Betrieb und Wirtschaft | 20. Februar 2014

Bio, regional und in großem Stil

Von Christa Maier
Statt Blumen gab es am Valentinstag Radieschen in Aach im Hegau: Dort wurde das größte Bio-Gewächshaus in Süddeutschland eingeweiht. Auf einer Fläche von drei Hektar werden künftig neben Radieschen vor allem Schlangengurken und Tomaten im Boden angebaut.
Benjamin Wagner bezeichnete den Standort als in mehrfacher Hinsicht optimal.
Rund fünf Millionen Euro hat der Bioland-Gärtner und Gartenbauingenieur Benjamin Wagner von der Insel Reichenau dafür investiert. Die Vermarktung der geplanten Jahresmengen von rund zwei Millionen Gurken und 300 000 Kilo Tomaten mit dem Bioland-Label übernimmt die Reichenau-Gemüse eG, Abnehmer sind die Projektpartner Bioland und Edeka Südwest.
Bereits vor zwei Jahren wagten fünf Mitglieder  der Genossenschaft Reichenau-Gemüse eG den Sprung von der  Bodenseeinsel Reichenau auf das Festland: In Beuren bei Singen bauen sie  auf  elf Hektar  Paprika unter Glas an. Auch Wagner ist Genossenschaftsmitglied und führt den  Familienbetrieb auf der Insel Reichenau in vierter Generation.
Biogasanlage in 300 Meter Entfernung
Mit Unterstützung seiner Eltern stellte er 2008 den 35 Hektar großen Betrieb auf biologischen Anbau um. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, musste er seinen Betrieb erheblich erweitern, was schon aufgrund der Flächenknappheit nur außerhalb der Gemüseinsel möglich war. Den Standort Aach bezeichnete der 29-jährige Gartenbauingenieur in mehrfacher Hinsicht als optimal, fand er dort nicht nur die  Fläche für das Gewächshaus, sondern auch in 300 Meter Entfernung einen Lieferanten für regenerativ erzeugte Energie.   Die Abwärme einer Biogasanlage –  rund 15 Millionen kWh pro Jahr – verpuffte bisher ungenutzt in der Luft. Rund 97 Prozent davon werden jetzt den Energiebedarf des Gewächshauses abdecken.
 Die Energie wird mittels Wärmepufferspeicher mit einem Fassungsvermögen von 2800 Kubikmeter  Wasser gespeichert. Eine Gasheizung mit 250 Kilowatt Leistung steht zur Absicherung der Energieversorgung zur Verfügung.  Durch den Einsatz spezieller Stegdreifachplatten als Gewächshauswände und einen Energieschirm unter dem Dach werde die Energieeffizienz nochmals deutlich gesteigert.
Zwei Drittel des Wasserbedarfs werden wie auch im Paprika-Projekt in Beuren  aus aufgefangenem Regenwasser abgedeckt, der Rest der benötigten Wassermenge kommt aus einem nahegelegenen Brunnen oder der Trinkwasserversorgung.
Mit seinem  Projekt verbinde der aufstrebende Jungunternehmer alle Verbraucherwünsche, die auf regionale, ökologisch angebaute und frische Produkte abzielen, sagte Rudolf Matkovic,  Geschäftsführer von  Edeka  Südwest.
Nachvollziehbare Kette
Martin Weiß, Erzeugerberater beim Bioland-Landesverband, ist zuversichtlich, dass  immer mehr Familien dem unternehmerischen Schritt von Benjamin Wagner folgen.  Die regionale Lebensmittelproduktion  sei nicht nur aus Gründen der Ressourcenschonung, sondern auch im Hinblick auf die nachvollziehbare Wertschöpfungskette wichtig.  Den ersten Meilenstein habe Wagner erreicht, jetzt folgten Jahre, in denen er sich bewähren müsse. Nicht alle Gemüsebauern will man nach Aussage von Ministerialdirigent Joachim Hauck vom Stuttgarter Landwirtschaftsministerium von der Insel herunterholen, wenngleich ein solcher Schritt die Weiterentwicklung der Inselziele, wie Natur, Kultur und Gartenkultur, ermögliche. Er sieht angesichts eines Selbstversorgungsgrades von 20 Prozent in Baden-Württemberg noch Luft nach oben: „Wir brauchen weitere Wagners, Bliestles und Edekas, die die Bevölkerung mit ökologisch und nachhaltig produzierten Produkten aus der Region versorgen.” Von einem beeindruckenden Projekt sprach Bürgermeister Severin Graf aus Aach, der auf seine anfängliche Skepsis angesichts der Querelen beim Bau der Paprika-Plantage in Beuren hinwies. Doch das entscheidende Argument für den Standort sei die Nutzung der Abwärme der Biogasanlage gewesen, denn Energiewende sei schließlich das, was lokal passiere. Insofern
Im Juni 2013 war Spatenstich für das Gewächshaus, das sich bei der Einweihung zahlreiche Gäste und Interessierte genauer anschauten. Über 25 000 Kubikmeter Erde wurden bewegt und davon 15 000 Kubikmeter wieder in der 316 mal 100 Meter messenden Gewächshauslandschaft eingebracht.
konnte Wagner auf  die volle Unterstützung der Gemeinde zählen.  Die Reichenau-Gemüse eG, vertreten durch den Geschäftsführer der Genossenschaft, Johannes Bliestle, freut sich, dass man dem Partner Edeka ein kontinuierliches Angebot an Bio-Gemüse in  Bioland-Qualität anbieten und liefern und damit auf die Anforderungen des Marktes reagieren kann.  Der Bio-Anteil der Genossenschaft bei den Umsätzen erreicht mittlerweile 16 %. Zunächst allerdings steht die Vermarktung der drei Millionen Radieschen an, die zwar biologisch erzeugt wurden, jedoch noch wegen der erst ab dem 15. März 2014 erreichten zweijährigen Umstellungsphase als konventionelle Ware  in den Handel kommen. Danach werden rund  50 000 Gurkenpflanzen und 15 000 Tomatenpflanzen von den 25 Mitarbeitern gepflanzt. Nicht alle Jungpflanzen können momentan Joachim und Christian Bärthele, Inhaber des ersten Bioland-Betriebs auf der Insel Reichenau, liefern. Daher wird Wagner auch auf Pflanzgut zurückgreifen, das nach EU-Biorichtlinien in Holland angebaut wird.