Tierhaltung | 22. Januar 2015

Den Problemlämmern eine Chance geben

Von Dr. Thomas Jilg, LAZBW Aulendorf
Jedes aufgezogene Lamm verbessert die Wirtschaftlichkeit der Schafhaltung. Vor der Lammzeit sollten daher Vorbereitungen getroffen werden, um Problemlämmer richtig zu versorgen. Tipps dazu gibt der folgende Beitrag.
Die Ablammphase ist der Zeitraum, der maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg in der Schafhaltung entscheidet. Die Überwachung der Ablammung und die Versorgung der Lämmer durch die Mutter haben daher  immense Bedeutung. Ziel ist eine Aufzuchtquote von 1,5 Lämmern je Mutterschaf und Jahr.
Sobald die Problemlämmer zügig saufen, können sie am Saugeimer getränkt werden.
Probleme, die vom Mutterschaf ausgehen
In Tabelle 1  sind mögliche Ursachen für Lämmerverluste und Maßnahmen zur Vorbeuge zusammengestellt. Aus ihr wird ersichtlich, dass  bei auftretenden Problemen  zunächst zu klären ist, ob sie vom Mutterschaf oder vom Lamm  ausgehen.
Vor allem bei spätreifen Rassen führt eine zu frühe Anpaarung dazu, dass die junge Mutter oft psychisch noch nicht in der Lage ist, Lämmer fürsorglich aufzuziehen. Es gilt zu verhindern, dass gerade bei Mehrlingsgeburten die Mutter in der Prägungsphase den Überblick über ihre Lämmer verliert.  Die Mutter-Kind-Beziehung kann am besten in der Ablammbucht hergestellt werden. Dabei sollte die Mutter aber schon vor der Geburt in die Einzelbucht gebracht werden. Wenn ältere Muttern die Lämmer nicht annehmen, sollten sie aus der Zucht ausgeschlossen werden. Manchmal fördert das Fixieren der Mutter und das gezielte Ansetzen der Lämmer die Akzeptanz.
Biestmilch soll grundsätzlich innerhalb der ersten vier Lebensstunden verabreicht werden. Später können die Immunstoffe der Biestmilch nicht mehr resorbiert werden. Bei Biestmilchmangel gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Versorgung mit Immunglobulinen sicherzustellen:
  • Man greift auf tiefgefrorene  Biestmilchreserven von einem vorher abgelammten Schaf zurück. Alternativ kann Biestmilch von einem anderen frisch abgelammten Schaf gemolken  und getränkt werden.
  • Eine einfache Möglichkeit ist die Verwendung von Biestmilch von Kühen. Diese kann man zu einem günstigen Preis bei den meisten Milchkuhbetrieben bekommen.
  • Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von Biestmilchersatz. Diesen kann man als Fertigprodukt beziehen. Das Pulver wird mit warmem Wasser angerührt. Die Erfahrungen damit sind gut.
Hilfsmittel zur Versorgung von Problemlämmern (v. l.): Milchflasche mit lammgeeignetem Sauger, Lammbar, Schere zum Freischneiden von Euter und Analbereich, Handschuhe für die Geburtshilfe, Respirot zur Aktivierung der Atmung, tiefgefrorene Biestmilchreserve von Kühen, Thermometer, Lammretter zum Drenchen.
Bei Milchmangel kann versucht werden, durch Kraftfutterbeifütterung die Milchleistung der Mutter zu steigern. Gelingt dies nicht, ist eine Ersatztränke notwendig. Dies kann Kuhmilch oder für Lämmer geeigneter Milchaustauscher sein. Die Konzentration der Tränke beträgt 200 g Milchpulver  pro Liter.
Zunächst werden die Lämmer mit der Saugflasche getränkt. Die Tränketemperatur sollte zwischen 35 und 40 °C liegen.
