Politik | 26. Oktober 2017

Disput um Insekten

Von AgE
Einen massiven Rückgang der Insektenpopulation in deutschen Schutzgebieten hat ein internationales Forschungsteam festgestellt; es bleibt aber bei den Ursachen vage. Dennoch entzündeten sich heftige Reaktionen.
Erneut ist der Rückgang der Insekten in den Medien hochgekocht. Naturschutzverbände haben die Landwirtschaft im Visier.
Nach den Untersuchungen der aus deutschen, niederländischen und britischen Wissenschaftlern bestehenden Gruppe, darunter Vertreter des Entomologischen Vereins Krefeld, gab es zwischen 1989 und 2016 in den beprobten Gebieten bei Fluginsekten einen Biomasseverlust zwischen 76  und 81 Prozent. Die Erhebungen seien dabei über 27 Jahre an 63 Standorten in Schutzgebieten unterschiedlichster Lebensräume des Offenlandes vor allem in Nordwestdeutschland erfolgt. Der Rückgang sei überwiegend im Flachland festgestellt worden. In ihrer vergangene Woche in der internationalen Online-Fachzeitschrift „Plos One” veröffentlichten Studie weisen die Forscher darauf hin, dass die in die Untersuchung eingeflossenen Daten zu klimatischen Veränderungen und Biotopmerkmalen den überwiegenden Teil der Insektenverluste nicht erklärten. Gleichzeitig räumen die Wissenschaftler ein, dass mangels verfügbarer Informationen potenzielle landwirtschaftliche Einflussfaktoren, so zum Beispiel die Pflanzenschutzmittelbelastung, nicht berücksichtigt werden konnten, weil die Datenlage dazu nicht transparent sei. Dennoch wollen sie sowohl klimatische als auch landwirtschaftliche Ursachen nicht ausschließen.
Ministerium sieht keine neue Sachlage
Das Bundeslandwirtschaftsministerium kündigte eine umfassende Prüfung und fachliche Bewertung der Studie an, konnte jedoch daraus bislang  keine neue Sachlage ableiten. Es handle  sich um ein multifaktorielles Problem. Für Politiker von Bündnis 90/Die Grünen sowie Naturschutzorganisationen liegt ein Zusammenhang zwischen intensiver Agrarwirtschaft und Artenrückgang nahe. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) stellte in der vergangenen Woche zudem eine Verbindung zwischen dem konventionellen Ackerbau und einem von ihm protokollierten Rückgang der Vogelpopulation in Deutschland her. Von verschiedener Seite kamen daher Forderungen nach einer Neuausrichtung der Agrarpolitik. Der Deutsche Bauernverband (DBV) warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. DBV-Präsident Joachim Rukwied sprach sich für ein repräsentatives Monitoring aus, „um belastbare Datenreihen zu bekommen”.
Ökologische Fallen?
Das Forschungsteam räumt in seiner Studie zur Insektenpopulation ein, dass an nur 26 der insgesamt 63 Standorte mehrjährige Vergleiche vorgenommen worden seien. Sie sind jedoch überzeugt, dass die von ihnen geschätzte Abnahme der Gesamtbiomasse belastbar ist und nicht von Sonderfaktoren an den langfristig beprobten Standorten herrührt. Der Rückgang kann allerdings nach Einschätzung der Wissenschaftler nicht ohne weiteres den zuvor vermuteten Hauptursachen „Klimawandel” und „Landwirtschaft” direkt zugeordnet werden. Ungeachtet dessen könne die landwirtschaftliche Intensivierung nicht nur wegen des zeitlichen Aufeinandertreffens von Intensivierung und Rückgang der Insektenpopulation eine plausible Ursache sein, stellt das Team fest. So seien die beobachteten Schutzgebiete in 94 Prozent der Fälle von landwirtschaftlichen Nutzflächen umgeben. Man könne  vermuten, dass die angrenzenden Agrarflächen für die in den Schutzgebieten heimischen Fluginsekten als „ökologische Fallen” fungierten und den Schutzgebieten dadurch Insekten entzögen.
Wegen des „alarmierenden Rückgangs” der Insektenpopulation in den Beobachtungsgebieten und der bisher unklaren Ursachenbestimmung raten die Autoren der Studie dringend zu weitergehenden Forschungsarbeiten, die neben einem größeren geografischen Rahmen auch die Folgewirkungen für Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen umfassen sollten.