Tierhaltung | 28. September 2017

Baden-Württemberg: Herdenschutz konzentriert sich auf Elektronetze

Von Christine Kaiser
In einem zweijährigen Pilotprojekt haben der Landesschafzuchtverband Baden-Württemberg und der NABU Baden-Württemberg gemeinsam gängige Herdenschutzmaßnahmen unter den hiesigen Bedingungen getestet. In Baiersbronn-Klosterreichenbach stellten sie nun erste Erfahrungen vor.
Anette Wohlfarth stellte das sogenannte Sachsennetz vor, das überall als Wolfsabwehrnetz angepriesen wird. Es ist stabiler und kann bei akutem Wolfsdruck mit einem Flatterband aufgerüstet werden. Für Steillagen im Schwarzwald ist es jedoch nicht praktikabel.
Steillagen, kleine Parzellen, dichte Besiedelung, verbuschte Flächen und eine traditionelle Wander- und Hütehaltung kennzeichnen das Wolferwartungsland Baden-Württemberg. Die besonderen Gegebenheiten erschweren Herdenschutzmaßnahmen. Was in anderen Bundesländern wie Brandenburg oder Sachsen, in der Schweiz oder in südosteuropäischen Ländern funktioniert, kann in Baden-Württemberg praxisuntauglich sein. Bisher wurden im Ländle vier einzelne Wölfe gesichtet, es gab noch keine Weidetierrisse. Trotzdem will man für den Ernstfall gewappnet sein, denn dass er eintreten wird, daran zweifelt niemand: „Der Wolf wird kommen, wir müssen das akzeptieren”, sagte Anette Wohlfarth, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbandes (LSV).
Von den Erfahrungen anderer Bundesländer zu profitieren, aber vor Ort gezielt eigene Praxiserfahrungen zu sammeln, darum ging es in diesem Pilotprojekt, das mit Landesmitteln finanziert wurde. Insgesamt gab es sechs Testbetriebe: Drei nahmen Elektronetze unter die Lupe, die andere Hälfte integrierte Herdenschutzhunde in ihre Herden.
Herdenschutzhunde: Gemischte Erfahrungen
In Steillagen kommt es auf das Gewicht und das Handling der Netze an. Im Vordergrund der Prototyp turbomax high energy mit einer Höhe von 90 cm. Das Netz hat im Test am besten abgeschnitten. Im Hintergrund das gleiche Netz mit einer Höhe von 105 cm.
Die problemlose und rasche Integration zweier Herdenschutzhunde gelang nur dem Milchziegenbetrieb von Holger Albrecht aus St. Blasien. Er führte die Hunde zuerst in die junge Kitzherde ein. Nach zwei  Wochen waren sie integriert. Dass die Hunde von Anfang an freundlich mit den jungen Kitzen umgegangen sind, überraschte den Betriebsleiter. Für ihn sind die Herdenschutzhunde heute eine echte Bereicherung: „Bei uns
 ist es schwierig, Weidezäune zu bauen. Darum wollten wir mit Herdenschutzhunden beginnen.” Das Miteinander von Ziegen und Herdenschutzhunden sei harmonisch. „Bei dem Betrieb hat einfach alles gepasst. Allerdings verhalten sich Ziegen auch völlig anders als Schafe”, gab Wohlfarth zu bedenken.
Weit weniger harmonische Erfahrungen haben die zwei anderen beteiligten Schäfereien von Manfred Voigt aus Michelbach und Herbert Schaible aus Aidlingen gemacht, beides Betriebe mit Hütehaltung inklusive Hütehunden. Die Integration der Herdenschutzhunde war hier schwieriger, weil die Schafe nicht zwischen zur Ordnung rufenden oder maßregelnden Hütehunden und „freundlichen” Herdenschutzhunden unterscheiden können. Auch die Schäfereien selbst mussten den Umgang mit diesen Hunden erst lernen: „Die ticken nämlich völlig anders als Hütehunde”, berichtete Voigt. Jetzt, nach zwei Jahren, gewöhnen sich die Schafe auf den beiden Testbetrieben immer noch an die Herdenschutzhunde. Werden die Herden neu zusammengestellt, kommt es nach wie vor zu Schwierigkeiten. Aus den bisherigen Erfahrungen kann abgeleitet werden, dass Schafe und Hunde mindestens fünf Jahre benötigen, bis sie vollständig aneinander gewöhnt sind.