Eine zu kalte Tränke kann im Labmagen nur unzureichend eingelabt werden, was dazu führt, dass Milchinhaltsstoffe unaufbereitet in den Darm gelangen und Durchfälle hervorrufen. Sobald die Lämmer zügig saugen, können sie in der Gruppe am Saugeimer mit mehreren Saugern getränkt werden. Sauberkeit bei den Tränkegefäßen ist Grundvoraussetzung für die Aufzucht mit Ersatztränke.
Tabelle 2 zeigt einen Tränkeplan bis zur  achten Lebenswoche. Das Grundprinzip des Tränkeplans heißt: steigende Mengen bei sinkender Fütterungshäufigkeit. Die Tränkemenge pro Tag wird von 300 ml auf 1500 ml gesteigert, die Tränkehäufigkeit sinkt von sechsmal auf zweimal pro Tag.  Ab der zweiten Lebenswoche kann Trockenfutter in Form von gutem Heu und Lämmerkorn zur Entwicklung des Vormagensystems angeboten werden. Bei gutem Verzehr kann schon ab der sechsten Lebenswoche abgetränkt werden.
Probleme, die vom Lamm ausgehen
Der zweite Komplex, der zu hohen Verlusten führt,  sind lebensschwache Lämmer und solche  mit Saugschwäche. Aufgrund ihrer geringen Masse kühlen Lämmer rasch  aus, wenn sie Wind und Kälte ausgesetzt sind. In  dieser Situation wird ein Vorrat an braunem  Fettgewebe zur Wärmeproduktion herangezogen. Dieser  reicht aber nur 18 Stunden. Gleichzeitig  wird Blutzucker verbraucht und die Sauglust sinkt.  Die zügige Biestmilchaufnahme in ausreichender Menge ist neben der Immunisierung auch notwendig, um die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. 
Unterkühlte Lämmer müssen zuerst unter der Wärmelampe auf 37 °C aufgewärmt werden. Danach kann  mit der Magensonde („Lammretter”)  Milch direkt in den Magen eingegeben werden. Dies gilt auch für Lämmer, die wenig oder keinen Saugreflex zeigen.  Lammretter kann man fertig im Handel kaufen oder selbst zusammenstellen aus einer großen Spritze ohne Nadel (50–100 ml), einem Blasenkatheter und etwas Speiseöl als Gleitmittel. Die verabreichten Mengen liegen bei 50 ml. Die Handhabung sollte man sich unbedingt vom Tierarzt oder einem erfahrenen Schäfer zeigen lassen. Bei nicht sachgerechter Handhabung besteht die Gefahr, dass Atemwege verletzt werden. In schweren Fällen ist eine zusätzliche Traubenzuckerinfusion durch den Tierarzt hilfreich.
Am Markt gibt es spezielle Nahrungsergänzer zur Erhöhung der Vitalität neugeborener Lämmer. Wichtige Bestandteile sind zum Beispiel die Vitamine A, D, E, Selen, β-Carotin und Lecithin als Energieträger.
Auch Sauerstoffmangel nach schweren, langen Geburten oder Hinterendlagen ist  eine Gefahr. Hier hilft eine systematische Geburtsüberwachung und gegebenenfalls Geburtshilfe. Bei Eingriffen wird mit sterilen Latexhandschuhen gearbeitet. Schleim und Fruchtwasser können durch Schwenken des Lamms aus dem Atmungstrakt geschleudert werden. Das Atemzentrum kann durch kaltes Wasser oder  Reize mit Strohhalm in der Nase aktiviert werden. Trockenlecken durch die Mutter, Abreiben mit Stroh und Massagen unterstützen den Prozess.
Eine weitere Ursache für Lebensschwäche ist Selenmangel. Deutschland ist Selenmangelgebiet. Mineralstofffütterung an die Mutterschafe ist  ein Muss, um diesem Problem vorzubeugen. Im akuten Fall wird ein Vitamin E-/Selen-Präparat verabreicht.