Ohne Fastenzeit ist die Fastnacht überflüssig
Auch Karneval verdeutliche den Zusammenhang mit dem Beginn der Fastenzeit. Im Italienischen werde die Fastenzeit, also die „Fleischwegnahme” („Carnis Levamen”) bereits 965 durch das Wort „Carnelevare” belegt. Karneval könnte seiner Einschätzung nach aus einer scherzhaften Abwandlung dieses Wortes in „Carne Vale” (Fleisch lebe wohl) entstanden sein.
Fasching kennt man in Bayern und Österreich. Urkundlich belegt sei das Wort „Vastschang” im Jahre 1283 in der Passauer Weberordnung. Dort könne es interpretiert werden als damals üblicher Ausschank des Fastentrunkes oder als regelrechter „Fass-Schank”. Dieser sei als Bewirtung der Abgabepflichtigen durch die geistlichen und weltlichen Grundherrschaften ebenfalls zu Beginn der Fastenzeit üblich gewesen (Beispiel eines Heischebrauchs). Im 13. Jahrhundert sei zum ersten Mal der Begriff Fastnacht (Vastnaht) aufgetaucht. „Die ältesten Fastnachtshinweise in der hiesigen Region finden wir im 13. Jahrhundert in Konstanz und Freiburg, in Donaueschingen im späten 14. Jahrhundert”, so Gwinner.
Fastnachtstermin: Dieser hänge vom Ostersonntag ab, der seit dem Konzil von Nicaea (325 n. Chr.) auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond fällt. Ursprünglich lag dann eine Fastenzeit von 40 Tagen davor in Erinnerung an die 40-tägige Fastenzeit Jesu in der Wüste. Auf dem Konzil von Benevent (1091) wurden die Sonntage als Gedächtnistage der Auferstehung Jesu als Fastentage ausgeklammert. Der Beginn der Fastenzeit wurde deshalb um sechs Tage vorverlegt. „Die alte Zählung von 40 Tagen liefert uns den Termin der Burefasnet oder alten Fastnacht, wie sie heute noch in den evangelischen Gemeinden des Markgräflerlandes, in Sulzburg oder Weil am Rhein, gefeiert wird”, sagt Gwinner. Daher komme auch die Redensart: „Der kunnt däher wie die alt Fasnet!”
Ausweitung der Fastnacht: Vor der radikalen Umstellung des Speiseplans mussten am Vortag des Aschermittwochs die in der Fastenzeit verbotenen Lebensmittel, aber auch verderbliche Lebensmittel aufgebraucht werden. Also wurde am Dienstag vor Aschermittwoch – nur am Dienstag wurde früher Fastnacht gefeiert – noch einmal geschlachtet, gegessen, getrunken, gesungen und getanzt. Da aber an diesem Tag nicht alles verzehrt werden konnte, sei der Montag („blauer”, „geiler”, „guter” Montag) dazugekommen. „Doch auch dieser Montag reichte nicht mehr aus”, weiß Gwinner. Der Sonntag fiel als
Arbeitstag aus, so dass der „schmalzige Samstag” angehängt wurde. Da man am Samstag aber nur bis zum Mittagläuten arbeiten durfte, war auch dieser Tag zu kurz. Der Freitag fiel als kirchlich geprägter Askesetag aus, so dass der Donnerstag hinzukam („Schmutzige Dunschtig”, „gumpiger Donnerstag”, „fetter Donnerstag” oder „auseliger Donnerstag”). In manchen Gegenden werde der Fastnachtssonntag als „Kiechlisunntig” bezeichnet. Sinn mache die Bezeichnung „Schnitzdienstag”, wenn man an ein Narrensprüchle des Hochrheins denke: „Dä Bogeschitz, dä Bogeschitz, der frisst am Fritig Speck mit Schnitz”.
Zum Narrenschmaus: Die alemannischen Narrensprüchle „Luschtig ist die Fasenacht, wenn mei Mueter Kiechli bacht, wenn sie aber konni bacht, dann pfif ech uff die Fasenacht” oder „Etzt kunnt die luschtig Fasnetzeit, wo’s Brotwürscht regnet und Kiechli schneit” lassen nach Aussage von Gwinner auf typische Fastnachtsgerichte schließen. Neben Fasnetskiechli und Berliner gelten Kutteln, Brat- und Leberwürste, Kesselfleisch und Saueressen als typische närrische Gerichte, wobei diese sich zum Teil regional unterscheiden.
Zur Fastenzeit: „Die vierzigtägige Fastenperiode der katholischen Kirche ist seit dem siebten Jahrhundert bekannt”, sagt der Brauchtumsforscher. In der sechswöchigen Fastenzeit sei unter Androhung empfindlicher Strafen (1536 wurde ein zwanzigjähriger Student in Zürich wegen Verstößen gegen Fastenvorschriften öffentlich verbrannt) der Konsum des Fleisches von warmblütigen Tieren oder auch der Genuss aller weiteren aus Großvieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Nahrungsmittel wie Schmalz, Fett, Milch, Butter, Käse und Eier untersagt worden. Dies habe für die Bevölkerung eine radikale Umstellung der Speisegewohnheiten bedeutet.
Selbst auf das Sexualverhalten hatte die Fastenzeit Auswirkungen. Jeglicher Geschlechtsverkehr sei früher verboten gewesen, weshalb oft an Fastnacht geheiratet wurde. Gwinner: „Die Triebhaftigkeit durfte sich noch einmal entfalten.” Auch Bier durfte anfänglich in der Fastenzeit nicht getrunken werden, später wurde es jedoch erlaubt. Dadurch wurden die wirtschaftlichen Interessen vieler Klöster berücksichtigt und das Leben der Mönche erleichtert. Das Fastenbier war in den Klöstern üblich, das Bier war im Mittelalter das einzige Getränk für einfache Leute.
An das Fastengebot seien alle Katholiken zwischen 18 und 60 Jahren gebunden. „Die mittelalterlichen Regeln wurden im Laufe der Zeit sehr gelockert, zuletzt 1978”, sagt Gwinner. Der Neubeginn an Aschermittwoch sei der sichtbare Ausdruck des Willens, die Sünde und den Tod abzulegen und ein neues Leben unter der Herrschaft Gottes zu beginnen. Mit der Fastenzeit bekomme der Christ die Chance, sich von allem zu befreien, was seinen rechten Glauben behindere. Fasten bedeute für Christen Abwendung von sündigen Genüssen, Drosselung des körperlichen Energiehaushalts und Konzentration auf außerordentliche Bewusstseinszustände (Kontemplation). Auch im Judentum und im Islam gebe es Fastengebote.
Die Fastnacht erhält nach Gwinners Ansicht ihre Existenzberechtigung nach wie vor von der nachfolgenden Fastenzeit. „Wird dieser Zusammenhang aufgehoben oder geleugnet, wird die Fastnacht überflüssig oder sie verkommt zu einem austauschbaren Event”, stellt er sich auf den Standpunkt und bezweifelt, ob dies alle Narrenzünfte erkannt haben. Den heutigen Narren täte es seiner Meinung nach gut, sich der Bedeutung des Aschermittwochs wieder zu erinnern.