Tierhaltung | 26. Mai 2017

Damit der Start ins Leben gut gelingt

Von Dr. Hans-Jürgen Seeger, RGD Aulendorf
Die Kälber von heute sind die Kühe von morgen. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat gezeigt, dass nur gesunde Kälber später ihr volles Leistungspotenzial abrufen können. Daher sollten sich alle Anstrengungen darauf konzentrieren, den Kälbern einen möglichst optimalen Start zu ermöglichen.
Gesunde Kälber sind neugierig und aufmerksam.
Um Krankheiten vorzubeugen, sollte dem Gesundheitszustand der Mutter, der Hygiene im Abkalbe- und Aufstallungsbereich und vor allem der Biestmilch- und Tränkeverabreichung besondere Beachtung geschenkt werden. Werden die Kälber trotzdem krank, ist es wichtig, die Krankheitsanzeichen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Da ein  Großteil der Aufzuchtverluste bei Kälbern in den ersten vier Lebenswochen auftritt,  sollte der Tiergesundheit in diesem Zeitraum besondere Beachtung geschenkt werden.
Ohne gesunde Mütter keine gesunden Kälber
Für gesunde Kälber braucht es gesunde Mütter. Nur gesunde Kühe sollten daher wiederbelegt werden. Viele Trächtigkeitsstörungen und Probleme bei neugeborenen Kälbern können vermieden werden, wenn dies berücksichtigt wird. Werden  chronisch lahme und kranke Kühe  wiederbelegt, so führt dies  häufig zur Unterversorgung des Fetus und zu Problemen in der Transitphase. Auch die Biestmilch ist bei solchen Kühen von deutlich schlechterer Qualität. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass sich Krankheiten, unzureichende Futterqualität und sonstige negative Einflüsse auf die trächtige Kuh sehr stark auf die Biestmilchqualität auswirken und damit auch einen großen Einfluss auf die Vitalität und die Widerstandsfähigkeit der Kälber haben.
Kälber werden weitgehend schutzlos geboren, da die von der trächtigen Kuh produzierten Abwehrstoffe nicht in den Blutkreislauf des ungeborenen Kalbes übertragen werden können. Zudem ist das körpereigene Immunsystem von Neugeborenen in den ersten Lebenswochen noch nicht voll funktionsfähig.
Biestmilch: Je früher, desto besser
Anzeichen für Durchfall: verschmutzter Schwanz- und Afterbereich.
Darum ist es wichtig, dass das Kalb möglichst schnell nach der Geburt die schützenden Immunglobuline aus der Biestmilch (= Kolostrum) bekommt. Diese Schutzstoffe aus dem Kolostrum können nur in den ersten Lebensstunden über die Darmwand direkt in den Blutkreislauf des Kalbes übernommen werden und stehen dann im ganzen Körper zur Verfügung. Das Kalb sollte innerhalb der ersten vier Lebensstunden mindestens zwei Liter bzw. innerhalb der ersten zwölf Lebensstunden mindestens vier Liter Kolostrum erhalten. Kälber, die mit der Mutter zusammen in der Abkalbebox alleine gelassen werden, nehmen häufig nicht ausreichend Biestmilch auf. Nimmt das Kalb trotz intensiver Betreuung und Unterstützung keine Biestmilch in den ersten sechs Stunden auf, wird eine Biestmilcheingabe mittels Drencher empfohlen.
Der Rindergesundheitsdienst stellt in Problembetrieben immer wieder fest, dass bei neugeborenen Kälbern zu wenig Schutzstoffe (Immunglobuline) im Blut nachweisbar sind. In den meisten Betrieben liegt dies an einer zu späten und zu geringen Biestmilchgabe. Kommt dann noch eine schlechte Biestmilchqualität dazu, führt dies zu einem völlig unzureichenden Schutz und einer stark erhöhten Krankheitsanfälligkeit.
Milchtränke: Nicht zu viel auf einmal
Um ein Kalb in den ersten Lebenswochen optimal mit Nährstoffen zu versorgen, muss eine tägliche Milchmenge von mindestens 15 Prozent des Körpergewichtes verabreicht werden. Da der Labmagen eines neugeborenen Kalbes jedoch nur 2 bis 2,5 Liter fasst, können größere Tränkemengen zu Problemen führen. Kälber sollten daher zumindest in der ersten Lebenswoche dreimal täglich Milch erhalten oder vom ersten Lebenstag an ad libitum getränkt werden. Da Kälber sehr häufig einen Eisenmangel aufweisen und Vollmilch nur wenig Eisen enthält, sollte ein eisenhaltiger Vollmilchergänzer eingesetzt werden. Ein Wechsel auf Milchaustauscher wird frühestens ab der dritten Lebenswoche empfohlen. Aufgrund der Verdaulichkeit sollten bei jungen Kälbern nur Milchaustauscher mit hohem Magermilchanteil und ohne pflanzliche Proteine eingesetzt werden.
