Betrieb und Wirtschaft | 26. Oktober 2017

Hähnchen mit heimatlichem Touch

Von Heinrich von Kobylinski
Anne Körkel aus Kehl-Bodersweier mästet in einem mobilen Strohstall mit Auslauf Hähnchen und vermarktet sie selbst. Für ihr Unternehmenskonzept wurde sie als Siegerin in der Kategorie „Unternehmerin” beim CeresAward 2017 ausgezeichnet.
In ihrem Unternehmenskonzept und auch sonst löst sich die gebürtige Niedersächsin  gerne von herkömmlichen Denkmustern. Vor fünf Jahren kam die leidenschaftliche Bäuerin zum BLHV und wurde Pressesprecherin. In der Zwischenzeit hat die damalige Anne Hartmann geheiratet, in ihrem Beruf eine Pause eingelegt, zwei Kinder bekommen und auf dem Hof ihrer Schwiegereltern ein Unternehmen gegründet.
Anne Körkel mästest 500 Hähnchen pro Durchgang.
Für Letzteres wurde sie jetzt in Berlin im Rahmen des CeresAward ausgezeichnet, den der Deutsche Landwirtschaftsverlag ins Leben gerufen hat. Die Ehrung erfolgte für das Produktions- und Vermarktungskonzept, das Anne Körkel rund um ihre „Ha(h)nauer”  aufgestellt hat. Sie schuf damit bewusst ein regionales Wortspiel mit dem Hanauerland, einer früheren Grafschaft im Nordwesten der Ortenau, die erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts badisch wurde.
Diese Besonderheit ist im Bewusstsein der Bevölkerung vor Ort noch recht lebendig. Körkels Gockel sind deshalb quasi ein Stück heimatlicher Identität. Küchenfertig präpariert kosten sie 8,50 Euro pro Kilo und wiegen bis zu 2,7 kg. Sie sind erheblich teurer als andere Hähnchen. Die Kundschaft weiß das und trotzdem wächst die Zahl der Ha(h)nauer-Fans rasant.
Direktkunden und gehobene Gastronomie
Es geht um 500 Hähnchen pro Durchgang, die nicht sonderlich schnell aufwachsen, auf einer Streuobstwiese ihren Auslauf haben und nach Sonnenuntergang im Stall mit Stroheinstreu ihre Ruhe finden. Von einer Sitzbank aus kann sich jeder Besucher von der  Haltung überzeugen. Körkel kommt damit einem Bedürfnis nahe, das immer mehr Konsumenten haben.   
Direktkunden und Vertreter der gehobenen Gastronomie sind begeistert. Die Ha(h)nauer sind nur in einem festen Rhythmus zu haben, sie müssen vorher bestellt werden, gefrorene Ware gibt es nicht. Die Mastperiode dauert 60 bis 70 Tage. Der Auslauf auf einer Streuobstwiese ist einen Hektar groß. Pro Durchgang wird jeweils rund ein Viertel davon genutzt.
Das junge Geflügel traut sich ohnehin nicht weit weg vom Stall, auch wenn die Obstbäume vor Raubvögeln abschirmen. Gleichzeitig haben die Tiere im Auslauf stets frisches Grün vor sich und wenig Infektionsdruck von auslauftypischen Schaderregern, weil die Flächenintensität gering ist.
Arbeitszeit wird erfasst
Kennzeichnend für das Konzept ist die Mischung aus Tradition und Moderne. Da sind die Obstwiese der Schwiegereltern und der bewegliche, mit Stroh eingestreute Stall, andererseits gibt es ein Firmenemblem, eine eigene Website und einen griffigen Produktnamen. Anfangs hatte sie nur 20 Kundennamen, die sie vom Weihnachtsgeflügelverkauf ihrer Schwiegermutter übernehmen konnte.
In der Zwischenzeit sind daraus 600 Namen geworden, viele davon bestellten schon mehrmals. Ein wichtiges Forum sind die Sozialen Medien, insbesondere Facebook. Gerade von dort hat sie großen Rücklauf. Anzeigen in Gemeindeblättern hat sie anfangs auch geschaltet, aber nicht viele. Einen starken Werbeeffekt haben nach ihrer Erfahrung Hoffeste, dafür sind sie auch arbeitsaufwendig.
Körkel hat ein Werbebudget festgelegt, das sie nicht überschreitet. Per Handy notiert sie, wieviel pro Tag, Woche und pro Durchgang sie für das Projekt arbeitet. Dabei hat sie sich zur Bedingung gemacht: Jede Stunde wird entlohnt!
Gleichzeitig hat sie sich ein Gewinnziel gesetzt, das sie nach vier Jahren mit dem Projekt erreichen will. Jetzt, nach dem Ende des vierten Durchgangs, sieht die zweifache Mutter, dass sie auf einem guten Weg ist, dieses Ziel zu erreichen.
 
Nach rechts und links schauen
Dazu trägt auch die Familie bei: Der Hof hat wegen seiner Mastschweine eine eigene Futtermischanlage und Getreidevorräte. Vom Hof kommt auch Hilfe bei den Arbeitsspitzen, beispielsweise wenn die Hähnchen von der auswärtigen Schlachtung  kommen, einer Endkontrolle unterzogen werden und dann die Vakuumverpackung erfolgt.
Auf dem Hof gibt es vier Unternehmen, die zwar unabhängig voneinander sind, „… aber wir helfen uns immer gegenseitig”, erklärt Körkel. Sie empfindet das Zusammenwirken am selben Ort als eine große Stärke. Überhaupt hat Körkel als ehemalige Bundesvorsitzende der Landjugend die Beobachtung gemacht, dass bei Bauern  Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl stärker ausgeprägt sind als anderswo.
Mit ihrem Konzept möchte sie zeigen, dass es neben den klassischen  Produktionszweigen noch andere Erwerbsmöglichkeiten daheim gibt. „Man kann doch nach rechts und links schauen”, findet sie. Die Berichte über den Preis in den Medien  haben für einen weiteren Schub gesorgt.
Dreiklang aus Hähnchen, Familie und Fortbildungen
Die 32-jährige Unternehmerin nimmt das gelassen hin. „Ich werde deshalb keine Produktionsausweitung starten”, beschwichtigt sie. Zu groß sei die Gefahr, dass das System dann nicht mehr schlüssig sei. Körkel möchte den bisherigen Aktivitätsdreiklang ihrer Elternzeit fortsetzen: Sie will weiterhin Hähnchen erzeugen, für ihre Familie da sein und Fortbildungsseminare leiten. 
Klar ist, ihr Firmenkonzept beruht auf dem Konsumentenbedürfnis nach gutem Essen, heiler Welt und Regionalität. Die Besucher sehen eine überschaubare Haltung und verlangen kein „Bio”.
Andererseits ist die gelernte Landwirtin vom Ausmaß der Unkenntnis überrascht, das bei einem großen Teil ihrer Kundschaft über die landwirtschaftliche Erzeugung herrscht. Die bäuerliche Öffentlichkeitsarbeit müsse deshalb einen neuen Stellenwert im Bewusstsein aller Landwirte bekommen, meint sie.