Tierhaltung | 16. November 2017

Beschäftigungsmaterial löst das Problem nicht

Von Christiane Norda, Tobias Scholz, Felix Austermann, LWK Nordrhein-Westfalen
Ende 2018 steht der Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration an. Eine der propagierten Alternativen ist die Ebermast. Hier kann es jedoch zu Penisbeißen kommen. Wie kann man dieses Problem reduzieren oder ihm vorbeugen? Das sollten Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen klären.
In einem Mastversuch auf Haus Düsse wurden bei fast jedem zweiten Eber Penisveränderungen festgestellt – hervorgerufen meist durch Interaktionen zwischen den Tieren.
Die Ebermast wird häufig als tierfreundliche Alternative zur Kastration angesehen, da hier keinerlei Eingriffe am Tier vorgenommen werden. Mit Beginn der Pubertät der Tiere setzt jedoch durch die verstärkte Testosteronbildung eberspezifisches Verhalten ein. Das äußert sich besonders in sexuell motiviertem, vermehrtem Aufspringen der Jungeber. Hierbei  kann es zu Penisverletzungen kommen, wenn die Tiere beim Aufreiten den Penis ausschachten und die „Buchtenkollegen” zubeißen. Die grundlegende Fähigkeit, den Penis ausschachten zu können, steht im Zusammenhang mit der Pubertät beziehungsweise der geschlechtlichen Entwicklung des Ebers. Vorpubertäre Tiere oder auch Börge sind aus anatomischen Gründen nicht dazu in der Lage.
Beschäftigung oder Immunokastration?
Im  Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft  Haus Düsse in Nordrhein-Westfalen wurde ermittelt,  wie oft   Penisverletzungen  auftreten und ob dieses Problem gegebenenfalls  durch geeignete Managementmaßnahmen reduziert oder vermieden werden kann. Dazu wurden insgesamt  352 Eber in vier Gruppen zu je vier  Buchten auf Vollspaltenboden aufgestallt. Alle Tiere wurden sensorgesteuert am Kurztrog flüssig und ad libitum auf Basis einer dreiphasigen (28–60–90–120 kg LM) Getreide/Sojaschrotmischung gefüttert. Die Mischungen wurden auf einen Rohfaseranteil von 4 %   mit einer Lysin/Energierelation in den jeweiligen Gewichtsabschnitten von 0,90/0,83/0,76  konzipiert. Hier die vier Versuchsvarianten:
1. Kontrolle: Standardaufstallung ohne weitere Maßnahmen
2. Aufstallung mit Baumwollseilen als vermehrtem Beschäftigungsmaterial und Raufutterangebot über den Düsser Wühlturm (Gerstenstroh geschnitten)
3. ImproVac-Zweitimpfung etwa vier Wochen vor der Schlachtung
4. ImproVac-Zweitimpfung etwa acht Wochen vor der Schlachtung.
 In den beiden Versuchsgruppen mit immunologischer Kastration wurde die Zweitimpfung also zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt. Der Grund:  Wird der Organismus frühzeitig gegen die Hormone der Jungeber immunisiert, die für die Geschlechtsreife und das Hodenwachstum verantwortlich sind, wird die körperliche Entwicklung beeinflusst und die Geschlechtsreife der Jungeber unterbunden. Das hieße  in der Konsequenz, dass zum Beispiel die Tiere bei früher Zweitimpfung körperlich nicht in der Lage wären auszuschachten. Folglich würde kein Penisbeißen auftreten.
Im Rahmen der Schlachtung wurde von allen Tieren der Penis entnommen und anschließend in Anlehnung an den Boniturschlüssel der Universität Hohenheim (Dr. Ulrike Weiler) bewertet. Hierbei wurden neben offenen Bisswunden auch Vernarbungen, Teilverluste, Nekrosen und Hämatome sowie „Abnutzungen” dokumentiert. Die Einzelmerkmale wurden in einem sogenannten „Penisindex” (Erweiterung des genannten Boniturschlüssels) zusammengefasst, wobei der Schweregrad der einzelnen Veränderungen in die Bewertung einbezogen wurde. Hohe Werte in diesem Index sind mit insgesamt häufigen beziehungsweise hohem Schweregrad der Veränderungen gleichzusetzen.
Im Mittel über alle Versuchsgruppen (siehe Tabelle) wurden mit diesem Bewertungsmodell fast bei jedem zweiten Tier (45,2 %) Penisveränderungen festgestellt. Warum gerade die Gruppe mit dem Zusatzangebot an Beschäftigungsmaterial mit 59 % die höchste Frequenz aufwies (siehe Tabelle),  kann aus der Versuchsfragestellung nicht beantwortet werden. Möglich erscheint eine generell höhere Aktivität der „beschäftigten” Schweine oder auch Konkurrenz um das zusätzlich angebotene Beschäftigungsmaterial.
ImproVac verringert das Penisbeißen nur
Die durch die Impfung mit ImproVac unterdrückte Produktion männlicher Geschlechtshormone konnte das Auftreten von Penisverletzungen zwar verringern, aber nicht verhindern. Bis auf ein Tier waren in beiden ImproVac-Gruppen die Penisproben problemlos präparierbar. Offensichtlich hatten daher alle Tiere vor der Impfung bereits ausgeschachtet, wodurch das Risiko bestanden hatte, gebissen zu werden oder sich anderweitig zu verletzen. Eine frühe Zweitimpfung etwa acht  Wochen vor der geplanten Schlachtung senkte die Häufigkeit des Auftretens von Penisverletzungen gegenüber der am stärksten betroffenen Gruppe sehr deutlich. Insgesamt hatte diese Gruppe mit 35,3 % Veränderungen am Penis die geringste Verletzungsquote.
Hinsichtlich der Mastleistung und der Schlachtkörperzusammensetzung zeigten die mit
 ImproVac behandelten Tiere die typische Entwicklung. Die Zunahmen lagen über denen der intakten Eber. Der Futteraufwand je Kilo Zuwachs stieg an und die Qualität der Schlachtkörper nahm ab. Der Effekt war bei früher Zweitimpfung (etwa acht  Wochen vor der Schlachtung) ausgeprägter als bei der Gruppe, die erst circa vier Wochen vor dem Schlachttermin geimpft wurde. Die täglichen Zunahmen zeigten keinen Unterschied zwischen Tieren mit beziehungsweise ohne Penisveränderungen.
Problem erkannt, aber nicht gebannt
Obwohl der Mastdurchgang optisch und an den Leistungszahlen gemessen unauffällig verlief, scheinen Penisbeißen unter den Buchtengefährten und „Abnutzungen” am Penis  in der Ebermast offensichtlich dazuzugehören. Mit Blick auf die Leistungszahlen der Versuchstiere  lässt sich nicht feststellen, ob dieses Verhalten  für den Tierschutz relevant ist oder die Tiere anderweitig negativ beeinflusst. Insgesamt ergab sich folgendes Bild:
  • Penisveränderungen traten sehr häufig auf.
  • Das Zusatzangebot an Beschäftigungsmaterial für die Eber verschärfte das Problem eher, als es zu verringern.
  • Die Impfung mit ImproVac konnte das Auftreten von Penisverletzungen zwar verringern, aber nicht verhindern.
  • Aus wirtschaftlichen Gründen sollte die Zweitimpfung möglichst spät erfolgen, um negative Auswirkungen auf Futteraufwand und Schlachtkörper gering zu halten.