 Neben diesen Integrationsproblemen behindern auch die strukturellen Gegebenheiten in Baden-Württemberg den Einsatz dieser Hunde. Die kleinparzellierten Flächen, die sich in dicht besiedelten Gebieten befinden, bieten schon jetzt viel zu wenig Plätze für den hier traditionell praktizierten Nachtpferch. Setzt man jedoch Herdenschutzhunde ein, benötigen die Schafe viel Raum, um den vor allem nachts aktiven Hunden ausweichen zu können. „Für 80 Prozent unserer Mitgliedsbetriebe ist ein Schutz mit Herdenschutzhunden derzeit nicht möglich”, wagte Wohlfarth eine Einschätzung. Die Empfehlungen gingen jetzt in Richtung Netze.
Sechs Elektronetze getestet
Die Teilnehmer der Abschlusstagung konnten auf dem Schäfereibetrieb von Jörg Frey alle getesteten Netzvarianten begutachten. Seine Schafherde ist derzeit mit dem Prototyp turbomax high energy 90 eingezäunt.
Insgesamt sechs Elektronetze von verschiedenen Herstellern wurden getestet. „Wir benötigen Netze, die die Schafe drin und den Wolf draußen halten. Außerdem muss das Handling gut sein und die Netze sollten bezahlbar bleiben”, brachte es die LSV-Geschäftsführerin auf den Punkt. Auf dem Schäfereibetrieb von Jörg Frey aus Baiersbronn-Schwarzenberg – einer der drei Testbetriebe – konnten die Tagungsteilnehmer alle Zaunvarianten besichtigen. Hier, in den Steillagen des Schwarzwaldes, wurde besonders deutlich, dass der Herdenschutz mit mobilen Netzen eine Herausforderung ist. Elektronetze, die in der Ebene gut mit ausreichender Höhe und optimaler Stromführung aufzustellen sind, sind in Steillagen aufgrund des Gewichtes und des hohen Arbeitsaufwandes beim unter Umständen  täglichen Auf- und Abbau auf vielen kleinen Parzellen schlichtweg nicht einsetzbar.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Wolfsabwehrnetz horinetz super der Firma Horizont, das immer als sogenanntes Sachsennetz zur Wolfsabwehr angepriesen wird: Es ist 90 cm hoch und verfügt über stabilere Pfähle. Jeder zweite Pfahl ist 120 cm hoch. Bei akutem Wolfdruck kann über diese erhöhten Pfähle ein zusätzliches Flatterband montiert werden. Doch die Erfahrungen der drei Praktiker war, trotz sehr guter Stromführung, eindeutig: Zu umständlich und zu schwer!
Potenzial zeigte unter den getesteten Netzen ein Prototyp, den der LSV zusammen mit der Firma Horizont entwickelt hat. Die Vorgaben seitens des Verbandes: Die erste stromführende Litze auf einer Höhe von 20 cm, um Spannungsverlust durch Bewuchs zu vermeiden und mindestens eine Stromspannung von 3000 Volt zu gewährleisten. Das Netz sollte zudem mindestens eine Höhe von 90 cm haben. Mit gewichtssparenden Materialen wurde mit dem Prototyp turbomax high energy 90 ein leichtes und handliches Netz entwickelt, das eine sehr gute Stromführung aufweist, die Höhe hält und sich gut abspannen lässt. Von den Praktikern wurde es am besten bewertet. Aufgrund der positiven Erfahrungen wurde noch ein zweiter Prototyp, aber mit einer Höhe von 105 cm entwickelt (Prototyp turbomax high energy 105). Dieses Netz kam verspätet in die Testphase, weswegen die Ergebnisse nicht repräsentativ sind. Erste Erfahrungen der Praktiker zeigen, dass es für ein Netz dieser Höhe relativ leicht ist. Allerdings neige es zu „Bäuchen” und sei schwierig abzuspannen. „Der Prototyp mit 90 cm ist schon einmal ein guter Anfang. Der höhere Prototyp mit 105 cm muss jedoch noch weiterentwickelt werden”, so Wohlfarth dazu.
Fazit
Zum Tagungsende zog die LSV-Geschäftsführerin folgendes Fazit: „Das Pilotprojekt war erst der Anfang. So, wie die Situation sich derzeit darstellt, funktioniert der flächendeckende Herdenschutz in Baden-Württemberg noch nicht!” Ohnehin gebe es keinen 100-prozentigen Herdenschutz, zahlreiche Fragen seien noch offen. Jetzt sei es an der Politik, den Weg für ein Folgeprojekt freizumachen.
Abschlussbroschüre
Alle detaillierten Testergebnisse zu den Elektronetzen sowie Einzelheiten zu den getesteten Herdenschutzhunden sind in einer Abschlussbroschüre „Herdenschutz in Baden-Württemberg – Erste Erfahrungen und Empfehlungen für die Praxis” nachzulesen. Sie kann im Internet als pdf-Format heruntergeladen werden: www.schaf-bw.de (Pfad: Information/Download). Ein endgültiger Abschlussbericht wird für Ende Oktober erwartet.