Hygienemaßnahmen nicht vernachlässigen
Um das neugeborene Kalb vor Krankheitserregern zu schützen, ist es wichtig, dass das Kalb in eine saubere Umgebung hineingeboren wird. Die Abkalbebucht sollte daher regelmäßig gereinigt und desinfiziert und vor jeder Abkalbung frisch eingestreut werden. Abkalbungen in der Milchviehherde sollten vermieden werden.
 Vor allem in Milchviehbetrieben mit positivem oder unbekanntem Paratuberkulosestatus ist es wichtig, dass die neugeborenen Kälber möglichst schnell nach der Geburt in einer sauberen Einzelbox aufgestallt werden. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass durch konsequente Einzelhaltung der Kälber in den ersten zwei Lebenswochen das Auftreten von Neugeborenendurchfall deutlich reduziert werden kann. Nach jeder Belegung sind die Kälberboxen bzw. Iglus gründlich zu reinigen, am besten mit einem Hochdruckreiniger. Anschließend sollten die Boxen abtrocknen und nicht sofort wiederbelegt werden. Je kürzer die Leerstehzeit bzw. je höher der Infektionsdruck, umso wichtiger ist eine zusätzliche Desinfektion mit einem wirksamen Desinfektionsmittel. Mithilfe der Desinfektionsmittelliste für Tierhaltung der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG) können geeignete Mittel gegen die im Bestand vorkommenden Erreger ausgewählt werden (www.desinfektion-dvg.de).
Kommt es trotz aller Vorbeugemaßnahmen zu Erkrankungen, müssen diese frühzeitig erkannt werden. Dafür ist es wichtig, die Kälber täglich am besten beim Tränken genau zu beobachten. Das Auftreten von Neugeborenendurchfall ist in den ersten zwei Lebenswochen mit Abstand das größte Problem. Aber auch Nabel- und Gelenkserkrankungen sowie Kälbergrippe treten immer wieder auf. 
Worauf man das Augenmerk richten sollte
Beim neugeborenen Kalb
  • Falls notwendig: Die oberen Atemwege von Schleim befreien, Stimulation der Atmung mit Kaltwasser und mit kräftigem Trockenreiben
  • Bei fehlendem Atemreflex
    – Kalb in Nasenscheidewand zwicken
    – Brustmassage
    – Mund-zu-Nase-Beatmung
  • Nabelkontrolle, möglichst ohne Anfassen
  • Frühe Trennung von Mutter und Kalb
  • Aufstallung in sauberer Einzelbox oder sauberem Einzeliglu
  • Rasche Kolostrumgabe
  • Abgang des Darmpechs kontrollieren
  • Eisenversorgung am besten über Vollmilchergänzer
Bei einem verdickten Nabel
  • Kontrolle, ob Entzündung oder Nabelbruch
  • Bei Nabelentzündung
    – verdickt, teilweise eitrigerNabelstrang, schmerzhaft,Gefahr einer aufsteigenden Entzündung (Bauchhöhle, Leber, Blase)
    – Gelenke kontrollieren, sind durch Keimstreuung häufig mitbetroffen
    – Temperaturkontrolle
    –  frühzeitige antibiotische Behandlung
  • Bei Nabelbruch
    –  ist in der Regel weich und lässt sich in Bauchhöhle zurückschieben, kann in seltenen Fällen  aber  auch „einklemmen”
    – kleinere Bruchpfortenwachsen meist  selbst zu
    – Kälber nicht zur Zucht verwenden
Bei Durchfall
  • Frühzeitiges Erkennen durch regelmäßige Kontrolle von Afterbereich, Schwanz und Einstreu; weitere Anzeichen können Trinkschwäche und ein auffälliger Geruch sein
  • Trockene Einstreu, bei ausgekühlten Kälbern Wärmelampe/-quelle
  • Milch nicht absetzen, zusätzliches Anbieten von Elektrolyttränken zwischen den Milchmahlzeiten, eventuell Verabreichen von Puffersubstanzen wie zum Beispiel Bi-Pill
  • Rechtzeitig Tierarzt zuziehen: wenn Kalb nicht mehr trinkt oder Anzeichen von Austrocknung und Übersäuerung zeigt (eingefallene Augen, Auskühlung, Schwäche, unsicherer Stand)
Bei Kälbergrippe
  • Trockener, wärmegedämmter  Liegebereich
  • Ausreichend Luftaustausch, aber keine Zugluft
  • Schadgase senken durchregelmäßiges Ausmisten
  • Körpertemperatur kontrollieren, bei mehr als  40° Tierarzt zuziehen
  • Rechtzeitige Behandlung mit Antibiotika und Entzündungshemmern
  • Ohren kontrollieren: vor  allem bei Kopfschiefhaltungund Ohrenhängen (meisteinseitig)