Pflanzenbau | 24. November 2016

Landwirtschaft 4.0 – Möglichkeiten und Grenzen im Pflanzenschutz

Von Dr. Sebastian Messerschmid
Unter Landwirtschaft 4.0 versteht man die Digitalisierung sämtlicher Teilgebiete der Landwirtschaft. Sie schreitet auch in Süddeutschland voran, wie auf der 48. Pflanzenbaulichen Vortragstagung Mitte November in Sindelfingen zu erfahren war. Das betrifft unter anderem den Pflanzenschutz.
Pflanzenschutz 4.0: Mit dieser Feldspritze kann man verschiedene Herbizidmischungen in einem Arbeitsgang ausbringen.
Einer der Vortragenden, Gerd Schonder von der Betriebsgemeinschaft (BG) Neuhof GmbH & Co KG, berichtete, wie auch in Süddeutschland die Digitalisierung im Pflanzenschutz Einzug hält.
2006 war die BGNeuhof in die digitale Landwirtschaft eingestiegen. Damals wurde das erste Lenksystem für einen Traktor angeschafft. „Seit 2012 sind alle unsere Schlepper damit  ausgerüstet”, berichtet Schonder. „Das hat sowohl die Leistung
als  auch die Präzision unserer Arbeitsschritte erhöht. Wir konnten Einsatzfenster deutlich erweitern, ohne dass die Arbeitsqualität darunter gelitten hätte.”
Präzision zählt
Im Bereich Pflanzenschutz ermöglichen Lenksysteme nach seinen Angaben
  • weniger Überlappung,
  • ermüdungsfreies Arbeiten,
  • höhere Geschwindigkeiten,
  • schnelleres Wenden am Vorgewende und
  • eine Erweiterung des Einsatzfensters durch Nachtarbeit.
Gerade bei glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln sei es wichtig, die Spritzbrühe präzise auf der Ackerfläche zu verteilen und Ackerränder – sogenannte Nichtzielflächen – nicht ungewollt miteinzubeziehen.
Im Jahr 2009 führte die BG die GPS-Teilbreitenschaltung im Pflanzenschutz ein. Das nennt Schonder „die bedeutendste Neuerung, gar eine Revolution bei der Applikation von Pflanzenschutzmitteln im Ackerbau”. Denn die GPS-Teilbreitenschaltung funktioniere sicher und überall und sei überdies einfach zu verstehen und sicher anzuwenden. Ganz wichtig, besonders für süddeutsche Verhältnisse, ist, dass die neue Technik durch das gute Preis-Leistungsverhältnis auch für kleinere Betriebe sinnvoll sei.
 Die GPS-Teilbreitenschaltung steigert laut Schonder die Effizienz, indem sie den Fahrer entlastet und Doppelbehandlungen verhindert, wodurch sie die Umwelt schont und den Ertrag steigert. Je nach Schlagstruktur könne man mit einer Teilbreitenschaltung ein bis fünf Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen. „So geht auch die Zahl der Fehlstellen beträchtlich zurück. Außerdem vermeidet oder verzögert man das Entstehen von Resistenzen deutlich”, sagt der Betriebsleiter.   
Seit 2012 arbeitet die BG außerdem mit Gestängeführungen mit deutlich erhöhter Reaktionsgeschwindigkeit, zum Beispiel mit dem Horsch-Leeb-Boom-Control-Pro-System. Dadurch könne man einen Gestängeabstand von 50 cm bei hohen Arbeitsbreiten der Feldspritze und einer Fahrgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h tatsächlich einhalten. Unter kritischen Bedingungen könne man die Abdrift erheblich reduzieren, wenn man den Abstand der Spritzdüsen zur Kultur auf 30 bis 40 cm reduziere und die Fahrgeschwindigkeit herabsetze.
Online ist nicht alles
Schonder nutzt seit 2011 Stickstoffsensoren im Onlinebetrieb, auch für die Applikation von Wachstumsreglern. Wenn man diese alleine ausbringe, funktioniere dies auch gut. Aber die Wachstumsregler kommen in der Praxis – so auch bei der BG – fast immer zusammen mit Fungiziden oder Herbiziden aufs Feld. „In diesem Fall erfordern der Einsatz und die Kalibrierung ein umfangreiches pflanzenbauliches Wissen vom Anwender. Offlineverfahren über Applikationskarten sind leichter zu handhaben. Ihnen gehört meines Erachtens im Zeitalter von Drohnen und kurzfristig kostenlos verfügbaren Satellitenbildern die Zukunft”, urteilt er.
Bei allen Vorteilen von Landwirtschaft 4.0 kann aber der Mensch zum begrenzenden Faktor werden. Der Pflanzenschutz verändere sich von einer Aufgabe für jeden zu einer Aufgabe für Spezialisten, berichtet der Unternehmer. Zudem komme mit mehr Elektronik und Software ein zusätzlicher Störfaktor in den Produktionsprozess. Dies führe manchmal zu zusätzlichen Ausfällen und Wartekosten. „Teilweise werden auch Werkstätten von der Entwicklung überrollt und bieten nur unzureichend geschultes Personal mit wenig Erfahrung”, ergänzt Schonder. Dies gelte insbesondere für Südwestdeutschland.
Der Experte sieht außerdem die Gefahr, dass der Landwirt vom Wesentlichen abgelenkt wird: „Die Digitalisierung kann dazu beitragen, unsere Arbeit präzise, sauber und termingerecht zu erledigen. Sie wird aber die Grundlagen fachgerechten Ackerbaus und unternehmerischen Handelns nicht ersetzen können.”
Betriebsgemeinschaft Neuhof
Die Betriebsgemeinschaft Neuhof ist ein Zusammenschluss von mittlerweile 13 Gesellschaftern, die an 17 Standorten auf 2250 ha Ackerbau betreiben. Angesiedelt sind die Betriebe hauptsächlich in der Region nördlich von Heilbronn, außerdem bei Stuttgart und Pforzheim. Von den 13 Gesellschaftern arbeiten vier in Voll- oder Teilzeit mit. Darüber hinaus beschäftigt die Betriebsgemeinschaft drei Voll- und vier Teilzeitkräfte. Auf den Ackerflächen werden 900 ha Winterweizen, 300 ha Wintergerste, 500 ha Winterraps, 300 ha Zuckerrüben und 150 ha Mais angebaut. Von Hybridraps, Hybridgerste und Erbsen vermehrt man Saatgut. 50 ha sind stillgelegt. Der Boden wird überwiegend pfluglos bearbeitet; bei Bedarf wird der Pflug aber eingesetzt.
Die Betriebsgemeinschaft kann das geerntete Getreide komplett zwischenlagern.  Der Pflanzenschutz ist bei der BG Neuhof einer der bedeutenden Kostenfaktoren. Je nach Kultur sind drei bis sieben Überfahrten auf einer Applikationsfläche von insgesamt durchschnittlich etwa 11000 ha/Jahr erforderlich.