe. Darüber hinaus will sie mit den Ländersozialministern regeln, dass eine Genehmigung für zwölf Arbeitsstunden am Tag möglich wird. Dies auf Antrag der Betriebe. Außerdem hat sie darauf hingewiesen, dass auch über den Branchentarifvertrag in der Landwirtschaft die Möglichkeit des Arbeitszeitkontos vereinbart werden kann. Das wären in der Summe schon Zusagen, die Erleichterung bringen. Jetzt gilt es noch zu klären, ob diese Bestand haben werden und umsetzbar sind.

BBZ: Welche Rolle spielte eigentlich Volker Kauder im Gespräch?

Räpple: Volker Kauder hat deutlich gemacht, dass mit Konfrontation nichts zu erreichen ist, sondern dass wir über Sachargumente und über die Darstellung unserer besonderen Situation der witterungsabhängigen Arbeit versuchen sollen, Frau Nahles zu überzeugen. Das ist auch gelungen.

BBZ: Und wie soll es jetzt weitergehen?

Räpple: Wir haben darauf gedrängt, dass wir die Ergebnisse schriftlich bekommen. Wir haben auch eine Adresse im Bundesarbeitsministerium bekommen, wo wir direkt Kontakt aufnehmen können, wenn es noch Probleme gibt. Auch das Büro Kauder hat uns für diesen Fall zugesagt, dass wir uns wieder melden können. Insofern sind wichtige direkte Kontakte entstanden. Wichtig ist mir an dieser Stelle auch, Guido Wolf zu danken, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag. Er hat sich ja kurzfristig bereit erklärt, bei unserer Demonstration in Oberkirch aufzutreten, und hat auch diese Gesprächsmöglichkeit vermittelt.

Mit Werner Räpple sprach Walter Eberenz.